Ein „Superbulle“ wird Dorfpolizist. Asgeir (Pal Sverre Hagen) und seine kleine Tochter müssen mal wieder umziehen, die beiden befinden sich im Zeugenschutz. In der Abgeschiedenheit der norwegischen Kleinstadt Vestvik gerät der ehemalige Polizist einer operativen Spezialeinheit, auf den ein russischer Mafiaboss ein Kopfgeld ausgesetzt hat, völlig unerwartet in die nächste Malaise. Hier im Verborgenen werkelt ein radikal identitärer Kreis unentdeckt vor sich hin – und ausgerechnet die, die Asgeirs Kollege (Henrik Mestad) „den Stolz des ganzen Ortes“ nennt, sind dessen Anführer. Offenbar gehören sie, allen voran der Jungunternehmer Ole (Preben Hodneland), zu einer rechtsradikalen Terrorzelle, die von Deutschland aus gesteuert wird. Der Afghanistan-erfahrene Brehme (Ulrich Noethen) gehört zur Führungsriege. Ideologischer Kopf der Zelle aber ist Cato, ein rechtsextremer Blogger, der Gleichgesinnte zum Kampf für ein islamfreies Europa einschwört. Während seine Identität selbst seinen Anhängern unbekannt ist, gehört Ragna (Ine Marie Wilmann) alias Furia, auch sie eine „Wort-Führerin“ und im Netz ein Star, zum Vestviker Zirkel. In Wahrheit ist sie eine Undercover-Agentin beim norwegischen Geheimdienst. Innerhalb der Zelle muss sie sich noch beweisen, bevor sie bei der ganz großen Sache, die die Welt verändern wird, dabei sein darf.
Die achtteilige Serie „Furia“, die im ZDF als Vierteiler ausgestrahlt wird, entwirft ein politisches Horrorszenario, das zwar frei erfunden ist, dessen narrative Bausteine einem aber als Ereignisse aus der Realität erschreckend bekannt vorkommen. Die terroristischen Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya jähren sich dieses Jahr zum zehnten Mal, in Deutschland gab es München, Kassel, Halle – und über allem schwebt die verhängnisvolle Macht des Internets, in dem sich rechte Kräfte unbehelligt vernetzen und radikalisieren können und in dem Täter zu neuen Taten anstacheln. Erzählt wird eine Dystopie, in der eine europaweit vernetzte rechtsradikale Organisation, finanziert mit russischen Milliarden, Politik und Gesellschaft für ihre Zwecke beeinflussen will. „Wir schaffen einen 11. September auf deutschem Boden und die ganze Welt wird zusehen“, prophezeit einer der Drahtzieher. Und so bekommt die Serie vor dem Ende von Teil 2 eine entsprechende Wendung: Von der rauen Landschaft Norwegens mit den gigantischen Bergen, Fjorden und dem beeindruckenden Licht geht es in den Moloch Berlin, in dem sich beide Systeme, die sich in der Folgezeit bis aufs Messer bekriegen, eingebunkert haben. Politiker, Polizei und Sicherheitsorgane müssen in grauer Funktionsarchitektur ihre Meetings abhalten und sie müssen in multimedialen Kontrollräumen bei einer finalen Geiselnahme retten, was zu retten ist. Die Mitglieder der Terrorzelle haben es auch nicht gemütlicher. Sie haben in einem architektonischen Monstrum ihr Operationszentrum eingerichtet. Und der Himmel über Berlin ist nur selten zu sehen.
In Norwegen schlummert das Böse, in Deutschland bricht es sich Bahn. Das spiegelt sich denn auch in Inszenierung und Dramaturgie von „Furia“ wider. Während im Norwegen-Part bis auf zwei, drei fulminante Actiondrama-Szenen epische Breite und entspannte Dialogwechsel den Informationsaustausch regeln, zieht in den beiden letzten Teilen in Deutschland die Spannung deutlich an, der Tag X rückt näher, und die Editoren kriegen mehr zu tun. Bevor in Teil 4 alle Konflikte eskalieren (allein die russische Bedrohung des männlichen Helden bleibt über das Ende hinaus bestehen), rücken zunächst die Innenansichten der rechtsterroristischen Organisation sowie der Staatsorgane ins Zentrum. Letztere lecken ihre Wunden; die Regie-rung hat sich – im Kampf gegen den IS – mal wieder nicht mit Ruhm bekleckert. Vielleicht lassen sich ja mit dem rechten europäischen Netzwerk Pluspunkte in Sachen Innere Sicherheit sammeln? Ragnas Vorgesetzte Inger (Cecilie Mosli) nimmt jedenfalls informellen Kontakt mit Kathi Falke (ideal besetzt: Nina Kunzendorf) auf, die im Innenministerium für öffentliche Sicherheit zuständig ist. Allerdings läuft sie bei denen, die in der Hierarchie über ihr stehen, ihr Ex (Benjamin Sadler), ein Staatssekretär (Stefan Kurt) und allen voran der Innenminister (Christian Berkel), der unbedingt neuer Bundeskanzler werden will, immer wieder gegen dicke Wände. Das reicht bis zur Suspendierung. Auf der anderen Seite setzt Brehme alles daran, den Verräter innerhalb der Gruppe zu entlarven. Daraus ergeben sich spannende Kammerspielsituationen. Die Verdächtigen werden in einen Raum, eine Art Glaskäfig, gesperrt: ein sadistisches Psychospiel, das dadurch gewinnt, dass neben der überzeugenden Hauptdarstellerin Ine Marie Wilmann auch August Diehl einen Part übernommen hat.
