Dschermeni

Steinhöfel, Döring, Irina Popow. Die Welt fein säuberlich in Gut und Böse aufgeteilt

Foto: ZDF / Patrick Popow
Foto Tilmann P. Gangloff

Bei allem Respekt für das ZDF, eine Geschichte über die Patchwork-Freundschaft zwischen Kindern unterschiedlichster sozialer und ethnischer Herkunft zu erzählen: Die sechsteilige Serie „Dschermeni“ (Tellux Film, Provobis, Sad Origami) steckt voller Klischees und erreicht nur selten echte emotionale Tiefe, zumal die jungen Darsteller zumindest anfangs recht steif agieren. Im Verlauf der weiteren Folgen emanzipiert sich die Serie zwar vom schwachen Start, doch am eher behäbigen Tempo ändert sich nichts. Der didaktische Ansatz erinnert stark an die oftmals mit erhobenem Zeigefinger inszenierte ZDF-Reihe „Achterbahn“.

Es ist aller Ehren wert, wie sehr sich ARD und ZDF im Kinderfernsehen um Themen wie Migration und Integration verdient machen. Neben entsprechenden Programmschwerpunkten im Kika werden die verschiedensten Aspekte immer wieder auch in Reihen & Magazin-Sendungen behandelt. Mit „Dschermeni“ gibt es nun erstmals eine Serie, die sich um nichts anderes dreht. Die sechs Folgen erzählen von der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen vier Zwölfjährigen: Moritz (Michael Sommerer), Rüyet (Sura Demir), Yassir (Julius Göze) und Aminata (Jodina Basomb). Das Drehbuch stammt von unter anderem Andreas Steinhöfel, dem Autor jener Bücher, die als Vorlage für die schönen „Rico, Oskar und …“-Filme dienten. Anders als dort sind die Protagonisten hier allerdings reichlich klischeehaft geraten, weshalb „Dschermeni“ über weite Strecken in die gleiche Falle tappt wie viele der dokumentarischen Kika-Beiträge: weil die Serie die Welt fein säuberlich in Gut und Böse aufgeteilt wird.

Auch im Erwachsenenfernsehen machen es sich ARD und ZDF in ihren Reportagen und Fernsehfilmen oft allzu leicht, indem sie die nicht ausnahmslos unberechtigten Vorbehalte der Menschen einfach ignorieren. Kommen sie doch einmal zur Sprache, werden sie regelmäßig von grobschlächtigen Gestalten vorgebracht, die dem Bild des hässlichen Deutschen entsprechen. Mit einer derartigen Szene beginnt auch die erste Folge: Nach der Schule wird ein Junge mit offenkundig arabischen Wurzeln von zwei kleinen Ariern angemacht, die im Unterricht nicht die Hellsten sind, sich über die „Extrawürste“ für Ausländer mokieren und dem Araber eine Abreibung verpassen wollen. Zivilcourage zeigt nun nicht etwa Moritz, sondern Rüyet, die sich den beiden mutig entgegenstellt. In Momenten wie diesen erinnert der didaktische Ansatz stark an die oftmals mit erhobenem Zeigefinger inszenierte ZDF-Reihe „Achterbahn“ (1992 bis 2002), in der es regelmäßig um ähnliche Themen ging.

DschermeniFoto: ZDF / Patrick Popow
Moritz (Michael Sommerer) und Rüyet (Sura Demir) freunden sich mit dem seltsamen Flüchtlingsjungen Yassir (Julius Göze) an und laden ihn in ihre geheime Hütte ein.

Gerade in der ersten Folge macht sich bemerkbar, dass das Budget offenbar überschaubar war und Regisseurin Irina Popow nicht das Geld hatte, um Hunderte Kinder bei Probe-Aufnahmen zu testen; die Dialoge sind gar nicht mal kompliziert, klingen aber trotzdem nicht spontan, die Gesten wirken unnatürlich. Moritz führt nicht nur als Erzähler durch die Serie, sondern auch Selbstgespräche, was beides überflüssig ist, aber gerade seine Sätze aus dem Off hören sich aufgesagt an. Mit zunehmender Drehdauer scheinen die jungen Darsteller jedoch sicherer geworden zu sein. Selbst die Kommentare von Moritz wandeln sich von der Handlungsverdoppelung zur sinnvollen Ergänzung. Junge Zuschauer haben mit solchen Einwänden ohnehin ungleich weniger Probleme als Erwachsene. Sie werden sich auch nicht an den fast schon ärgerlichen familiären Klischees stören: Rüyet lebt in einer Großfamilie, die Ausstattung sorgt mit ihren warmen bunten Farben für eine behagliche Atmosphäre. Die Mutter (Sascha Özlem Soydan) hat alle Zeit der Welt, um sich liebevoll um ihre Familie zu kümmern, und muss sich gegenüber ihrem verwitweten Schwiegervater (Vedat Erincin) regelmäßig dafür rechtfertigen, dass sie ihre Kinder „zu deutsch“ erzieht.

