Familie mit Hindernissen

Nicolette Krebitz, Maurer, Weisz, Krapoth, Oliver Schmitz. Patchworkfamilienhorror

Foto: MDR / Christiane Pausch
Foto Rainer Tittelbach

Bei der Konfirmation der Tochter kommen sie alle zusammen: alte & neue Partner, Kind & Kegel samt Schwiegereltern – und die Mutter der Konfirmandin trägt die Verantwortung, in der Hoffnung, damit das Verhältnis zu ihrer Tochter zu verbessern. Vergebens gehofft. Diese zwei Tage wird keiner so schnell vergessen… „Familie mit Hindernissen“ ist seit Längerem mal wieder eine reinrassige TV-Komödie, ohne romantische Beigabe, auch keine Dramödie. Der Film des Comedy-Experten & Grimme-Preisträgers Oliver Schmitz nach dem dichten Buch von Sophia Krapoth ist eine Situationskomödie voller Witz, köstlichen Interaktionen, hohem Tempo. Flüssig ist nicht nur die Erzählung, sondern auch das Hauptnahrungsmittel der Hauptfigur. Krebitz überragt ein spielfreudiges Ensemble und ihre charmant schnoddrige Mutter ironisiert immer wieder das Geschehen und spricht dabei das Publikum an.

Familienfest mit alten & neuen Partnern am Rande des Nervenzusammenbruchs
Katrin (Nicolette Krebitz) geht auf dem Zahnfleisch. Ihr neues „Glück“ erweist sich offenbar genauso als Nullnummer wie ihre erste Ehe. Und jetzt steht auch noch die Konfirmation ihrer Tochter Saskia (Emilie Neumeister) an. Die wohnt seit Neuestem bei ihrem Vater Frank (Juergen Mauerer) und dessen neuer Familie, der hochschwangeren Julia (Lisa Bitter), die 15 Jahre jünger ist als Katrin, & Küken Ella. Grund für den Auszug war Leo (Oskar Bökelmann), der Problemsohn von Katrins neuer Liebe Phillip (Hary Prinz), der die 14-Jährige so sehr genervt hat, dass sie den überforderten Vater und die egozentrische Zicke an seiner Seite für das kleinere Übel ansah. Die Konfirmation soll nun ein Versuch sein, die Wogen zu glätten, Saskia zu besänftigen und die Mutter-Tochter-Beziehung zu entspannen. Dass Katrin zu spät kommt, um das Konfirmationskleid vom Änderungsschneider abzuholen, ist schon mal kein guter Anfang. Und ob für ein friedliches Fest Franks ätzende Mutter (Daniela Ziegler) und Katrins spießige Eltern, Moralapostel Horst (Peter Prager) und seine ihm (bald nicht mehr ganz so) treu ergebene Renate (Marie Gruber), wohl die richtigen Gäste sind?! Und dann hat Katrin im Suff  auch noch die Ex-Frau (Franziska Weisz) ihres neuen Partners eingeladen.

Ein Königreich für eine Einzelzelle! „Familie mit Hindernissen“ beginnt in vorübergehender U-Haft. „Endlich frei“, strahlt die aus gutem Grund fast ständig angeschickerte Heldin, die es so gar nicht eilig hat, das Polizeirevier zu verlassen. 70 Filmminuten später werden die Hintergründe für den kurzzeitigen Gefängnisaufenthalt nachgeliefert – und auch die von Nicolette Krebitz zum Niederknien komisch gespielte Katrin legt noch einen Satz drauf: „Wenigstens die eine Nacht hätten Sie mich drin’ behalten können. Wozu zahle ich denn schließlich Steuern?!“ Aber der Film von Oliver Schmitz (Grimme-Preis-träger für „Türkisch für Anfänger“ und „Doctor’s Diary“) dauert ja noch zehn Minuten – und bei dem Tempo, das die ARD-Komödie nach dem Buch von Sophia Krapoth („Die Hochzeit meiner Eltern“) von der ersten Minute an vorlegt, ist noch lange nicht aller Patchworkfamilien-Tage Abend.

Familie mit HindernissenFoto: MDR / Christiane Pausch
Solidarität suchend, wendet sich Katrin (Nicolette Krebitz) immer wieder direkt an den Zuschauer. Frank (Juergen Maurer) gefällt es offensichtlich im alten Haus bei Katrin und ihrem neuen Freund (Hary Prinz) besser als in seinem Weiberhaushalt.