Die Serie „Furia“ mag mit ihrer beunruhigenden Fiktion, die die Realität konsequent weiterdenkt, zu Diskussionen anregen und einen gesellschaftlichen Mehrwert gegenüber dem herkömmlichen TV-Nervenkitzel besitzen, der auf Psychopathen oder Soziopathen setzt, vor allem aber ist diese deutsch-norwegische Koproduktion ein klassischer Thriller. Da stecken zwei nicht nur in falschen Identitäten, sondern auch in einem lebensgefährlichen Dilemma. Für Ragna zieht sich die Schlinge schneller zu als für Asgeir, der als ihr Backup und zur eigenen Sicherheit auch nach Berlin reist: Um reinzukommen in den innersten Kreis muss die Undercover-Frau ihre Loyalität beweisen. Als ob ihre kultisch verehrte Furia, das Anstacheln zu Hass und Gewalt im Internet, ihr Gewissen nicht schon genug belasten würde – sie soll auch noch einen Mordanschlag ausführen. Zum Thriller gehört neben dem Maulwurf-Motiv (im Innenministerium gibt es ebenfalls eine undichte Stelle) auch das narrative Muster, dass der erste Schein fast immer trügt. So sind die netten Kumpels in Vestvik die schlimmsten Verbrecher, entpuppt sich Furia als Agentin und sind die Maulwürfe nicht die, die man dafür als erstes im Auge hat. Typisch Thriller auch: Die Helden kennen die Wahrheit, doch die Anderen wollen ihnen diese nicht abnehmen. Auch das Schreckensszenario hat einen doppelten Boden. Die operativen Methoden der rechtsterroristischen Bilderstürmer, die das demokratische Europa destabilisieren wollen, ist mit dem Begriff „Fake News“ unzureichend erklärt. Nicht umsonst reden Ole & Co von einer ganz großen Sache: ein „Simulacrum“ im Sinne Baudrillards muss also her, ein von Menschen gemachtes komplexes Trugbild, ein Narrativ, eine kollektive emotionale Erfahrung, die zu einem Weckruf werden kann.
Ob als Serie in der Mediathek oder als Mehrteiler im Fernsehen, beide Formate bestechen durch eine klare, gut funktionierende Spannungsstruktur. Nach dem langsamen, dafür atmosphärischen Beginn stellt sich der Sog des Genres ein, wenn die Handlung Kurs auf Deutschland nimmt. Für das, was „Furia“ erzählt, sind die sechs Stunden passend. Längen gibt es keine; ein Mehrteiler braucht einen anderen Atem, braucht Rhythmuswechsel, anders als ein 90-Minüter. Vielleicht aber hätten sich einige der Redundanzen, die sich ergeben, weil alle Charaktere stets auf den Stand der Dinge gebracht werden müssen, reduzieren lassen. Die Inszenierung ist dafür trotz zweier Regisseure, dem Norweger Magnus Martens und dem Deutschen Lars Kraume, aus einem Guss; so gibt es zwischen den vergleichbaren Teilen 3 und 4 keine deutlich erkennbaren Unterschiede. Dass in der jeweiligen Originalsprache oder auf Englisch gedreht wurde, macht sich positiv bemerkbar. Obgleich auf eine Untertitelung verzichtet wurde, was dem Realismuseindruck in den norwegischen Passagen entgegenwirken mag, ist die Synchronisation außergewöhnlich gut. Das liegt auch an der Qualität der Dialoge: Die sind nicht Ibsen, aber doch eine Klasse besser als die vieler amerikanischer Mainstream-Thriller(serien). Das Gleiche gilt für die Besetzung. Norweger spielen Norweger, Deutsche spielen Deutsche. Nur so sind internationale Koproduktionen sinnvoll. Das hat so gar nichts mehr mit dem „Euro-Pudding“ der 1990er Jahre zu tun. Und mehr noch: Bei diesem europäischen Stoff über ein weltweites Phänomen ist eine Koproduktion die beste Option.