Jede vierte Frau in Deutschland wird im Laufe ihres Lebens einmal das Opfer häuslicher Gewalt. Das ist eine Zahl, die man erst einmal sacken lassen muss. Und gemessen an dieser Statistik, hält sich die filmische Auseinandersetzung mit diesem Thema in erschreckend engen Grenzen. Vielleicht ist dies einer der Gründe dafür, dass die finnische Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen mit „Festung“ einen besonders realitätsnahen und bedrückenden Ansatz wählt, der ihr Publikum den seelischen Verletzungen der Protagonisten im vollen Maße aussetzt.
Obwohl Robert (Peter Lohmeyer) seine Frau Erika (Ursina Lardi) seit Jahren körperlich misshandelt, schafft es die Mutter dreier Töchter nicht, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Die älteste Tochter Claudia (Karoline Herfurth) ist auf Grund der häuslichen Situation schon lange ausgezogen, doch die 13-jährige Johanna (Elisa Essig) und die sechsjährige Moni (Antonia T. Pankow) sind dem psychischen Terror durch die anhaltenden Übergriffe des Vaters noch immer ausgesetzt. Insbesondere die heranwachsende Johanna leidet unter der Situation. Aus Scham und Angst vor einer Eskalation verheimlicht sie die Wahrheit sogar vor ihrer ersten großen Liebe Christian (Ansgar Göbel) und setzt schließlich durch ihre unbedingte Geheimhaltung nicht nur ihre junge Beziehung, sondern auch das Leben der Mutter aufs Spiel.
Foto: ZDF / Christine A. Maier
„Festung“ ist ein Film von Frauen über Frauen. Neben der Regisseurin waren an dem Projekt zudem die Drehbuchautorin Nicole Armbruster sowie die Produzentinnen Meike und Alexandra Kordes beteiligt. Dass sich hinter den Kulissen ein vornehmlich weibliches Team verbirgt, ist dem Ergebnis deutlich anzumerken: Es sind ganz klar die Frauen, insbesondere die Mädchen Moni, Johanna und Claudia, die im Fokus dieser Geschichte stehen. Im Gegensatz zum Hollywood-Hochglanz männlich dominierter Produktionen wie „Genug“ oder „Der Feind in meinem Bett“, wählt Kirsi Marie Liimatainen einen sehr realistischen Ansatz und inszeniert „Festung“ in gedeckten, düsteren Farben. Sie verzichtet auch auf eine stilistische Brechung wie sie Philip Gröning in seinem Film „Die Frau des Polizisten“ nahezu exzessiv betreibt, um das Publikum den Ereignissen eben nicht ungefiltert auszusetzen. Liimatainen gelingt es, Nähe zu den Figuren zu erzeugen, ohne den Respekt vor ihnen zu verlieren. Ihre Dramaturgie dient nicht dazu, den Zuschauer durch anhaltende Spannung mitzureißen, sondern ihm die Realität der Figuren vor Augen zu führen, ohne in den Elendsvoyeurismus abzugleiten. Die Übergriffe des Vaters spielen sich stets im Verborgenen ab. Worum es Liimatainen geht, ist nicht die Aktion des Vaters, sondern die Auswirkungen seines Handelns auf das Leben der Frauen: die eingeschüchterten Kinder, die bis zur Apathie in Depression verfallene Mutter und die sich fortsetzende Gewaltspirale, der sich selbst die kleine Moni nicht entziehen kann. Robert ist dabei jedoch nicht die diabolische Ursache allen Übels. Das Drehbuch von Nicole Armbruster deutet seinen eigenen elterlichen Konflikt an, der seiner Figur über die Rolle des Aggressors hinaus auch einen glaubwürdigen Charakter zugesteht.
Hauptdarstellerin Elisa Essig ist die große Entdeckung dieses Films. Der jungen Laienschauspielerin gelingt es, ihrer Figur überwältigende Authentizität zu verleihen. Die sehr intensiven und auch widersprüchlichen Gefühle, der Johanna im Laufe der Geschichte ausgeliefert ist, kann Essig glaubwürdig darstellen und dem Zuschauer so einen Einblick in die Welt des traumatisierten Teenagers verleihen. Doch so überzeugend die Darstellung der häuslichen Situation, so wenig gelingt die Inszenierung der jugendlichen Liebesgeschichte. Elisa Essig und Ansgar Göbel schaffen es nicht, vielleicht auf Grund ihres eigenen Alters, die sexuelle Anziehung ihrer Figuren glaubhaft zu vermitteln.
„Festung“ ist auf Grund seiner Realitätsnähe keine leichte Kost. Gerade durch die zurückhaltende Inszenierung, die auf dramatische Musikuntermalung und einen dynamischen Schnitt verzichtet, ist es dem Zuschauer kaum möglich, sich vom Schicksal der Figuren zu distanzieren. So erreicht die zyklische Struktur der Erzählung, in der sich wie im wahren Leben Übergriff an Entschuldigung an erneuten Übergriff reiht, dass sich das Publikum nach dem Ende des Films zu sehnen beginnt – einfach nur, um den bedrückenden Gewaltkreislauf nicht mehr ertragen zu müssen. Es ist gut und richtig, dass Liimatainen ihre Zuschauer hier ein wenig quält. Häusliche Gewalt ist kein Thema für seichte Abendunterhaltung.