Und wieder sorgt der Bodensee dafür, dass ein Verbrechen ans Licht kommt: 15 Jahre nach ihrem Verschwinden taucht die Leiche der damals 17jährigen Marie auf. Der Leichnam ist dank einer Wachsschicht erstaunlich gut erhalten. Dennoch tappt das deutsch-österreichische Ermittlerduo Oberländer (Koeberlin) und Zeiler (Nora Waldstätten) genauso im Dunkeln wie damals die Sonderkommission. Die künstlerisch begabte junge Frau führte trotz ihrer Behinderung durch Trisomie 21 ein offenbar unbeschwertes Leben. Die Obduktion ergibt, dass sie qualvoll an inneren Verletzungen gestorben ist, und so stellt sich die gleiche Frage wie vor 15 Jahren: Wer sollte einen Grund gehabt haben, dieses fröhliche Mädchen zu ermorden?
„Abgrundtief“ ist der zweite Film, den Hannu Salonen für „Die Toten vom Bodensee“ gedreht hat. Der Titel der ZDF-Reihe setzte zum Start im Jahr 2015 ein klares Zeichen: Das Besondere an den Krimis war der Schauplatz. Dann rückten der See und die faszinierend vielschichtige Landschaft in den gleichfalls von Andreas Linke inszenierten nächsten beiden Episoden, „Familiengeheimnis“ und „Stille Wasser“, immer stärker in den Hintergrund. Im vergangenen Jahr hat Salonen die Reihe übernommen. Der Finne lebt seit vielen Jahren selbst am Bodensee und sorgte dafür, dass die Region im vierten Film („Die Braut“) neben den beiden zentralen Figuren wieder die dritte Hauptrolle spielte. Merkmal vieler Arbeiten Salonens ist die suggestive Stimmung der Bilder; seinen Filmen ist regelmäßig anzusehen, dass er sich ausgiebig Gedanken über die optische Auflösung macht. Die Reihe und der Regisseur passen daher perfekt zusammen, denn die im Großraum Lindau/Bregenz entstandenen Krimis leben ganz wesentlich von einer gewissen Mystik, die Kameramann Jo Molitoris der Landschaft verleiht. Anders als bei der ARD-Vorabendserie „Wapo Bodensee“ erinnert die Bildgestaltung an skandinavische Krimis: Bei Salonen ist die Region kein Urlaubsparadies, sondern ein düsterer Ort, an dem Tote selbst nach 15 Jahren so aussehen, als seien sie erst vor kurzem gestorben; übrigens kein Mysterium, sondern ein ganz normaler Vorgang, der immer dann eintritt, wenn ein Leichnam nicht verwesen kann, weil der dazu nötige Sauerstoff fehlt. Die Hautfette bilden dann eine wachsähnliche Schicht (daher die Bezeichnung „Wachsleiche“).
Foto: ZDF / Petro Domenigg
Für Mystik im psychologischen Sinn sorgt als horizontales Erzählelement ein Kindheitstrauma von Zeiler, die als Kind bei einem Segelunfall ihre Eltern verloren und seither panische Angst vor dem See hat. Entsprechende in blau gehaltene Erinnerungsfetzen sorgen dafür, dass die Figur immer wieder aus ihrer seelischen Balance gerät, weshalb sich die Kriminalinspektorin mit einer ähnlichen Schutzschicht umgibt wie die Wachsleichen; ihr unterkühlter Auftritt, der komplette Verzicht auf Mimik und das betont bleiche Antlitz sind wesentlicher Bestandteil der Rolle. Der horizontale Beitrag des Familienmenschen Oberländer ist weniger spektakulär: Er ist von Gattin Kim (Inez Bjørg David) vor die Tür gesetzt worden, würde aber gern zu Tisch und Bett zurückkehren, was zu einer unerwartet witzigen Szene beim Paartherapeuten führt. Oberländers Biografie bereichert die Geschichte allerdings in anderer Hinsicht; es hat seinen Grund, warum dem Kommissar Maries Schicksal besonders nahegeht. Timo Berndt, der seit „Stille Wasser“ alle Drehbücher zu „Die Toten vom Bodensee“ geschrieben hat, liefert auch die Erklärung dafür, warum Oberländer so vernarrt in seinen klapprigen VW-Bus ist.
Leider gelingt es Salonen nicht ganz, das emotionale Engagement des Ermittlers auch auf den Fall zu übertragen. Dabei ist Marie (Tamara Röske) immer wieder in Rückblenden zu sehen, die Molitoris im Gegensatz zur kühlen Gegenwart in warme Herbstfarben getaucht hat. Die optische Sorgfalt zeigt sich nicht zuletzt an den Abnutzungsstreifen der Videoaufnahmen, die sich der Vater (Cornelius Obonya) oft anschaut. Schon der Auftakt sorgt mit seiner Parallelmontage für einen reizvollen Kontrast: hier die lebensfrohe junge Frau, dort die düster-kühlen Unterwasserbilder, beides unterlegt mit dräuenden Klängen, die dem Film ein musikalisches Vorzeichen geben. Selbst seine Trauer bewahrt Maries Vater jedoch nicht davor, ins Visier der deutsch-österreichischen Behörde zu geraten, auch wenn es recht weit hergeholt klingt, dass er seine eigene Tochter ermordet hat, damit er nach dem anschließenden Freitod seiner Frau eine andere (Katharina Stemberger) heiraten kann. Ansonsten funktioniert „Abgrundtief“ nach dem üblichen Krimischema „Irgendwer wird’s schon gewesen sein“, weshalb das Ermittlerduo schließlich sogar einen Exkollegen (Johannes Krisch) verdächtigt, dem der Fall selbst nach der Auflösung der Soko Marie noch jahrelang keine Ruhe gelassen hat. Immerhin gibt es ein spannendes Finale, wenn auch mit bitterem Ausgang, und am Schluss setzen Berndt und Salonen noch eins drauf, indem sie Zeiler für einen gemeinen Cliffhanger in eigener Sache sorgen lassen.