Friesland – Prima Klima

Mehmet, Dal, Vörtler, Brendler, Georg Ludy, Patricia Frey. Dreck unterm Teppich

Foto: ZDF / Willi Weber
Foto Tilmann P. Gangloff

Nach einem verspielten Auftakt orientiert sich die „Friesland“-Episode „Prima Klima“ (ZDF / Cologne Film) zwar am Fernsehfilmstandard, aber das auf durchaus hohem Niveau. Gerade die Umsetzung der vielen nebensächlichen Drehbuchideen, denen die Geschichte ihren Charme verdankt, ist sehr gelungen. Im Zentrum der Handlung steht ein Institut, das mit Hilfe einer neuartigen Versiegelungstechnik Kohlendioxid unter dem Meeresboden entsorgen will. Die Fördermittel der EU drohen sich allerdings in Luft aufzulösen: Der Geschäftsführer des Instituts ist entführt worden, die Kidnapper fordern fünf Millionen Euro. Der hohe Unterhaltungswert der Geschichte resultiert vor allem aus der klugen Kombination der vielen verschiedenen Erzählebenen. Der fünfzehnte Film der Reihe gehört zu den besten.

Das Licht verbreitet die unbehagliche Stimmung eines Endzeitfilms, ein Vielfüßler huscht über den Asphalt, eine Augenpartie wird in extremer Nahaufnahme gezeigt, dazu begrenzen Cinemascope-Balken das Bild oben und unten: Der Auftakt zum fünfzehnten „Friesland“-Film ist ungewöhnlich (nicht nur) für diese Reihe. Dann reckt und streckt sich Polizei-Oberkommissar Henk Cassens (Maxim Mehmet) in seinem Streifenwagen, sodass die Balken weichen müssen, und das Licht wird normal, aber das Vorzeichen ist gesetzt: „Prima Klima“ verspricht, eine heitere Angelegenheit zu werden. Trotzdem wird es zwei kaltblütige Morde geben und eine Entführung obendrein. Zunächst bringt Georg Ludy, der auch schon das Buch zur nicht minder amüsanten Episode „Haifischbecken“ (2021) geschrieben hat, ein paar lose Handlungsfäden ins Spiel: Ein Geisterschiff tuckert durch den Hafen von Leer, eine Witwe probt die Seebestattung der sterblichen Überreste ihres Gatten und wirft dabei versehentlich die Urne in die Fluten, der tendenziell nichtsnutzige Bruder von Cassens’ Kollegin Süher Özlügül (Sophie Dal) versucht sich überraschend erfolgreich als Krabbenfischer und trägt mit seinem Fang am Ende unverhofft entscheidend zur Lösung des Falls bei.

Friesland – Prima KlimaFoto: ZDF / Willi Weber
Bestatter Wolfgang Habedank (Holger Stockhaus) erweist Frida van Wieren (Birge Schade) einen Freundschaftsdienst und probt mit ihr die Seebestattung ihres Gatten.

Wie es dem Autor gelungen ist, aus diesen diversen Zutaten eine jederzeit plausible Geschichte zu stricken, ist ausgesprochen eindrucksvoll, zumal es noch weitere Erzählebenen gibt, schließlich will der Rest des Ensembles ja auch was zu tun haben. Während diese Nebenstränge in anderen Reihen mitunter die Vermutung nahelegen, als seien sie im Nachhinein hinzugefügt worden, tragen in Ludys Drehbuch alle Beteiligten ihren Teil dazu bei, dass der Fall immer komplexer wird. Die Kunst besteht darin, dass sich die vermeintlichen Exkurse, Umwege und Abschweifungen zum Teil erst sehr viel später als unverzichtbarer Teil der Handlung entpuppen. Im Zentrum steht ein von der Meeresbiologin Esther Fehrmansen (Julia Brendler) gegründetes Institut, das mit Hilfe einer neuartigen Versiegelungstechnik Kohlendioxid unter dem Meeresboden entsorgen will. Cassens kommt das von vornherein nicht koscher vor: Alles, was unter den Teppich gekehrt wird, kommt schließlich irgendwann wieder. Trotzdem hat Fehrmansen großzügige Fördergelder von der EU erhalten, doch die drohen sich in Luft aufzulösen: Der Geschäftsführer des Instituts ist entführt worden, das geforderte Lösegeld beträgt fünf Millionen Euro.

