Die Polizistin Anne, Ende 20, hat es aus dem Brandenburgischen nach Rostock verschlagen. Der Job im tristen norddeutschen Einheitsgrau geht ihr an die Nieren. Auch das private Glück findet sich kaum hinter den Fassaden der Plattenbauten. Laila Stieler und Andreas Dresen erzählen in “Die Polizistin” von der anderen Seite des Berufs, dem Alltag, der Routine, den sozialen Ordnungsdiensten am Rande der Gesellschaft. Das, was in Krimis ausgespart bleibt, fängt der bemerkenswerte WDR-Fernsehfilm beinahe dokumentarisch ein. Die Kamera bleibt den Figuren auf den Fersen. Ein Hauch der dänischen “Dogma”-Filmer weht durchs Grobkorn des Bildes. So viel Realität war lange nicht!
Die Polizistin ist eine ganz normale, junge Frau. Sie tritt nicht weltverbesserisch auf, sondern als empfindsamer Mensch, der mit der Uniform nicht die Zivilcourage im Spint einschliesst. “Anne zieht sich den Beruf nicht als zweite Haut an, sie bleibt sie selbst”, sagt Hauptdarstellerin Gabriela Maria Schmeide. “Die Nahtstelle zwischen verlängertem Arm des Gesetzes und einem eigenen Empfinden von Moral und Gerechtigkeit”, hat Dresen am Berufsbild Polizist interessiert. “Die Polizei, das sind oft in der Realität die blöden Bullen, die einen nerven mit irgendwelchen Verkehrsvergehen. Oder sie treten im Fernsehen in Krimis auf.” Diesem Klischee wollten Dresen und Stieler etwas entgegensetzen. “Ich wollte einen Menschen zeigen, der zu gut ist für diese Welt, der gerne hilft, ohne in so ein zwanghaftes Helfersyndrom abzugleiten”, betont die Autorin.
Ein bisschen blauäugig ist die von Schmeide gespielte Anne schon. Warum sie zur Polizei gegangen sei, will der Vorgesetzte von ihr wissen. “Ich hab’ gern mit Menschen zu tun, was Solides – dacht’ ich”, kommt es fast entschuldigend für so viel Naivität aus ihr heraus. Schnell merkt die junge Frau, dass der Polizeialltag wenig Rücksicht nimmt auf solch hehre Motivation. Ein 10-jähriger Junge liegt ihr besonders am Herzen. Er leidet darunter, dass er seinen “Erzeuger”, wie seine Mutter ihn abfällig bezeichnet, nicht sehen darf. Die Polizistin versucht zu vermitteln. Dabei kommt sie auch dem Vater, einem russischen Kleinkriminellen, näher, der ihr wenig später im Dienst als Tankstellenräuber gegenüber steht.
“Die Polizistin” ist mit einer Beiläufigkeit und einem weiten Bogen erzählt und dennoch offen für kleine Episoden, wie man es sich öfters wünschen würde im Alltag zunehmend kurzatmig-knalliger Fernsehfilme. Über sieben Jahre erstreckte sich die Arbeit am Buch für die Autorin und Producerin Laila Stieler. Über zahlreiche Redakteursschreibtische gingen die Bücher, 15 Fassungen musste sie erstellen. “Die Dialoge sind mit der Zeit immer lakonischer, immer intensiver, immer dichter geworden”, so Stieler. “Man kann kaum von Handlung reden. Die eigentliche Handlung spielt sich im Innern der Figur ab.” Das Drehbuch ist von einer seltenen Konzentration, ohne stilisiert zu wirken. Der Alltag gibt den Rhythmus vor.
Dresen und Stieler sind ein starkes Gespann. Beide, der Potsdamer und die Ost-Berlinerin, haben sich auf dem gesamtdeutschen Film- und Fernsehmarkt bestens etabliert. Dresen seit seinem Kinoerfolg “Nachtgestalten” und Stieler durch ihre mehrfach Grimme-Preis-gekrönte Arbeit als Producerin bei der UFA. “Für mich trennt sich die Film- und Fernsehbranche nicht mehr in Ost und West”, sagt Dresen. Bei “Die Polizistin” habe er deshalb auch nicht nach Ost/West-Schema gecastet. Hauptdarstellerin Schmeide ist in Bautzen geboren, Axel Prahl kommt aus Schleswig-Holstein, Jevgenij Sitochin stammt aus Sibirien. “Ich suche mir die Schauspieler über Probeaufnahmen”, betont Dresen, der für seinen speziellen Realismus immer wieder neue Gesichter sucht. “Ich will vermeiden, dass sich die Schauspieler-Persönlichkeit vor die Figur schiebt.” Dresen ist sich sicher, dass “Die Polizistin” mit bekannten Schauspielern nicht funktioniert hätte. Der gespannte Blick auf die Darsteller und die Frage, “wie macht der’s denn dieses Mal”, wäre wohl tatsächlich der Tod jener Authentizität, wie sie Andreas Dresen anstrebt. (Text-Stand: 25.10.2000)