Konrad ist Theaterregisseur und kümmert sich um die Kinder, Christine ist Ärztin und sorgt für den Lebensunterhalt. Der Rollentausch scheint gut zu funktionieren, doch als der freiberuflich arbeitende Konrad die Chance hat, mal wieder ein Stück zu inszenieren, muss zur Betreuung der beiden Töchter Emma (5) und Käthe (10) ein Au-pair-Mädchen her. Isabel aus Argentinien ist leider keine große Hilfe, denn sie ist schwanger und ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. So gerät das emanzipierte Modell von Konrad und Christine an seine Grenzen: Weil die Doppelbelastung aus Beruf und Familie für beide Partner zu groß wird. Und Isabel muss sich entscheiden, ob sie das Kind haben oder abtreiben will.
Foto: SWR / Oliver Vaccaro
Robert Thalheim („Netto“ / „Am Ende kommen Touristen“) greift reale Verhältnisse auf, liefert aber kein Statement zur Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auch keine Botschaft für oder wider das Kinderkriegen. Die Inszenierung – Dialoge, Kamera, Szenenbild – zielt offenkundig darauf, wie aus dem „echten Leben“ zu erzählen. Eltern dürften sich in vielen Details und Facetten wiedererkennen. Zugleich kommt in diesem Drama, das den Zeitraum einer Woche umfasst und chronologisch in Tages-Kapitel unterteilt ist, keine Langeweile auf. Der Regisseur bringt es fertig, von Beginn an Interesse für seine Figuren zu wecken sowie den Alltags-Stress genau und humorvoll zu inszenieren. Man wird sofort hineingezogen in die Geschichte von Konrad, Christine, Isabel, Käthe und Emma.
Denn auch das ist, obwohl der Titel vielleicht in eine andere Richtung deutet, eine Qualität des Films: Dass die Kinder hier starke, eigenständige Persönlichkeiten sind und nicht nur Beiwerk in einer Handlung, die sich allein für die Erwachsenen interessiert. Mit der Einschränkung, dass Käthe (eindrucksvoll: Paraschiva Dragus, „Operation Zucker“) in manchen Wortgefechten mit ihrer Mutter ein bisschen sehr altklug daherredet. Käthe wird von den Eltern mehr und mehr in die Pflicht genommen. Die eigene Überforderung wird an die ältere Tochter weitergegeben, wogegen sich diese verständlicher Weise wehrt. Zugleich nimmt Käthe mit feinem Gespür alle Anzeichen der Entfremdung ihrer Eltern wahr. Ernsthaft und nachvollziehbar wird diese kindliche Perspektive behandelt. Für die komischen Momente sorgt vor allem Emma mit ihrer schwer zu bändigenden Energie. Emma im Supermarkt, Emma im Wartezimmer, einige der schönsten Szenen hat sich Thalheim für diese Figur ausgedacht. Und die Natürlichkeit, mit der Emilia Pieske vor der Kamera agiert, ist bemerkenswert.
Foto: SWR / Oliver Vaccaro
Ohnehin ist die Besetzung mit Charly Hübner und Christiane Paul erstklassig. Konrad ist der „moderne“ Mann, ein liebevoller Vater und patenter Held, fantasievoll und optimistisch. „Er gibt einem oft das Gefühl, dass alles möglich ist. Nur überfordert er sich selbst damit“, sagt Christine. Sie selbst darf auf eine Beförderung zur Oberärztin hoffen. Ihr beruflicher Fleiß bedingt, dass ihre Kinder eine größere Nähe zu Konrad entwickelt haben, Emma sich nur von ihrem Vater ins Bett bringen lässt, und Käthe sogleich die Mutter im Verdacht hat, wenn Konrad ihr den Besuch einer Party mit Isabel verbietet. Hübner und Paul lassen beide Figuren weit über jedes Klischee hinauswachsen. Weder ist Konrad ein vertrottelter Softie noch ist Christine die egoistische Rabenmutter. Beide entwickeln und verändern sich, Konrad zieht vorübergehend ins Theater, Christine nimmt sich mehr Zeit für die Familie. Es gibt Affären, Eifersucht, Missverständnisse, Wut – und den Willen, um die Beziehung zu kämpfen.
So authentisch der Film auch wirkt: Der Rollentausch hebt das Drama ebenso vom Alltag einer Durchschnitts-Familie ab wie das Theater-Milieu. Konrad muss gleich bei der ersten Probe mit Isabel und den Kindern anrücken, weil dem Au-pair-Mädchen ständig schlecht ist und Käthe nicht das Ersatz-au-pair spielen will. Und während die Kinder im Zuschauerraum streiten, zerreißt einer der Darsteller Konrads Textfassung von Hebbels „Nibelungen“ förmlich in der Luft („Lindenstraßen-Realismus“). Thalheim, der selbst Theater-Erfahrung hat, gelingt es weit besser, die Proben-Atmosphäre, die Eitelkeiten und Mühen der künstlerischen Arbeit einzufangen als das Krankenhaus-Milieu. Und im Theater bietet sich auch die Gelegenheit zu einem symbolischen Akt: Konrad schlägt sein eigenes Bühnenbild kurz und klein, mit dem von Käthe gebastelten Schwert. Als am nächsten Tag die Schauspieler die Bühne betreten, scheint es plötzlich zu funktionieren mit seinem „Lindenstraßen-Realismus“. Ein seltener, schöner poetischer Moment in einem dem Realismus verpflichteten, wahrhaftigen Familien-Drama.