Die letzte Reise

Hörbiger, von Borsody, Kronjäger, Klaußner, Näter, Baxmeyer. Lebenskluges Abwägen

Foto: Degeto / Svenja von Schultzendorff
Foto Rainer Tittelbach

Wie schön wäre es, einfach einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Eine 76-Jährige, im Kopf hellwach, doch hinfällig der Körper, kann nicht mehr ablassen von diesem Bild. Notfalls auch gegen den Willen einer ihrer Liebsten, die mit allen Mitteln den Suizid verhindern will. Kann man den Laden einfach dicht machen, wie es die Heldin in dem Fernsehfilm „Die letzte Reise“ salopp umschreibt? „Es werden die unterschiedlichen Positionen in dieser ethischen und sehr persönlichen Diskussion auf die Figuren verteilt und vom Publikum in ihrer Widersprüchlichkeit wahrnehmbar“, so Degeto-Chefin Christine Strobl. Der Film aber sieht dank der großartigen Christiane Hörbiger, des in seiner Rolle weltmännisch das Leben feiernden Burghart Klaußners, dank des achtsamen Umgangs mit den Themen Altwerden & Tod & einiger unvergesslicher Szenen gar nicht wie ein Themen- bzw. Thesenfilm aus.

Wie schön wäre es, einfach einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Katharina Krohn (Christiane Hörbiger) kann nicht mehr ablassen von diesem Bild. Sie ist 76, geistig fit, aber ihre Arthrose und eine chronische Lungenerkrankung machen ihr zu schaffen. Katharina will sterben, in der Schweiz, einschlafen und mit einem Lächeln vor ihren Schöpfer treten. Bisher hatte sie ein erfülltes Leben. Mithilfe der modernen Technik könnte sie wohl noch viele Jahre leben, aber sie fragt sich, was das für ein Leben wäre. Diese Frau ist müde, lebensmüde, Depressionen mischen sich in die Last des Alters. Es besteht kein Grund, ihren geistigen Zustand anzuzweifeln. Dennoch versucht ihre Tochter Heike (Suzanne von Borsody), die von dem Entschluss ihrer über alles geliebten Mutter entsetzt ist, einen Betreuer zu bestellen, sie also zu entmündigen, um sie so von dem geplanten Selbstmord in der Schweiz abzuhalten. Auch wenn Katharina um die emotionalen Hintergründe weiß, ist sie tief verletzt und bittet ihre andere Tochter Maren (Nina Kronjäger), sie vor Gericht zu vertreten. Es beginnt ein schmerzvoller Kampf, der allen Beteiligten Kraft kostet – und Spuren hinterlassen wird.

Die letzte ReiseFoto: Degeto / Svenja von Schultzendorff
Katharina (Christiane Hörbiger) sagt, wie es ist – wie sie ihr Leben empfindet: als einzige Qual. Ihre Töchter sind entsetzt. Suzanne von Borsody & Nina Kronjäger

Kann man den Laden einfach dichtmachen, wie es die Heldin in dem Fernsehfilm „Die letzte Reise“ (ARD-Degeto) salopp umschreibt? Kann man den Körper eines Menschen entsorgen wie ein altes Auto? Nicht jeder Metapher, mit der Autor Thorsten Näter seine Hauptfigur ihren Todeswunsch äußern lässt, möchte man zustimmen, aber in vielen ihrer Überzeugungen und Fürsprachen für ein eigenverantwortliches, selbstbestimmtes Leben ist man doch ganz bei ihr. Dann verblassen auf einmal die ungeschriebenen Regeln der Gemeinschaft oder die Gesetze der Gesellschaft. „Nur ich weiß, wie sich das anfühlt“, sagt sie in der Szene vor Gericht, in der ein Richter über ihren Geisteszustand befinden muss. „Dieses Leben ödet mich an, es quält mich und es ist unbeschreiblich, wie es sich dehnt“, so beschreibt sie ihr momentanes Dasein. Das sind zunächst (für den Außenstehenden) nur Worte. Dadurch aber, dass die Sterbenswillige die Interpretationshoheit über ihr eigenes Leben einklagt, sie ihr subjektives Empfinden betont, und auch durch die große Schauspielkunst von Christiane Hörbiger, die die körperliche Hinfälligkeit ihrer Figur absolut unprätentiös darstellt, versteht man als Zuschauer diese Frau zunehmend besser. Es sind eben nicht nur Plädoyers in einem Pro-und-Contra-Spiel. Man hat den Eindruck, dem Leben ein Stück weit beim Entschwinden zuzusehen. Mag „Die letzte Reise“ von Florian Baxmeyer im Rahmen des ARD-Themenabends auch als Diskussionsstück über das „Selbstbestimmte Sterben“ gedacht sein, so wird er doch für viele Zuschauer vor allem ein Film über den Tod sein, ein guter Film, der lange nachhallt.