„Familie mit Hindernissen“ ist seit Längerem wieder eine reinrassige Komödie im Fernsehen. Weder eine Romantic Comedy, ein Genre, das nach wie vor von Sat 1 gern bedient wird, weder eine Social Comedy (zuletzt: „Schnitzel geht immer“) noch eine Dramödie, das Genre, das die Deutschen als 90-Minüter mittlerweile gut hinbekommen, hinter dessen Ernsthaftigkeit man sich allerdings auch immer gut verstecken kann, wenn es mit der Ironie und den Witzen nicht so hinhaut. Filme, die einem zum Dauerschmunzeln verleiten, auf Situationskomik setzen und bei denen gelegentlich lauthalses Lachen möglich ist, sind eine Rarität im deutschen Fernsehen geworden. Die Zeit der deutschen Comedies ist vorbei („Pastewka“ wechselt zu amazon), reine Sitcoms sind völlig out und die erste öffentlich-rechtliche Dramedy, „Frau Temme sucht das Glück“, obwohl klug und witzig, hat Probleme mit der Akzeptanz bei der ARD-Zielgruppe. Offenbar im Zuge dieser Entwicklungen ist auch die bei öffentlich-rechtlichen Programmmachern ungeliebte 90-minütige Komödie völlig ins Hintertreffen geraten. Als Zeittotschlagfernsehen ist das Genre uns zuletzt im Ersten begegnet („Eva über Bord“, 2017), als rasante Familienkomödie mit Social Touch („Die Rosinskis“, 2016, mit den Thalbachs) oder als hintersinnige Gesellschaftskomödie („Vorsicht vor Leuten“, auch schon wieder zwei Jahre her). Als Genre-Mix, aber mit guten Dauerschmunzelwerten kamen uns die letzten MDR-„Tatorte“ mit Ulmen & Tschirner und was Ironie und Doppelbödigkeit angeht, hat auch der andere „Tatort“-Ableger des Mitteldeutschen Rundfunks einiges zu bieten. Da ist es offenbar kein Zufall, dass sich nun dieser Sender mit tatkräftiger Unterstützung des ORF (die Koproduktionen dieser Sender waren in den 2000er Jahren die unsäglichsten Rheumadecken-Programme) an eine Familiengeschichte gewagt hat, die eben keine lösungsorientierte Dramödie, sondern eine Patchworkfamilien-Neurotikerkomödie allererster Ordnung geworden ist, die Zustände nur zeigen und (gute) Laune machen will.

Familie mit HindernissenFoto: MDR / Christiane Pausch
Alptraum oder Realität? Frank (Juergen Maurer) hat wieder „seine pränatalen Depressionen“, fühlt sich erdrückt von seiner neuen Familie und der Frau Mama.

Eine Figur greift zu irrwitzigen Methoden und sucht Solidarität beim Zuschauer
Eine gute Situationskomödie setzt auf Tempo, wendige Charaktere, zahlreiche Interaktions-Optionen – und die vom Verstand geprägte Handlungslogik außer Kraft. Auch in „Familie mit Hindernissen“ haben die Figuren nur bedingt Einfluss auf das, was passiert, denn immer gibt es einen, der die eigenen Pläne durchkreuzt. Beizukommen ist den übermächtigen „Verhältnissen“ nur mit entsprechend irrwitzigen Methoden. Krapoth lässt die von allen gebeutelte Katrin nicht nur ständig mit dem Zuschauer sprechen, weil das witzig ist, die Handlung verdichtet und ihr etwas Spielerisches verleiht, sondern die Autorin benutzt diesen V-Effekt auch, um die Verzweiflung der „Heldin“ zu verdeutlichen. Diese wendet sich fast hilfesuchend an den Zuschauer. Diese Kommentare erinnern einerseits ans komödiantische Beiseitesprechen, wie man es aus dem Theater kennt, haben aber auch etwas von Strombergs Strategie, Solidarität mit einem Dritten zu suchen (bei ihm ist es der Kameramann, bei Krebitz’ Figur ist es der Zuschauer). Während ein beliebtes Stilmittel in Komödien der Ich-Erzähler ist, vorzugsweise eine Ersatz-Bridget-Jones, die den Zuschauer zuplappert mit Belanglosem, ist diese direkte Anrede an den Zuschauer dramaturgisch und komödiantisch ein ganz anderes Kaliber. „Kinder brauchen unsere Liebe am meisten, wenn sie sie am wenigsten verdienen“, wird Katrin von ihrem Neuen – der mit dem Horrorsohn – zitiert. Darauf die Angesprochene in die Kamera: „Ich meinte meine Kinder, nicht seine.“ Meist sind es nur kurze Einwürfe. Als ihre Tochter Katrins verhasste Ex-Schwiegermutter besonders herzlich umarmt, stöhnt die Heldin: „Wo ist der Restalkohol, wenn man ihn braucht?“ Und als die ganze Bagage erstmals aufeinandertrifft, reicht ein spöttischer Blick zum Zuschauer mit dem Satz: „Und jetzt losheucheln, eins, zwei.“ Das wirkt nie bemüht, weil die Sätze wunderbar zur schnoddrigen Art passen, die die Berlinerin immer schon (bereits in ihren Kinderrollen) drauf hatte.

