„Überraschungsgäste“
Im MDR gab’s in den Neunzigerjahren eine Dating-Show mit dem etwas erzwungen klingenden Reimtitel „Je t’aime – Wer mit wem?“. Der dritte Film mit ChrisTine Urspruch als engagierte Anwältin ist zwar eine Auftragsproduktion der ARD-Tochter Degeto, spielt aber in Leipzig und beginnt mit einem Kameraflug hoch droben rund ums City-Hochhaus, an dem in luftiger Höhe der MDR-Schriftzug angebracht ist. Liebe ist freitags im „Ersten“ immer ein zentrales Thema, aber auch „Wer mit wem?“ passt: Weil die Degeto bei ihren Fortsetzungen stets erwartet, dass das Publikum die Vorgeschichte noch im Kopf hat, selbst wenn die Ausstrahlung der früheren Filme mitunter eine ganze Weile zurückliegt.
Foto: Degeto / Thomas Dietze
„Einspruch, Schatz!“ bietet die Sendeplatz-typische Kombination aus beruflicher Herausforderung und privaten Turbulenzen. Aus der Bar-Bekanntschaft des ersten Films („Ein Fall von Liebe“, 2023) ist eine feste Beziehung geworden. Dass Eva Schatz noch nicht ins großzügige Domizil ihres Lebensgefährten und Kollegen Hanno Bertram (Wolfram Grandezka) gezogen ist, hat vor allem mit dessen Tochter zu tun: Teenager Lili (Lola Höller) sabotiert die Beziehung ihres verwitweten Vaters nach Kräften. Perfide will sie die unter den Hitzewallungen der Wechseljahre leidende Eva mit einem Chili-Curry zur Weißglut bringen, aber der Schuss geht dank eines allergischen Schocks prompt nach hinten los. Und dann ist ja noch Schatz senior: Der ehemalige General (Jochen Busse) ist wegen Glücksspiels aus seinem Seniorenheim geflogen und nun ein Klotz am kurzen Bein seiner Tochter. Der Hinweis auf Evas Kleinwuchs ist gestattet, denn Werner Schatz erlaubt sich auch den einen oder anderen entsprechenden Scherz. Die Bemerkungen sind im Grunde harmlos, aber in Zeiten omnipräsenter Goldwaagen durchaus gewagt. „Überraschungsgäste“ heißt die Episode, weil Vater und Tochter vorübergehend zu Hanno, seinen drei Kindern und seiner Mutter (Tatja Seibt) ziehen: Werners Versuch, sich im Haushalt nützlich zu machen, hat zu einem Feuerwehreinsatz geführt.
Soundtrack: Alicia Keys („Girl on Fire“), David Kushner („Daylight”), Katy Perry („Roar”)
Die juristische Ebene kommt zufällig ins Spiel, als eine völlig aufgelöste Frau Eva und Hanno vors Auto läuft: In ihrem Haus wohnt jetzt eine fremde Familie. Uschi Förster (Steffi Kühnert) ist durch den Tod ihres zweiten Mannes völlig aus der Bahn geworfen worden, war zwei Jahre in der Psychiatrie und ist, wie das früher hieß, entmündigt worden. Ihr rechtlicher Betreuer (Marc Ben Puch) hat in der Zwischenzeit das Haus verkauft. Frau Förster ist nun nicht nur obdachlos, sondern auch, wie sich schließlich herausstellt, völlig mittellos; natürlich hat der Betreuer Dreck am Stecken. Zur Vorhersehbarkeit des Drehbuchs von Produzent Torsten Lenkeit (diesmal zusammen mit Wiebke Jaspersen) passt auch die brave Inszenierung von Dirk Kummer, 2018 für seine melancholische DDR-Tragikomödie „Zuckersand“ immerhin mit dem Grimme-Preis geehrt. Seine Klasse zeigt sich in der Arbeit mit dem Ensemble, zu dem in einer kleinen, aber feinen Richterrolle auch Stephan Großmann zählt, sowie in der Bildgestaltung (Kamera: Christoph Iwanow). Der Film erfreut durch ein paar hübsche Gestaltungsideen, aber Tempo und Musik sind für eine Dramedy entschieden zu gemütlich.