Christiane Hörbiger, einst Wiener Mädl, dann Inbegriff der Grande Dame, schließlich große Komödiantin, ist in ihren Fernsehfilmen in den letzten Jahren zur Botschafterin für gesellschaftlich Relevantes geworden. In „Mathilde liebt“ (2006) spielt sie eine Witwe, die im reifen Alter ihren ersten Orgasmus erlebt. In „Wie ein Licht in der Nacht“ (2011) geht es um die verharmlosende, die schleichende und schließlich zersetzende Kraft des Alkohols. In „Stiller Abschied“ (2013) muss sich ihre Geschäftsfrau von der Alzheimer-Krankheit geschlagen geben. In „Auf der Straße“ (2015) landet ihre „Heldin“ in der unschönen Parallelwelt der Obdachlosen, und in „Bis zum Ende der Welt“ (2014) entwickelt ihre anfangs nicht vorurteilsfreie Figur ein Herz für Roma und andere Minderheiten. Die meisten dieser Filme sind nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht – vor allem in Hinblick auf ein Publikum, das an klassischen Themenfilmen interessiert ist, präsentiert als unverstellte Dramen mit einer Identifikationsfigur im Zentrum, Filmen, denen der Diskurs für Millionen mehr bedeutet als moderne Fernsehkunst oder der Grimme-Preis. „Die letzte Reise“ ist der bisherige Höhepunkt dieser beeindruckenden Problemfilm-Galerie von Christiane Hörbiger. Einen Flirt mit dem Tod hatte die Österreicherin bereits in „Luises Versprechen“ (2010). Nun aber ist es schon eher ein Zwiegespräch mit dem Tod geworden. Ein herzliches Willkommen – und doch ist dieser ARD-Fernsehfilm alles andere als eine Werbung für den Freitod.

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Verführung. Mit Wein, gutem Essen und sanften Worten versucht der Schweizer Arzt (Burghart Klaußner), der Sterbewilligen das Leben wieder schmackhaft zu machen.

Am überzeugendsten ist der Film, wenn er mit Stimmungsbildern aus dem Alltag arbeitet. Wenn sich Näter und Baxmeyer darauf besinnen, einfach nur vom Altsein zu erzählen. Von diesen kleinen Dingen, die nicht mehr gelingen wollen, und vom Ärger darüber. Wenn man sieht, was diese Hobbykünstlerin einst zu Papier brachte und wie sie jetzt mit Stift und Pinsel kämpft. Zu erfahren, dass sich diese alte Frau trotz Todeswunsch nicht klein machen lassen möchte, das gehört zu den aufmunternden Momenten in diesem keineswegs trostlosen Film. „Hat man Ihnen das so beigebracht, dass alt und blöd das Gleiche ist“, weist sie ihren neuen Pfleger gleich in den ersten Filmminuten zurecht und gibt damit zu verstehen, dass in ihrem Kopf nicht nur noch alles richtig tickt, sondern dass sie auch weiß, was Takt und Menschenwürde bedeutet. Auch wenn diese Alltagsbeobachtungen den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen, so ist der Konflikt mit der älteren Tochter keineswegs überflüssig, da er die Geschichte nicht nur dramatisiert, sondern sie auch emotional bereichert und die Beziehungen verdichtet. Denn hier treffen zwei sich liebende Menschen aufeinander, die Entscheidungen über den Kopf der anderen hinweg treffen. Beide sind Frauen, die das ganz und gar nicht mögen, wenn es der andere tut. Darin ist die von Suzanne von Borsody gespielte Tochter ganz die Frau Mama. Da ist es kein Zufall, dass in der Szene, in der sich die „Kontrahentinnen“ hoch oben auf einer Baustelle treffen und die wie ein Duell inszeniert ist, beide ähnlich gekleidet sind: großkariert, die eine in gelb-schwarz, die andere in rot-schwarz.