Familie mit HindernissenFoto: MDR / Christiane Pausch
Mit einem Joint lässt sich das Stiefgeschwister-Dasein wesentlich besser ertragen. Yannik (Oskar Bökelmann), für den alles, was er tut, Chaos anrichten bedeutet, und Konfirmandin Saskia (Emilie Neumeister), die er aus ihrem Elternhaus vertrieben hat.

Bei allem Schwärmen über Krebitz darf man aber auch alle anderen Schauspieler nicht vergessen. Die Österreicher Juergen Maurer, Hary Prinz und Franziska Weisz haben zwar vergleichsweise sehr viel kleinere Rollen, diese aber erfüllen sie präzise mit den Sorgen und Nöten im ewigen Beziehungskarussell. Maurers Frank („Vier Frauen, zwei Kinder, was das alles kostet“) vergreift sich zunächst an den Weinvorräten seiner Ex, danach gehörig im Ton. Die Prinz-Figur Phillip versucht ständig die Schneise der Verwüstung, die sein Sohn schlägt, schön zu reden. Nachdem der stets bekiffte Teenager aus dem Zimmer seiner Stiefschwester einen Friedhof der Kuscheltiere gemacht hat, kommentiert der verständnisvolle Papa das wie folgt: „Immerhin ist das Chaos ein Zeichen dafür, dass er sich hier zuhause fühlt.“ Und Weisz hat eine Klasse-Szene mit Krebitz gleicht zu Beginn des Films: beide lallen um die Wette, ohne zu wissen, wer einem da an der Bar eigentlich gegenübersitzt (als Zuschauer ahnt man es auch noch nicht), und Katrin lästert kräftig ab über den Sohn seines neuen Freundes und dessen offenbar ebenso gestörte Ex. Die Szene ist kurz, entsprechend spritzig, witzig sowieso, und sie erfüllt darüber hinaus sehr unterhaltsam die Funktion einer Exposition. Die zweitbesten Sätze, meist köstliche pampig-pubertäre Repliken, hat Autorin Krapoth Saskia-Darstellerin Emilie Neumeister ins Textbuch geschrieben. Da kann man nur sagen: ganz die Mama – und auch die Jungschauspielerin, die schon in der Plattenbau-Dramödie „Anderst schön“ positiv auffiel, überzeugt auch hier als Teenie mit Köpfchen.

Keine gute Situationskomödie ohne einen Running Gag. In „Familie mit Hindernissen“ ist es das mehrfache Aufeinandertreffen Katrins mit einem Polizeibeamten, der es eigentlich gut mit der ihm sichtlich sympathischen „Frau Wiedemann“ meint, der aber bei den ersten Malen des Zusammentreffens bereits alle Augen zugedrückt hat. Kein Running Gag, aber ein Motiv, das sowohl alltagsnah ist und auch dramaturgisch viel hergibt, ist der ständige Griff zur Weinflasche, wenn nicht zu Härterem. In vino veritas: Im Suff, wenn es die Schauspieler können wie hier unter der Regie von Komödien-Experte Oliver Schmitz, wird das Seelenleben der Figuren nachhaltig ans Tageslicht geschwemmt. Und witzig sind solche Situationen meist auch („Ich mach’ dir ’nen Kaffee“, sagt Katrin zur völlig betrunkenen Mutter, „Und ich nehm’ mir mal ’nen Wodka“). Vielleicht ist ja sogar Katrins Kontaktaufnahme mit dem Zuschauer die Nebenwirkung ihres häufigen Alkoholkonsums. Am Ende wundert sich im Übrigen selbst ihre Tochter: „Mit wem redest du eigentlich die ganze Zeit?“. Noch ist es der Zuschauer und nicht etwa ihr allgegenwärtiger Freund Harvey. (Text-Stand: 28. 2.2017)

Familie mit HindernissenFoto: MDR / Christiane Pausch
Drei Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. In der Apotheke hätten die gestressten Damen alles, was das Herz begehrt…. Doch Autorin Sophia Krapoth belässt es bei Alkohol & Marihuana. Franziska Weisz, Nicolette Krebitz, Lisa Bitter

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Reihe

MDR

Mit Nicolette Krebitz, Juergen Maurer, Emilie Neumeister, Hary Prinz, Oskar Bökelmann, Franziska Weisz, Lisa Bitter, Peter Prager, Marie Gruber, Daniela Ziegler, Matthias Brenner, Luis August Kurecki, Clara Veihelmann

Kamera: Leah Striker

Szenenbild: Jörg Baumgarten

Kostüm: Maria Schicker

Schnitt: Connie Strecker

Produktionsfirma: Ariane Krampe Filmproduktion

Produktion: Ariane Krampe

Drehbuch: Sophia Krapoth

Regie: Oliver Schmitz

Quote: 3,33 Mio. Zuschauer (10,9% MA)

EA: 29.03.2017 20:15 Uhr | ARD

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