„Prima Klima“ ist nach diversen Serienfolgen die erste Langfilmregie von Patricia Frey. Ihre Inszenierung orientiert sich zwar nach dem verspielten Auftakt am Fernsehfilmstandard, aber das auf hohem Niveau. Gerade die Umsetzung der vielen nebensächlichen Buch-Ideen, denen die Geschichte ihren Charme verdankt, ist sehr gelungen; da zischt schon mal im passenden Moment eine Dampfwolke durchs Bild. Die Anzahl der maßgeblichen Rollen ist für einen Reihenfilm ungewöhnlich groß, zumal alle Beteiligten ihre Momente nutzen. Stellvertretend sei Monika Anna Wojtyllo genannt, die als genervte Institutspförtnerin für einige amüsante Kleinodien sorgt. Neben der vielschichtigen Handlung machen darüber hinaus vor allem die Dialoge großen Spaß. Gut möglich, dass einige der Mitwirkenden bereits bei der Lektüre des Drehbuchs eine tiefe Dankbarkeit empfunden haben; Holger Stockhaus zum Beispiel trägt die zum Teil gar gereimten philosophischen Betrachtungen von Bestatter Habedank mit großer Würde vor. Aber auch der Rest des Ensembles geht in den jeweiligen Rollen auf, ohne dabei ins Klischee der Figuren zu verfallen; das war bei „Friesland“ nicht immer so.

Friesland – Prima KlimaFoto: ZDF / Willi Weber
Der Meeresforscher (Tyron Ricketts) und die Apothekerin (Theresa Underberg) untersuchen die kranken Nordseekrabben und machen eine ungewöhnliche Entdeckung.

Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist die gelungene Integrierung des eigentlichen Themas. Für diese Ebene steht nicht zuletzt ein früherer Kommilitone der Institutsgründerin. Anderswo würde dieser Experte komplizierte Vorträge über maritimes Geo-Engineering halten, aber Frey und Ludy, der vor Jahren mit der Heimat-Groteske „Storno – Todsicher versichert“ (2015, ARD) einen Maßstab in eigener Sache gesetzt hat, lassen Leon Steenhuus (Tyron Rickets) erst mal in eine Radarfalle tappen. Das uniformierte Duo zieht seinen Wagen allerdings nicht wegen zu schnellen Fahrens, sondern wegen der Qualmwolken aus seinem Auspuff aus dem Verkehr. Clever spielt Ludy zudem gleich mehrfach mit Verzögerungseffekten: Welche Rolle der prominente Meeresforscher in der Geschichte spielt, bleibt lange Zeit ebenso offen wie die Bedeutung der Krabben, die Yunus Özlügül aus dem Meer gefischt hat. (Text-Stand: 6.3.2022)

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Maxim Mehmet, Sophie Dal, Felix Vörtler, Julia Brendler, Holger Stockhaus, Birge Schade, Tina Pfurr, Yunus Cumartpay, Theresa Underberg, Tyron Ricketts, Pablo Sprungala, Monika Anna Wojtyllo, Jürg Lüss, Volker Wackermann, Annika Martens

Kamera: Thomas Schinz

Szenenbild: Julian Augustin

Kostüm: Judith von der Burg

Schnitt: Clare Dowling

Musik: Tobias Wagner, Steven Schwalbe

Soundtrack: David Bowie („Suffragette City“, Vorspannlied), Third Eye Blind („Semi-Charmed Life”, Abspannlied”)

Redaktion: Martin R. Neumann, Florian Weber

Produktionsfirma: Cologne Film

Produktion: Bernd von Fehrn

Drehbuch: Georg Ludy

Regie: Patricia Frey

Quote: 7,95 Mio. Zuschauer (27,2% MA)

EA: 30.03.2022 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach