„Kunst kann niemals aus einem gesunden Organismus entstehen.“ Heinz Kilian kommt den Menschen gern mit solchen Sätzen. Er genießt es, alle Welt vor den Kopf zu stoßen. Applaus braucht er dennoch. Der Mann ist Schriftsteller. Auf 17 Romane hat er es gebracht. Ob es mehr werden, steht in den Sternen. Sein Name ist verblasst, dem Verlag geht es schlecht, seinem Magen nicht besser. Sein Verleger verordnet ihm eine Lesereise, sein Arzt eine Ernährungsberaterin. Das ist der Anfang einer gepflegten Feindschaft, die ausgetragen wird auf deutschen Landstraßen, in gesichtslosen Fußgängerzonen und billigen Hotels. „Ein kleines Sittenbild Deutschlands kurz nach der Jahrtausendwende“, verspricht Autor Martin Rauhaus. „Eine Beobachtung über das Leben in den Zeiten einer tief stehenden Kultursonne.“
„Ein starker Abgang“ ist ein intellektuelles Road-Movie, eine Reise ins Ich. Für den Kopfmensch Kilian, Kettenraucher und Kaffee-Junkie, wird die Luft zunehmend dünner. Seine Theorie von der „ungesunden Kunst“ klingt gut, doch sie bringt ihn dem eigenen Ende schneller näher, als ihm lieb ist. Der Misanthrop mit Magengrummeln, der sich so wortgewandt ärgern kann, reist mit einer Frau, die Körper und Geist mit Lebenslust zu verbinden weiß. Er tut sie ab als Müsli-Tante – bis er erfährt, dass in ihrem Haus früher Bloch und Adorno ein und aus gingen. Als Fahrer wurde ihm ein Lektor zur Seite gestellt, ein stiller, feinsinniger Mann, der im Lauf der Reise, das bekommt, was Kilian verwehrt bleibt: Liebe.
Es ist ein philosophischer Film, der neben Krankheit und Alter die großen Fragen des Lebens aufwirft und mit spielerischer Intelligenz und großen Leichtigkeit zu überzeugen weiß. Es wird viel geredet. Gelegentlich gleicht der Film von Rainer Kaufmann darin den amerikanischen Screwball-Comedies. Doch die Charaktere besitzen mehr als nur die Lust zum Schlagabtausch. Rauhaus’ Dialoge sind zum Zungeschnalzen. „Kompliment, Reden können Sie“, zollt ihm die Ernährungsberaterin nach einem „Auftritt“ in einer Autobahnraststätte Lob. „Beten wir, dass Sie Ihr Metier genau so gut beherrschen“, kommt es prompt zurück.
Dieser Kilian ist eine Figur von Format. Bruno Ganz spielt ihn – anders als Jack Nicholson in „Besser geht’s nicht“ – als typisch deutschen Menschenfeind, miesepetrig, voller inbrünstigem Pessimismus. Mit Sprache knüppelt er alles und jeden nieder. Gegen seine Boshaftigkeit hat selbst seine ebenso resolute wie stoisch ertragende Begleiterin keine Chance. Monica Bleibtreu spielt diese mit mehr Milde und Langmut als ihre Paraderolle in „Marias letzte Reise“, in dem sie sich als menschenwürdig sterbende Krebskranke in die Herzen der Zuschauer grantelte. Jenes große TV-Drama, das alle erdenklichen Preise abräumte, war auch von Rainer Kaufmann. Mit „Ein starker Abgang“ ist ihm nun wieder ein großer Wurf gelungen. Bruno Ganz kann hier seinen Hang zur Bühne ungestraft ausleben – großartig sein Spiel im Spiel. Monica Bleibtreu steht die Herznote bestens zu Gesicht. Harald Schrott und Fritzi Haberlandt machen dem Begriff „supporting actor“ alle Ehre. Und dass Kaufmann für Ein-Tagesrollen Größen wie August Zirner, Ulrich Noethen, Stefan Kurt oder Leslie Malton gewinnen konnte, spricht für sein Renommee. (Text-Stand: 25.7.2008)