Foto: Degeto / Erik Steingroever
„Herzenswünsche“
Mit einem Blick erkennt Raymond, dass einer Kellnerin gerade 246 Zahnstocher heruntergefallen sind. Weil sie ein Namensschild trägt, weiß er auch ihre Telefonnummer; er hat das Telefonbuch auswendig gelernt. Die Szene aus „Rain Man“ ist über 35 Jahre alt, prägt aber bis heute das Filmbild autistischer Personen: Sie mögen etwas verschroben sein und an einfachen Alltagsaufgaben scheitern, verfügen jedoch über eine geniale Inselbegabung. Gemessen an diesem Ideal wirkt Ronny vergleichsweise unauffällig. Wenn sich der fünfzehnjährige Junge etwas in den Kopf gesetzt hat, kann er allerdings sehr beharrlich sein, und vor diesem Hintergrund hat sich Lenkeit eine sehr interessante Geschichte ausgedacht.
Soundtrack: Rosemary Clooney & Perez Prado („Sway”), Natalie Cole („This Will Be”), Jack White („We Are Going To Be Friends”), Wham („Wake Me Up Before You Gogo”) Harry Chapin („Cat’s In The Cradle”), Perry Como („Papa Loves Manbo”), Tom McRae („Walking To Hawaii”)
Der zweite Film ist ohnehin dichter erzählt und daher deutlich fesselnder. Zu einem Klienten für Eva wird Ronny (Kasimir Pretzschner), weil sein Vater, ein bekannter Schauspieler, vorübergehend nach Leipzig zurückkehrt ist, um hier einen Film zu drehen. Der Teenager ist das Ergebnis einer flüchtigen Affäre; Curt Bach (Steffen Groth) hat sich um die Unterhaltszahlungen gedrückt, indem er in die Schweiz gezogen ist. Als Ronnys Mutter (Susanne Bormann) die Anwältin um Hilfe bittet, überrascht Eva den uneinsichtigen Star bei den Dreharbeiten mit einem Haftbefehl. Bachs Agentin (Lina Wendel) dreht den Spieß um und inszeniert für die Presse ein rührseliges Wiedersehen von Vater und Sohn; Blitzlichtgewitter und Stimmengewirr haben allerdings zur Folge, dass der Junge in Panik ausbricht.
Filmische Darstellungen von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung bemühen sich zumindest in den letzten Jahren größtenteils um einen halbwegs realistischen Ansatz. In Ronnys Fall hat sich Lenkeit an den Symptomen des Asperger-Syndroms orientiert. Dazu passt auch die fabelhafte Gedächtnisleistung: Der Junge ist Curts größter Fan und kann alle seine Filmdialoge auswendig. Als die beiden eine Szene nachspielen, die verblüffende Ähnlichkeit zu ihrer Situation hat, fehlt Ronny jedoch die Fähigkeit, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Fortan ist er überzeugt, dass Curt ihn zu sich und mit in die Schweiz nehmen will. Wie Lenkeit den Konflikt bei der abschließenden Gerichtsverhandlung durch ein bewegendes Plädoyer des Schauspielers auflöst, ist eine echte Überraschung.
Foto: Degeto / Erik Steingroever
Es ist nicht zuletzt die Liebe zum Detail, die den insgesamt vierten Film der Reihe von den anderen abhebt. Das hat neben der Handlung auch viel mit Regisseurin Annette Ernst zu tun. Ein besonderes Merkmal der Bildgestaltung gehört allerdings zur Handschrift der Reihe: Wenn Eva auf den Fluren des Gerichts mit dem doppelt so großen Richter Schmidt spricht, nimmt die Kamera nicht etwa seinen Blickwinkel ein, sondern ihre Augenhöhe. In anderen Szenen wird die Anwältin aus einer leichten Untersicht gezeigt. In einigen Szenen mit Ronny verdeutlicht der Film den massiven „Overload“, wenn allzu viele Sinnesdrücke auf den Jungen einstürmen, durch einen Wechsel in seine optische und akustische Perspektive. Sehr sympathisch sind auch die eingestreuten Zitate, etwa aus Loriots legendärem Nudel-Sketch.
