Wenn das ZDF im Rahmen seines „Herzkinos“ am Sonntagabend zu „Fluss des Lebens“ lädt, weiß das Stammpublikum: Jetzt wird’s ernst. Im Unterschied zu den meist leichten und oft seichten Geschichten aus den Reihen „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“ sind die an wechselnden internationalen Schauplätzen spielenden Filme nicht nur deutlich anspruchsvoller, sondern stets dramatisch. Das gilt auch für „Okavango – Fremder Vater“. Der Einstieg beginnt mit lauter Fragezeichen: Eine Frau reist mit zwei Kindern nach Afrika. Sie will den 17jährigen Julian und seine kleine Schwester Lilly zu deren Vater bringen. Welche Beziehung sie zu den Kindern hat, bleibt zunächst ebenso offen wie die Vorgeschichte, die das Buch von Carolin Hecht erst nach und nach preisgibt: Wissenschaftlerin Charlotte (Christine Hecke) ist die Tante der beiden. Die Mutter ist bei einem Unfall gestorben, der Vater, Gunnar (Roeland Wiesnekker), lebt irgendwo in der Einöde Namibias; er hat die Kinder seit Jahren nicht gesehen. Charlotte will ihn überzeugen, mit ihnen nach Deutschland zurückzukehren.
Foto: ZDF / Ralf Noack
Trotz des zunächst rätselhaften Auftakts klingt die Handlung durchaus nach „Herzkino“, erst recht, als sich viel später herausstellt, dass Gunnar und Charlotte einst eine Jugendliebe verbunden hat, die auch dann nicht vollends versiegt ist, als er ihre Schwester geheiratet hat. Trotzdem unterscheidet sich „Okavango“ deutlich von den üblichen Sonntagsfilmen im ZDF; dafür steht nicht zuletzt Torsten C. Fischer. Für den Regisseur ist dies nach „Wiedersehen an der Donau“ zwar bereits der zweite Beitrag zu für „Fluss des Lebens“, aber Filme wie „Romy“, „Tod im Internat“ und „Emma nach Mitternacht“ sowie seine Beiträge zu Reihen wie „Spreewaldkrimi“ oder „Bella Block“ verdeutlichen, dass er einen ganz anderen Anspruch vertritt als viele der üblichen, bestenfalls routinierten Pilcher- und Lindström-Regisseure. Gemeinsam mit Kameramann Ralf Noack hat Fischer für eine gerade durch die sorgfältige Lichtarbeit und die vielen eindrucksvollen Naturaufnahmen aufwändig wirkende Bildgestaltung gesorgt. Der sandige Farbton lässt eine ganz spezielle Atmosphäre entstehen und passt ausgezeichnet zur Stimmung der Geschichte: Gunnar, nicht der erste trockene Alkoholiker in der Laufbahn Roeland Wiesnekkers, ist weder durch Argumente noch mit moralischem Druck davon zu überzeugen, dass die Farm am Ende der Welt kein geeigneter Ort für seine Kinder ist. Die beiden wollen mit ihrem Vater ohnehin nichts zu tun haben; Julian, von Tom Gronau glaubwürdig als junger Mann zwischen Überheblichkeit und Schmerz verkörpert, hat einen regelrechten Hass auf Gunnar, weil er ihm indirekt die Schuld am Tod der Mutter gibt. Lilly redet seit dem Unfall, wenn überhaupt, nur noch mit ihrem Bruder. Interessanterweise wechseln die Vorzeichen im weiteren Verlauf der Geschichte: Während Gunnar zunehmend sympathischer wird, verschanzt sich Julian hinter seinem Trotz. Lilly dagegen öffnet sich; die kleine Matilda Jork ist von Fischer ebenfalls ganz vorzüglich geführt worden, zumal sich ihr Spiel über weite Strecken des Films nur auf Blicke reduziert.
Foto: ZDF / Ralf Noack
Natürlich würzt Caroline Hecht die Geschichte mit allerlei Abenteuern. Die Autorin hat viele Drehbücher für Sat 1 geschrieben, neben dem Abschluss der „Wanderhuren“-Trilogie in erster Linie Komödien, allen voran die vergnügliche „Allein unter …“-Reihe mit Hannes Jaenicke. „Okavango“, die fünfte „Fluss des Lebens“-Episode, ist aber nicht lustig, im Gegenteil; am Ende, als Gunnar durch einen versehentlichen Schuss schwer verletzt wird, geht es gar um Leben und Tod, und Charlotte muss sich allein durch die Wildnis schlagen, um Hilfe zu holen. Der Anspruch des Films zeigt sich vor allem in der thematischen Bandbreite, die vom Lieben und Sterben über die Religion bis zu den Gegensätzen zwischen europäischen und afrikanischen Lebensanschauungen reicht; die Gräueltaten aus der deutschen Kolonialzeit klingen ebenso an wie die „Krankheit, über die wir nicht sprechen“. Auch der Umgang mit der Sprache belegt das Streben der Verantwortlichen nach Authentizität: Die Afrikaner verwenden ein untertiteltes Gemisch aus Englisch, Afrikaans und einem Dialekt. Wiesnekker spricht mit den Einheimischen ebenfalls Afrikaans, was dem Schweizer aufgrund seiner niederländischen Wurzeln nicht schwer gefallen sein dürfte. Da die Farm stets in deutscher Hand war, ist es zudem nicht unplausibel, dass die wichtigen Nebenfiguren auch deutsch können, allen voran Kunyanda (Mikiros Garoes), die sich in der zweiten Hälfte als Nebenbuhlerin Charlottes erweisen wird, sowie Thuyi (Nomsa Xaba), die weise Stammesälteste, die Gunnar neuen Lebenssinn geschenkt hat und sämtliche Beteiligten gern mit allerlei Lebensweisheiten versorgt. Für Thuyi hängt alles mit allem zusammen, und wenn es Probleme gibt, werden sie innerhalb der Familie gelöst; Charlotte hingegen ist es gewöhnt, die Dinge allein zu regeln, weshalb es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Frauen kommt. Eine interessante Figur ist auch Thuyis Sohn Augustus (David Ndjavera); Gunnars Freund sorgt für die seltenen heiteren Momente. Trotzdem dienen die Einheimischen sowie ihre Sitten und Gebräuche nicht der Folklore; sie haben im Gegenteil maßgeblichen Anteil an der Handlungsentwicklung, was sich in der von afrikanischen Rhythmen durchsetzten Musik (Fabian Römer) widerspiegelt; auch deshalb ist die vielschichtige Geschichte weit entfernt vom häufigen „Herzkino“-Eskapismus. (Text-Stand: 17.9.2018)