Ein liebender Patchworkfamilienvater gibt seine Tochter bei der Kinderbetreuung in einem Baumarkt ab und ward nimmer gesehen. Eine Schülerin macht sich auf den Weg zur Abiturprüfung – doch sie kommt nie in der Schule an. Ein Top-Terrorist wird nach 28 Jahren aus der Haft entlassen, Journalisten sind hinter ihm her – und dann ist er plötzlich verschwunden… Drei von sechs Geschichten der neuen ZDF-Serie „Die letzte Spur“. Es sind Kriminalfilme, die dadurch, dass sie nicht mit dem üblichen Mord beginnen, sich stärker dem Drama der Figuren öffnen, als es in einem klassischen Whodunit möglich ist.
„Im traditionellen Krimi geht es um die Sühne der Tat, bei Vermisstenschicksalen steht die Lebensrettung im Mittelpunkt“, so Redakteur Johannes Frick-Königsmann. „Damit lastet ein anderer Druck auf den Ermittlern; es geht – potenziell zumindest – immer um ein Menschenleben.“ Das zieht erzähltechnisch nicht nur einen anderen dramaturgischen Ablauf nach sich, sondern das wirkt sich auch auf die Form der Ermittlungen aus. Nicht nur, dass der Zeitfaktor noch entscheidender ist als bei der Klärung eines Verbrechens („oft zählt jede Minute“), dass einen Kommissar dieser temporäre Druck noch stärker moralisch unter Druck setzen kann, „das Letzte“ zu geben – auch die Dialoge können im Idealfall eine größere Intensität und emotionale Tiefe bekommen als die stereotypen „Wo-waren-Sie?“-Fragen.
„Fassen wir einen Mörder, macht das keinen mehr lebendig. Klären wir einen Einbruch, dann freut sich die Versicherung. Geht ein Dealer in den Knast, gibt es deswegen keinen Junkie weniger. Aber wenn wir einen Vermissten finden, dann helfen wir.“ So umschreibt der Neue im Viererteam der Berliner Vermisstenstelle die Motive, dort anzuheuern. Bei aller großstadtkrimigewohnter Lässigkeit der Ermittler spürt man das Engagement, die Bereitschaft zur Empathie, den Wunsch zu helfen, der sich in einem hohen und doch gepflegten Tempo äußert. „Wir versuchen, dicht an den Figuren, dicht an den Schicksalen dranzubleiben und diese zu beleuchten“, betont Regisseurin Judith Kennel („Unter anderen Umständen“). „Das Augenmerk liegt auf den Personen, den Figuren, dem Drama, das dahinter steht.“ In der Auftaktepisode mit dem konzeptionellen Titel „Verantwortung“ vermittelt sich das in den 45 Minuten schon sehr gut, obwohl diese Folge ja auch die Aufgabe erfüllen muss, die vier Kommissare einzuführen: Oliver Radek (Hans-Werner Meyer), der „moralische Kompass“ seiner Einheit; seine Stellvertreterin Mina Amiri (Jasmin Tabatabai), eine kess-sarkastische Vollblutpolizistin; die ehrgeizige Sandra Reiß (Susanne Bormann), immer auf Zack, und Daniel Prinz (Florian Panzner), Marke sensibler Draufgänger. Ein gutes Darsteller-Team, vor allem die weibliche Besetzung ist angenehm wenig dem TV-Mainstream verpflichtet.
Die Serie, für die „KDD“-Erfinder Orkun Ertener das Konzept entwickelte, verspricht mehr als sein letztes „Baby“, die nicht mehr als solide Böhm-Serie „Die Chefin“. Das fängt schon bei der Optik dieser sogenannten „Hoffnungskrimis“ an, wie Ertener sie getauft hat. „Wir wollen Berlin als einen wichtigen Bestandteil der Serie von allen Seiten zeigen, die rauen wie die attraktiven Seiten“, sagt Kennel. Das schließt auch die verschiedenen Tageszeiten mit ein. Die Lichtverhältnisse wechseln deutlich in der ersten Folge – und legen sich entsprechend auf die Stimmung. Das ist noch nicht „Nachtschicht“ – aber für ein 45-Minuten-Format doch bemerkenswert. Man könnte annehmen, Berlin wäre im Gegensatz zu München für eine Großstadtserie einfach auch das telegenere Pflaster. Da mag was dran sein. Aber es gibt immer Ausnahmen von der Regel: so die beiden starken „Kommissar-Süden“-Krimis mit Ulrich Noethen. Der von Dominik Graf bekam den Grimme-Preis. Und was hatten die doch gleich für ein Thema? Ach ja, Fälle von Vermissung! (Text-Stand: 27.3.2012)