„Schwesterherz“
Neue Figuren sind der einfachste Weg, Leben in die Bude zu bringen. Also stellt sich im fünften Film überraschend heraus, dass Hanno eine Schwester hat. Die Frau entspricht zwar bis hin zum klapprigen VW-Bus exakt dem freitags im „Ersten“ gern bedienten Hippieklischee, entpuppt sich aber als Spaltpilz: Connie (Clelia Sarto), als Lebenskünstlerin in jeder Hinsicht umtriebig, kann sich vorstellen, wieder bei der Mutter einzuziehen. Deren Eigenheim bietet zwar in der Tat viel Platz, aber hier leben ja auch Hanno und seine drei Kinder. Eigentlich hatte er gehofft, dass Eva irgendwann die WG komplettiert, doch in Anlehnung an das klassische Western-Motto ist klar: Dieses Haus wäre nicht groß genug für die beiden Frauen. Hannos Nachwuchs hingegen verehrt die unkonventionelle Frohnatur; prompt wird der gerade erst mühsam geschlossene Waffenstillstand zwischen Eva und Lili wieder brüchig.
Foto: Degeto / Thomas Dietze
Den zweiten Handlungsstrang hat Lenkeit ebenfalls heiter verpackt, obwohl es um ein Thema geht, das viele Großstadtbewohner betrifft: Der Vermieter will zwei Nachbarinnen Evas vor die Tür setzen. Gekündigt hat er bereits, nun folgt die Räumungsklage. In ihrer Not wenden sich die beiden Schwestern Renate und Anne Christ (Carmen-Maja Antoni, Barbara Schnitzler) an die Juristin, die alsbald ahnt, dass der angebliche Eigenbedarf bloß vorgeschoben ist. Die beiden alten Frauen leben seit dreißig Jahren hier, eine vergleichbare Wohnung in der vertrauten Umgebung könnten sie sich nicht leisten.
Soundtrack: Irene Cara („Fame”), Joe Cocker („You Can Leave Your Hat On“), Hindi Zahra („Beautiful Tango”), The Troggs („Wild Thing”), George Bizet („Carmen: Habanera”), Pérez Prado & Rosemary Clooney („Sway”), The Coasters („Down In Mexico”), Tom Jones („Sexbomb”), Vichenzo Orru („La musica”)
Lenkeit beschönigt den Skandal nicht, aber bislang hat Eva Schatz Probleme dieser Art stets gelöst. Außerdem versieht schon der Auftakt diese Ebene mit einem beschwingten Vorzeichen: Die Anwältin erledigt ihren Hausputz luftig gekleidet und tanzend zu den Klängen von Irene Caras Hit „Flashdance“. Es ist ohnehin interessant, wie die Filme regelmäßig den Körper der Hauptdarstellerin inszenieren: Wenn Menschen physisch nicht der vermeintlichen Norm entsprechen, werden sie meist auch asexuell dargestellt, aber bei „Einspruch, Schatz!“ gibt es in jeder Episode eine Bettszene. Musik spielt ohnehin eine große Rolle für die Atmosphäre der Reihe, zumal die Stücke gern einen Bezug zur Handlung haben: Leitmotiv für die juristische Ebene in „Schwesterherz“ ist die bekannte „Habanera“-Melodie aus der Oper „Carmen“. Wenn Sissi wegen ihrer jüngsten Eroberung (Nils Brunkhorst) wieder mal ganz wuschig wird, erklingt „You Can Leave Your Hat On“ von Joe Cocker, und der Rhythmus von „Fame“ fährt selbst der mürrischen Renate in die alten Knochen.