Gerade weil der Film im Detail (trotz einiger Geigen zu viel) so genau gearbeitet ist – wirkt der Teaser unpassend. Als ob man der Ruhe des Films, in dem sich das Thema, der leise Abschied aus dem Leben spiegelt, nicht vertrauen würde, hat man die übereilte Abfahrt der Mutter und die hektisch hinterher eilenden Töchter an den Beginn des Films gesetzt. Das dürfte eine späte Entscheidung gewesen sein. Sie ist ein dramaturgischer Missgriff, der letztlich wohl mehr Zuschauer irritieren dürfte, als ein ruhiger Beginn die einem solchen Film zugeneigten Zuschauer abgeschreckt hätte. Zur eigentlichen Fahrt in die Schweiz kommt es dann erst nach gut 20 Minuten. Dank des konzentrierten Spiels vor allem von Hörbiger, die selbst jede Solo-Szene zum Erlebnis macht, und der stimmungsvollen Inszenierung ist dann allerdings der aufgesetzte Einstieg bald vergessen. Erinnert wird er erst wieder, als die Heldin in einer Szene genau das sagt, was sie dem Zuschauer schon in jenem Intro als Off-Erzählerin mitgeteilt hat. Die Dopplung dieser Sätze betont nun etwas, was ansonsten glücklicherweise für den Film untypisch ist. Aus dem klugen, sinnlichen Themenfilm wird für einige Augenblicke plötzlich ein Thesenfilm, der Figurensätze nicht wie komprimiertes gelebtes Leben behandelt, sondern sie als Statements einsetzt, die man beliebig durch den Film schiebt.

Die letzte ReiseFoto: Degeto / Svenja von Schultzendorff
Was für ein Schmerz. Die eigene Tochter will die Mutter entmündigen lassen… Eine der wenigen Berührungen im Film zwischen der Mutter und einer ihrer Töchter. Katharina geht bewusst auf Distanz, da sie wohl befürchtet, den Freitod sonst nicht (ihrer Kinder wegen) übers Herz bringen zu können. Hörbiger, Kronjäger & Patrick Heyn

Vielleicht wird sich der Zuschauer ja nicht (so) viel denken ob des seltsam unrunden Einstiegs und sich schnell auf die eigenwillige Hauptfigur und den Sterbekonflikt einstellen. Es wäre zu hoffen. Denn nicht nur als Film über das Alt- und Gebrechlichwerden besitzt „Die letzte Reise“ seine Qualitäten, sondern auch als ein Film über das Sterben und das Leben. Dadurch macht er einem nebenbei mal wieder deutlich, wie gedankenlos die Unterhaltungsbranche, allen voran die Krimi-Monokultur des Fernsehens, mit dem Thema Tod umspringt. In diesem Film nun ist der Tod wieder die letzte Gewissheit im Leben. Aus der Unwiederbringlichkeit, die das Sterben nach sich zieht, resultieren außergewöhnliche Szenen. Eine lässt einen den Atem anhalten. Katharina muss bei der Sterbesituation einer jungen Frau die Zeugin geben. Man hört deren letzten Worte („Ich werde es trinken, weil ich sterben möchte“) und sieht ihr quasi beim Sterben zu. Zwei andere herausragende Szenen leben von der entgegen gesetzten Stimmung. Der Schweizer Arzt, der die Frau aus Deutschland begleiten wird, hält ihr immer wieder vor Augen, wie schön doch das Leben sein kann. In einer leisen, intimen Szene macht er es ihr mit Wein, gutem Essen und sanften Worten schmackhaft. In einer anderen zeigt er ihr (nach der bedrückenden Szene im Sterbezimmer) die erhabene Naturschönheit der Alpen. „Viele entscheiden sich für das Leben nach der Beratung“, ist einer seiner ersten Sätze. Man kann ihm, den Burghart Klaußner eindrücklich und zwischentongenau spielt, (und damit auch dem Film) nicht vorhalten, er hätte es nicht wenigstens versucht. (Text-Stand: 7.9.2017)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Christiane Hörbiger, Suzanne von Borsody, Nina Kronjäger, Burghart Klaußner, Rafael Stachowiak, Hedi Kriegeskotte, Karoline Bär, Felix Knopp, Matthias Bundschuh, Patrick Heyn

Kamera: Peter Joachim Krause

Szenenbild: Hans Zillmann

Kostüm: Vivian Schmitter

Schnitt: Ingo Ehrlich

Musik: Stefan Hansen

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Produktion: Markus Trebitsch

Drehbuch: Thorsten Näter

Regie: Florian Baxmeyer

Quote: 2,54 Mio. Zuschauer (8,3% MA)

EA: 02.10.2017 20:15 Uhr | ARD

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