Bei Moritz, selbstredend Einzelkind, ist es genau andersrum: Seine Smoothie-Eltern sind beide berufstätig, weshalb er viel allein ist. Wenn die Familie zusammen frühstückt, hängt der Vater (Barnaby Metschurat) am Smartphone und die Mutter (Elisabeth Baulitz) hantiert mit dem Laptop; hier ist die Atmosphäre kühl und sachlich. Später sammelt der Vater weitere Minuspunkte, weil er keine Zeit hat, als Moritz in seinem Büro auftaucht. Immerhin leistet sich das Drehbuch eine kleine Überraschung: Rüyets großer Bruder entpuppt sich als schwul, was zum großen Familienkrach führt und zur Folge hat, dass alle Beteiligten Asyl im Flüchtlingsheim finden. Zum Abenteuer wird die anfangs eher überschaubare Geschichte, als Moritz, der für Gemeinschaftskunde das Projekt „Wohnen in Deutschland“ bearbeiten soll, eine frühere Stahlarbeitersiedlung am Stadtrand besucht und dabei einen versteckten See samt Hütte entdeckt. Einer der beiden kleinen AfD-Sprösslinge ist ihm jedoch heimlich gefolgt und wird die Hütte später aus Rache in Brand stecken.

DschermeniFoto: ZDF / Patrick Popow
„Flüchtlinge“: Rüyet (Sura Demir) und Moritz (Michael Sommerer) wollen im Amt dafür kämpfen, dass ihre Freunde Yassir (Julius Göze) & Aminata (Jodyna Basombo) in Deutschland bleiben dürfen. Ehrenwerter, zu didaktischer ZDF-Serien-Versuch.

Popow ist eine erfahrene Kinderfernsehregisseurin, sie hat neben diversen „Schloss Einstein“-Folgen an der Kika-Kurzfilmreihe „Unsere Zehn Gebote“ sowie an der Serie „Ein Engel für alle!“ mitgewirkt und den hübschen ARD-Märchenfilm „Die kleine Meerjungfrau“ gedreht. Bei „Dschermeni“ steht die flotte Musik (Mark Chaet) jedoch regelmäßig in deutlichem Kontrast zur Inszenierung: mal betont das musikalische Tempo die Behäbigkeit der Umsetzung, mal passen die fröhlichen Klänge nicht zum Inhalt, weil sich beispielsweise gerade eine Verfolgungsjagd ereignet. Die Erzählstruktur erinnert zudem an eine tägliche Serie: Ständig hüpft die Serie von einem Strang zum anderen, ohne eine Verbindung herzustellen.

Immerhin werden die Folgen inhaltlich gehaltvoller. Gerade die Flüchtlingsfiguren bleiben zwar klischeehaft, bekommen aber eine (Vor-)Geschichte: Die angeblich aus Mali stammende Aminata, deren Mutter, wie sie glaubt, im Mittelmeer ertrunken ist, stammt in Wirklichkeit aus dem Senegal. Weil sich ihr großer Bruder Youssouph einer Diebesbande angeschlossen hat, um die Schulden bei den Schleusern zu begleichen, droht der Schwindel aufzufliegen. Auch Yassirs Bruder gefährdet das Asylverfahren: Er hat sich auf einer Baustelle als Schwarzarbeiter verdingt. Die Serie wandelt sich zum Kinderkrimi, als sich Aminata der Leiterin des Flüchtlingsheims anvertraut, die Youssouph in den Keller sperrt. Als ihm die Flucht gelingt, klaut das Quartett kurzerhand ein Auto und nimmt die Verfolgung auf.

Gerade die Freundschaftsszenen sind Popow gut gelungen, und weil Moritz sein Schulprojekt zu „Leben in Deutschland“ umwidmet und Interviews mit den Flüchtlingen führt, kommt es zu einem Moment, der tatsächlich an die Nieren geht: Einer der Jugendlichen aus dem Heim erzählt ihm, wie er und sein Bruder gezwungen wurden, Kindersoldaten zu werden; sein Bruder hat sich geweigert und ist vor seinen Augen erschossen worden. Emotionen dieser Art weckt „Dschermeni“ jedoch zu wenige, dafür ist das Drehbuch viel zu oft viel zu oberflächlich. „Mali ist ein schlimmes Land“, sagt die Heimleiterin mal; eine Information, mit der die Kika-Zielgruppe, überwiegend Kinder im Grundschulalter, kaum etwas anfangen kann. Zu selten sind kleine verblüffende Ideen wie Moritz’ Einfall, eine Schaufensterkinderpuppe auf seinen Platz am Esstisch zu setzen, weil ihn die Eltern ohnehin nicht beachten. Immerhin trauen sich die Autoren, die Geschichte nicht komplett happy enden zu lassen.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Michael Sommerer, Sura Demir, Julius Göze, Jodina Basombo, Barnaby Metschurat, Elisabeth Baulitz, Sascha Özlem Soydan, Vedat Erincin, Eray Egilmez, Belinde Ruth Stieve

Kamera: Patrick Popow

Szenenbild: Jörg Fahnenbruck

Schnitt: Sabine Brose

Musik: Mark Chaet

Soundtrack: Michael Jackson („Black or White“

Redaktion: Katrin Pilz, Irene Wellershoff

Produktionsfirma: Tellux Film, Provobis, Sad Origami

Produktion: Martin Choroba, Johanna Teichmann, Klaus Döring, Andreas Steinhöfel

Drehbuch: Andreas Steinhöfel, Klaus Döring

Regie: Irina Popow

EA: 27.11.2017 20:10 Uhr | Kika

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