Claudia und ihr Ehemann Michael sind Herausgeber eines Reisemagazins für alternativen Tourismus. Einst war es ein Herzensprojekt, doch mittlerweile nagen Arbeitsstress und der Kampf ums Überleben des Verlags an den Visionen und vor allem am Familienglück. Sohn Jonas soll ins Internat abgeschoben werden; es bleibt keine Zeit für die Großeltern – und wann haben die Tourismus-Profis zuletzt selbst mal Urlaub gemacht?! Der plötzliche Tod von Claudias Mutter, die rund 50 Jahre mit ihrem Liebsten Rainer auf einem Lastkahn über den Rhein schipperte, könnte nun eine Wendemarke im Leben des Ehepaars darstellen. Aber es bedarf erst eines mehrtägigen Ausflugs auf der romantischen alten „Fortuna“, inklusive Flussbestattung, um den vorübergehend heftig gestörten Familienfrieden wiederherzustellen.
Die Story klingt nach Friede, Freude, Degeto-Mär – doch der bloße Handlungsverlauf beschreibt diesen emotional fein ausgeloteten Film von Christoph Schrewe nach dem lebensklugen und dramaturgisch cleveren Drehbuch von Ilja Haller nur unzulänglich. „Die letzte Fahrt“ legt ein flottes Tempo vor. Nach wenigen Minuten ist man im Bilde über die Lebenssituation der Familie, über die beruflichen Perspektiven, die amourösen Versuchungen, die kleinen Sehnsüchte und biographischen Prägungen, die sich im Alltag spiegeln. So bekannt einem das vorkommen mag, auch Ungewöhnliches halten die Parallelmontagen zu Beginn des Films für den Zuschauer parat: Wer hat schon Eltern, deren Leben die Binnenschifffahrt ist?! Auch die Beerdigung, die Entwendung der Asche, die Tage des Großvaters an Land, Probleme mit der Übernahme des Verlags – alles geht zügig vonstatten, um dem Höheren zuzustreben: einer wunderbaren Flussfahrt mit Kind und Kegel, die aufs Vortrefflichste die diversen Stimmungslagen an Bord einfängt und immer wieder entspannend ausschwingt in den Bildern vom ewigen Fließen & Gleiten durch die Natur und die eigene Lebensgeschichte.
Das Reisen setzt Erinnerungen frei, motiviert zum Nachdenken und zum Pläne schmieden. „Die letzte Fahrt“ ist natürlich kein existenzieller Diskurs und auch keine filmische Familientherapie – aber all diese Möglichkeiten schwingen mit. Die Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens direkt an der sinnlichen Quelle, dem Fluss der Deutschen, das ist für einen Fernsehfilm eine vorzügliche Idee. Die Fallhöhe gering zu halten, das Beziehungsgespenst „Seitensprung“ nur sehr dezent (und gar nicht mal so unrealistisch) mitzuführen – auch das sind gute dramaturgische Entscheidungen. Dass die Umsetzung dieser Ideen auch noch gelungen ist, macht diese Rheinfahrt im „Ersten“ zu einem Ausnahmefilm am Freitagabend.
Die Liste der Besonderheiten ist lang. Da sind die Schauspieler: das Strahlen von Julia Jäger, das Charisma von Thomas Sarbacher, der Happy-End resistente Brummbär-Gestus von Heinz Baumann. Da sind die Kinder, Sammy Scheuritzel und Stella Kunkat, glaubwürdig besetzt, ihr Ding machend. Da ist die Enge des Kahns – wie soll man sich hier aus dem Weg gehen? Da ist die Weite des Blicks, die Rheinlandschaft, die auch dem Zuschauer das Träumen oder das Sinnieren erlaubt. Da ist die sinnstiftende Politik der Blicke und die kindliche Interpretation des Gesehenen: „Das sieht nicht gut aus. Genauso wie bei meinen Eltern. Der eine redet, der andere verschränkt die Arme – und irgendwann lässt der eine den anderen einfach stehen.“ Da ist der Tanz zu George Michael in der Mini-Küche. Pointierte Dialoge: „Geh mal zum Friseur – und dein Bart macht einsam.“ Präzise Alltagsdialoge: „Hast du das gestern Abend ernst gemeint oder war das wieder nur nicht so gut mit Worten umgehen können?“. Und da ist eine Kamera, die auch ein Wörtchen mitreden möchte. Fazit: auf diese Reise muss man sich vorbehaltlos einlassen wollen, seine Vorurteile, das Sujet betreffend, sollte man an Land lassen, dann kann „Die letzte Fahrt“ ein ungeahnter Gewinn sein. (Text-Stand: 15.4.2013)