Donna Leon – Das goldene Ei

Kockisch, Köhler, Kogge. Der morbide Charme der venezianischen Bourgeoisie

Foto: Degeto / Nicolas Maack
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Krimis aus Venedig leben in der Regel nicht vom Nervenkitzel, sondern von den eindrucksvollen Schauplätzen; „Das goldene Ei“ macht da keine Ausnahme. Die Inszenierung ist routiniert, die Darsteller ebenfalls, und so ist es letztlich die Geschichte, die den besonderen Reiz dieses Films ausmacht: Nach dem Tod eines vermeintlich geistig Behinderten findet Brunetti heraus, dass der junge Mann unter erschütternden Umständen aufgewachsen ist. Das Mordmotiv führt Kockischs Commissario ins Herz der mächtigsten Familie Venedigs.

Nur gut, dass Donna Leon, obschon mittlerweile Mitte 70, nach wie vor Jahr um Jahr einen neuen Venedig-Romane veröffentlicht; anders als bei vielen anderen Krimireihen müssen die Drehbuchautoren daher keine eigenen Geschichten ausdenken, die mit den Büchern Leons nur noch Schauplatz und Figuren gemein haben. Selbst dann aber würden die Produzenten vermutlich dafür sorgen, dass jene unverwechselbare Atmosphäre erhalten bleibt, die den morbiden Charme der Reihe ausmacht: Wo sich sonst die Abgründe hinter gefälligen Fassaden verbergen, ist die „Serenissima“, die „allerdurchlauchteste Republik des Heiligen Markus“, innen wie außen verkommen. Diese Dualität nutzen auch die Filme schon seit einiger Zeit. Selbstredend bedient die Reihe nach wie vor die Erwartungen des Fernweh-TV; Regisseur Sigi Rothemund („Alles außer Mord“), gemeinsam mit seinem Stammkameramann Dragan Rogulj bislang für fast alle Leon-Verfilmungen zuständig, schickt seine Schauspieler immer wieder gern über berühmte Plätze. In „Das goldene Ei“ finden Befragungen von Verdächtigen schon auf dem Polizeiboot statt, und viele Szenen tragen sich auf der traumhaften Dachterrasse des Commissarios zu. Aber die Blicke vom Boot und die Einstellungen in den Gassen zeigen eben auch den Verfall und damit die Kehrseite des venezianischen Traums.

Donna Leon – Das goldene EiFoto: Degeto / Nicolas Maack
Befragung der Tante des angeblichen Selbstmörders. Uwe Kockisch, Karl Fischer & Imogen Kogge in „Donna Leon – Das goldene Ei“

Für die Geschichte gilt das erst recht. In ihrem 22. Brunetti-Roman schildert die Amerikanerin ein erbarmungswürdiges Schicksal, das schließlich tragisch endet. Davon hat Paola Brunetti (Julia Jäger) allerdings zunächst keine Ahnung, als Davide, der geistig behinderte Neffe von Reinigungsbesitzerin Maria Pia (Imogen Kogge), ihr die Wäsche heimträgt. Der junge Mann benimmt sich noch merkwürdiger als sonst, bricht schließlich vor dem Haus zusammen und stirbt im Krankenhaus. Bei einer Blutuntersuchung stellt sich heraus, dass er an einer Überdosis Betablocker gestorben ist, die er offenbar seiner Mutter entwendet hat. Die unsympathische Tante und die frömmelnde Mutter (Juliane Köhler) versichern, Davide sei unglücklich und lebensmüde gewesen. Brunetti (Uwe Kockisch) kommt die Sache seltsam vor: Warum ist der Junge zur Arbeit gegangen, wenn er doch wusste, dass er sterben würde? Für den Staatsanwalt (Wilfried Hochholdinger) ist der Fall allerdings klar. Aber dann entdeckt Paola zufällig, dass Davide offenbar keineswegs behindert war, sondern geistig verkümmert ist. Außerdem war er ein begabter Bildhauer; allerdings hat er immer wieder die gleiche kopflose Statue erschaffen. Die Erklärung für dieses Phänomen ist ziemlich erschütternd; Brunetti findet heraus, dass der Junge, der offiziell gar nicht existiert hat, unter menschenunwürdigen Bedingungen aufgewachsen ist. Die Antwort auf die Frage, warum der junge Mann sterben musste, führt ausgerechnet ins Domizil des reichsten Bürgers von Venedig; nun wird auch klar, warum der Staatsanwalt die Akte so schnell schließen wollte.

„Das goldene Ei“ ist kein vordergründig fesselnder Krimi, das Autorenduo Stefan Holtz und Florian Iwersen verzichtet bei seiner sechsten Donna-Leon-Adaption komplett auf herkömmlichen Nervenkitzel; deshalb klingt die vorzügliche Musik (Stefan Schulzki) ein paar Mal etwas zu dramatisch. Ansonsten aber resultiert die Spannung in erster Linie aus Brunettis wachsender Empörung und seiner gleichzeitigen Hilflosigkeit: Die Mord-Theorie ist nichts wert, solange er keine Beweise hat; und die einflussreiche Familie ist ohnehin unantastbar. Zum Standard der Filme gehören auch die kleinen Scharmützel in der Questura. Allenfalls Freunde der Reihe dürften sich darüber freuen, dass Brunettis Chef Patta (Michael Degen) mit großer Geste banales Fachwissen vorträgt, das er bei einer Fortbildung aufgeschnappt hat. Dafür verbietet er Brunetti, weiterhin die Recherchedienste der liebreizenden Sekretärin Elettra (Annett Renneberg) in Anspruch zu nehmen. Stattdessen weist er ihm ausgerechnet Alvise (Dietmar Mössmer) zu, der weder der Hellste noch der Schnellste ist.

Bemerkenswert wie stets ist die Besetzung; der Drehort veranlasst namhafte Schauspieler, auch für kleine Rollen zuzusagen. Besonders prägnant sind die wenigen Szenen mit Hans-Peter Hallwachs: Milliardär Ludovico Lembo war einst einer der mächtigsten Männer des Landes und ist heute an den Rollstuhl gefesselt. Hallwachs sagt im gesamten Film kein einziges Wort und spielt seine Figur mit Ausnahme der letzten Einstellung vollkommen reglos; das ist deutlich eindrucksvoller als die verdächtigen Mienen, die einige der anderen Nebendarsteller immer wieder mal aufsetzen müssen. (Text-Stand: 1.3.2016)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Uwe Kockisch, Julia Jäger, Michael Degen, Karl Fischer, Annett Renneberg, Nicolo Polesello, Juliane Köhler, Imogen Kogge, Karen Böhne, Hans-Peter Hallwachs, Michael Schenk, Bernd Stegemann, Laura-Charlotte Syniawa, Patrick Diemling, Wilfried Hochholdinger

Kamera: Dragan Rogulj

Szenenbild: Stephanie Ernst

Schnitt: Claudia Klook

Musik: Stefan Schulzki

Produktionsfirma: UFA Fiction

Drehbuch: Stefan Holtz, Florian Iwersen – Vorlage: Donna Leon

Regie: Sigi Rothemund

Quote: 6,59 Mio. Zuschauer (20,3% MA); Wh. (2021): 4,54 Mio. (19% MA)

EA: 31.03.2016 20:15 Uhr | ARD

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