Seine ruhmreiche Vergangenheit begegnet Ralph Friesner (Axel Prahl) nur noch gelegentlich im Traum. Der Alltag für den ehemaligen Ressortleiter Politik besitzt heute Hartz-IV-Qualität. Mit dem lukrativen Job war auch die ohnehin kriselnde Ehe mit seiner Frau Laila (Inka Friedrich) bald Geschichte; genauso wie die gemeinsame Berliner Traumwohnung. Der Ex-Journalist haust heute in einem Ein-Zimmer-Appartement zur Untermiete bei seinem Praktikanten aus besseren Zeiten (Max Hegewald) und dessen fürsorgenden Oma (Katharina Thalbach). Wenn Geburtstag, Valentinstag und der Termin beim Jobcenter auf einen und denselben Tag fallen, muss das kein Grund zum Feiern sein. Auch wenn sich die Ex-Gattin am Abend von Ralphs Fünfzigsten noch einmal von ihrer einfühlsamen Seite zeigt und beide mördermäßig betrunken im selben Bett landen – das wird wohl nichts mehr mit den beiden. Und ob sein Job als Aushilfslehrer an einer Abendschule ein Gewinn ist, das muss sich noch zeigen. Mit seiner gestrengen Rektorin (Aglaia Szyszkowitz) ist jedenfalls nicht gut Kirschen essen, und seine Klasse besteht nicht etwa aus Abiturnachzüglern, sondern ist ein bunter Haufen aus anfangs ziemlich unmotivierten Schulabbrechern, die nun nach Jahren ihren Hauptschulabschluss nachholen wollen. Neben den Klassen-Beautys „Mrs. Smartphone“ (Mercedes Müller) und „Fräulein Kreißsaal“ (Jennifer Ulrich) haben sich ein betagter Analphabet (Vedat Erincin), ein Sonnenschein mit Trisonomie 21 (Nico Randel), ein Kleinkrimineller (Dennis Mojen) und ein Voodoo-Mann aus Haiti (Tony Harrisson Mpoudja) für die Klasse eingeschrieben. Aber Ralph bringt das nur anfangs aus der Fassung.
Foto: ZDF / Frédéric Batier
Trotz der prekären Ausgangslage entwickelt sich „Extraklasse“ immer mehr zu einem – wenn auch nachdenklich stimmenden – Gute-Laune-Film, der in der hierzulande vernachlässigten Tradition der Social Comedy steht: eine Komödie also, die der Wirklichkeit unterhaltsam auf die Sprünge hilft. „Ein Journalist, der an einer Kneipe vorbeigeht“ gilt als einer der kürzesten Witze überhaupt. Ein Ex-Journalist, der einem Dutzend Schulabbrechern zum Hauptschul-Abschluss verhelfen soll, auch das hat ein komisches Potenzial, das sogar ausreichend ist für 90 Filmminuten. Anfangs fremdelt jener Ralph Friesner noch mit der „Unterschicht“, kommt sich mit seiner investigativen Vergangenheit als etwas Besseres vor. Wendepunkt ist die Geburtstagsfeier seiner Ex-Frau, zu der er sich ungewollt selbst eingeladen hat und bei der er sich doppelt daneben benimmt: Zunächst versucht er, bei den alten „Freunden“ auf Kosten seiner Schüler zu punkten, macht sich ausgerechnet über die junge Frau aus seiner Klasse lustig, die bei der Party als Bedienung angestellt ist. Nachdem er seinen Fauxpas erkennt, switcht er um und beginnt mit seiner Wohlstandsbeschimpfung. Dieser Lehrkörper begreift endlich, dass er (fast) im selben Boot sitzt, also nicht länger von oben herab mit Larmoyanz, Arroganz & Zynismus der Situation begegnen sollte. Dabei kommen ihm seine Lockerheit und Lust an der (Selbst-)Ironie durchaus zupass, und da der Mann Journalist war, hat er Recherche, Strategie & Rhetorik nicht verlernt. Diese Fähigkeiten braucht er, um die Gruppe zusammen zu halten; denn einige der Teilnehmer wollen abspringen. Und so muss er einem Kurden das Hausmanndasein schmackhaft machen, einen Graffiti-Gangsta zum Integrationsbeauftragten ernennen und den Haitianer Bob mit Raffinesse von seinem Sklavendasein befreien.
Foto: ZDF / Frédéric Batier
Solidarität und Toleranz statt Borniertheit und Vorurteile – diese Botschaft wird in „Extraklasse“ auch von „Schüler“-Seite ausgegeben. „Wir haben Geduld mit Ihnen gehabt“, heißt es denn auch zum Abschlussfest, das der Aushilfslehrer allerdings nicht mehr so richtig genießen kann. Vorerst. Auch wird nicht jeder die Prüfung bestehen – auch Sozialkomödien versprechen einem nicht immer den Himmel auf Erden. Trotzdem wird der Zuschauer glücklich gemacht und mit einem finalen ironischen Augenzwinkern, das das Happyend-Komödien-Muster geradezu ausstellt, aus dem Film entlassen. Überhaupt, dramaturgisch benötigt diese Geschichte nicht allzu viel Raffinesse. Das Ganze ist ein Selbstläufer. Der Plot ist einfach und besitzt eine ebenso klare wie sympathische Prämisse: Manchmal kommt man eben doch mit Empathie und sozialem Engagement weiter. Helfe anderen und du hilfst dir selbst damit. Das alles und darüber hinaus ein Modell in Sachen durchlässige Gesellschaft bekommt der Zuschauer hier ohne pädagogischen Zeigefinger mit auf den Weg – launig moderiert und kommentiert von Axel Prahl, hauptberuflich Fernsehkommissar-Darsteller, den man sich allerdings öfter in einer solchen Rolle wünschen würde (auch wenn der ZDF-Pressestelle zu einem solchen Film offenbar so gar nichts einzufallen scheint). Auch wenn die Geschichte von einem realen Phänomen ausgeht, der zunehmenden Arbeitslosigkeit von Journalisten, so zeichnet Autor-Regisseur Matthias Tiefenbacher doch ein eher zeitloses Bild von den Qualitäten, die dieser Berufsstand mitbringen kann, damit die Geschichte funktioniert. Und obgleich die werte Rektorin den Journalismus als „Hyänenjob“ bezeichnet, so ist diese kleine Anmerkung doch meilenweit von „Lügenpresse“ entfernt. Hingegen wird hier ein immer schon in der Öffentlichkeit unbeliebter Berufsstand, vom fiktionalen Fernsehen stets gern als Klischee missbraucht, mit eher freundlichen Konnotationen belegt.
Ähnlich wie der Journalismus hat auch das Fernsehen erst einmal keine pädagogische Aufgabe zu erfüllen. Aber wenn man sich anschaut, wie sehr doch realistische Krimis und Dramen sich oft damit begnügen, den gesellschaftlichen Status Quo – meist unbewusst – zu bestätigen, so erfreut einen eine solche Komödie umso mehr, die für eine Spielfilmlänge die Wirklichkeit aus den Angeln hebt. Ob man das Geschehen von „Extraklasse“ als Sozialromantik oder eine wichtige gesellschaftliche Utopie versteht, das mag im Auge des Betrachters liegen – im Dezember jedenfalls, in einer Zeit, in der das Wünschen Jahr für Jahr eine größere materielle Kraft entwickelt, sollten Filme wie dieser, vorausgesetzt sie sind so gut besetzt, so flüssig inszeniert und stecken so voller Spiellust, einen festen Platz im Programm haben.