Brunetti hat viel zu verarbeiten. Gerade musste er seine Mutter beerdigen, da bereitet ihm ein totes Kind schlaflose Nächte: ein Roma-Mädchen, das offenbar bei einem nächtlichen Beutezug durch Venedig ins Wasser gefallen und ertrunken ist. Vielleicht ist es aber auch gestoßen worden. Die Venezianer sind nicht gut zu sprechen auf das fahrende Volk, das vor den Toren der Stadt campiert. Offenbar war in der verhängnisvollen Nacht auch ein kleiner Roma-Junge mit unterwegs. Brunetti sinniert über die Chancengleichheit, über den Segen und den Fluch, den Herkunft bedeuten kann, während sich der Vice-Questore im politisch korrekten Umgang mit ethnischen Minderheiten übt. „Hab ich gemacht, was ich machen soll“, fragt sich der Commissario, auf sein Leben bezogen. Seine Mutter hatte – als er im Alter des Roma-Jungen war – andere Pläne mit ihm. Vielleicht wäre er Priester geworden.
Die Donna-Leon-Krimis leben von Brunetti und von Uwe Kockisch. Je mehr dieser begnadete Schauspieler zu spielen bekommt, je mehr seine melancholische Ermittler-Figur lebt, umso besser sind diese Schönwetter-Krimis aus der Lagunenstadt, die viel zu selten so schön Trauer trägt. Schon allein dieser Aspekt macht „Das Mädchen seiner Träume“ zu einem der besten Brunettis der letzten Jahre. Aber auch alles andere ist mehr als nur einen Tick überzeugender. Das Ambiente der Roma und Sinti wird stimmungsvoll ausgeleuchtet, gibt dem Film geradezu etwas Archaisches. Die offenbar unvermeidliche, oftmals unerträgliche Humor-Ebene um Michael Degens Patta wird geschickt um das Motiv der Verlogenheit der politischen Korrektheit gebaut. Auch sonst streben die Drehbuchautoren eine für diese Degeto-Reihe, die die Und-dann-und-dann-Erzählung bevorzugt, ungewohnte Dichte an.
Diese dramaturgische Dichte, die mitgetragen wird von Szenen, die nicht viele Worte machen, lässt sich von Regisseur Sigi Rothemund auch sehr viel atmosphärischer als üblich auflösen. Und die Schauspieler? Sie sind entweder in den Mini-Rollen perfekt gecastet (insbesondere das Roma-Camp) oder sie zeigen in den etwas größeren Rollen ihre ganze Klasse (Tabatabai, Ullmann, Feifel, Mitic, Jäger). In drei Szenen zu überzeugen ist bekanntlich oftmals schwerer als in zehn Szenen, in denen man seinen Charakter entwickeln kann. Selten hat es so wenig gestört, dass deutsche Fernsehgesichter Italiener geben. Und selten wurde eine verstorbene Schauspielerin liebevoller aus einer Reihe entlassen als Christel Peters.