Rita Böhm ist seit 46 Jahren bei der Hewaro AG. Die Personalsachbearbeiterin des Vorstandes ist eine höchst verlässliche und loyale Kraft, gewissenhaft, überkorrekt und verschwiegen. Die Firma ist ihre Familie, ihre Heimat. Umso größer ihre Trauer, als ein asiatischer Konzern das Traditionsunternehmen nach einem wochenlangen Übernahmepoker schluckt. Hewaro ist nicht mehr. Aber auch die Firmenkultur hat gelitten. Der Satz des von ihr zutiefst verehrten Firmengründers „Vorstand bedeutet Vorbild für Anstand“ ist Schnee von gestern. Als sie von Korruption und Veruntreuung von Firmengeldern hört – kann sie es nicht glauben. Für Rita Böhm bricht vollends eine Welt zusammen, als sie nach der verlorenen Übernahmeschlacht 80 Millionen Euro Prämien anweisen soll. Sie weigert sich: „Frau Böhm sagt Nein“.
Senta Berger spielt Rita Böhm, so wie man sie noch nicht gesehen hat: eine graue Büromaus, die mit dem Satz „Der Chef hat immer recht“ groß und alt geworden ist. „Der vorgebeugte Rücken, der ängstliche Gang, die Scheu, ihre Gesprächspartner anzusehen, dieser Wunsch, am besten nicht wahrgenommen zu werden – diese Eigenschaften habe ich ihr zugeschrieben“, sagt Berger. Die Frau von gestern bekommt im Film eine moderne „Spiegel“-Figur an die Seite gestellt: Ira Engel, nuancenreich gespielt von Lavinia Wilson, ist die rechte Hand des Vorstandvorsitzenden. Sie hat ein Diplom in Betriebswirtschaft und sitzt im Vorzimmer. Sie ist nicht die klassische Gegenspielerin, in ihr erkennt man die Regeln der neuen Zeit, die sie – ähnlich wie Böhm die alten Regeln – verinnerlicht hat, ohne sie (moralisch) zu hinterfragen. „Böhm ist eine Figur, die sich sehr lange im Schatten der Macht bewegt hat, von dieser Macht aber relativ unberührt geblieben ist“, sagt die Regisseurin Connie Walther, „von Ira Engel wird sie nun direkt provoziert“. Provoziert zur Zivilcourage.
„Frau Böhm sagt Nein“ schafft etwas, was seit Jahren keinem Fernsehfilm gelungen ist: ein Thema aus dem Wirtschaftsteil, das alle angeht, viele interessiert, aber für das sich jenseits des Stammtischs kaum einer für kompetent hält, in einen unterhaltsamen Fernsehfilm zu verpacken, der weder sein Heil in wohlfeilen Vereinfachungen sucht, noch die Auswüchse des Turbo-Kapitalismus mit dramaturgischem Zuckerguss übergießt. Connie Walther und Autorin Dorothee Schön führen den Zuschauer von mehreren Seiten an das komplexe Thema heran. „Wenn man die Perspektive des Managers einnimmt, entdeckt man seine Überzeugungen und die Sachzwänge, die ihn umgeben“, betont Walther, „man begreift seine Motive besser, wenn man die Geschichte auch aus seiner Perspektive betrachtet.“ Der Film zeigt, weshalb Menschen etwas tun, zeigt die verschiedenen Interessenslagen, zeigt Widersprüche in Zeiten, in denen Arbeitgeber nicht selten auch Aktionäre sind. Die finale Bewertung, was die Unmoral in unserer Arbeitswelt angeht, mit der der Einzelne oft sein eigenes unmoralisches Tun rechtfertigt, überlässt er weitgehend dem Zuschauer.
Darüber hinaus ist „Frau Böhm sagt Nein“ vortrefflich gebaut, mit seinem klugen Rhythmuswechsel, dem knalligen Einstieg im Nachrichtenstil und einer langen, ruhig, in großen Bögen erzählten Rückblende, die einem vor allem die beiden Hauptfiguren nahe bringt. Mag er auch das sein, was einige oft abschätzig als „Themenfilm“ bezeichnen, so hat man doch stets den Eindruck, dass er eine Geschichte erzählt, Menschenbilder entwirft und sie einem ausschnitthaft näher bringt, anstatt mit bekannten, vorgefertigten Bildern zu arbeiten. Zu diesem Prinzip passt auch die „Ummodelierung“ von Senta Berger ins fast surreal Biedere.