Die Frau vom Checkpoint Charlie

Veronica Ferres als die Löwin vom Checkpoint Charlie im ARD-Zweiteiler

Foto: MDR
Foto Rainer Tittelbach

Missglückter Fluchtversuch, Haft, Trennung von den Kindern – Jutta Gallus wurde in den 1980er Jahren zum Symbol für das Unrecht in der DDR. Der überzeugende, sehr bewegende ARD-Zweiteiler von Miguel Alexandre nimmt sich bei der Umsetzung einige Freiheiten.

„Schon in den 80er Jahren haben mich die Zeitungsberichte über Jutta Gallus aufgewühlt“, erinnert sich Veronica Ferres, „ich sehe das Foto, das von ihr in den Nachrichten gezeigt wurde, noch genau vor mir.“ Die Schauspielerin ist stolz, jene mutige, couragierte Frau ein Vierteljahrhundert später spielen zu dürfen. In „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ von Miguel Alexandre wird aus Jutta Gallus, die heute Jutta Fleck heißt, Sara Bender.

Sie ist ebenso kämpferisch wie ihr Vorbild in der Realität. Auch sie steht bei Wind und Wetter an jenem berühmt-berüchtigten Berliner Grenzübergang, ein Plakat umgehängt mit der Aufschrift „Gebt mir meine Kinder zurück!“ Auch sie versucht alles, um ihre Kinder wiederzubekommen. Sie schaltet die Presse ein und sie reist zur KSZE-Konferenz nach Helsinki, um ihrem Anliegen Ausdruck zu verleihen. Gallus ging sogar noch weiter, sie kontaktierte den Bundestag und erhielt eine Audienz beim Papst. Für alle Aktivitäten dieser einfallsreichen Person hätten die 180 Minuten nicht ausgereicht. „Wir mussten uns von den realen Ereignissen lösen, mussten verdichten, verdeutlichen“, so Autorin Annette Hess. Ihr ging es weniger darum, die Wirklichkeit abzubilden, als vielmehr darum, „eine mögliche Wahrheit zu erzählen“. Ihr Drehbuch basiert auf dem Tatsachenroman von Ines Veith.

Im wirklichen Leben gab es keinen massiven Anlass, der DDR den Rücken zu kehren. „Es war ein jahrelanges Unwohlsein, hier eine Schikane, da ein Anecken, was letztlich bei Jutta Gallus zu dem bedeutenden Entschluss führte“, so die Drehbuchautorin. Im Film musste da mit Dramaturgie ein bisschen nachgeholfen werden. Weil die DDR-Behörden der Heldin, nachdem ihr beim „Klassenfeind“ lebender Vater verunglückt ist, den Besuch im Westen verweigern, kommt das Fass zum Überlaufen: Sie, die schon seit längerem in den Akten als „potenzielle Staatsfeindin“ geführt wird, ist sich nun ganz sicher, dass ihre Zukunft und die ihrer beiden Kinder, Silvia und Bine, nicht in der DDR liegen wird.

Die Frau vom Checkpoint CharlieFoto: MDR
Nicht ohne meine Kinder. Elisa Schlott, Veronica Ferres und Maria Ehrich in „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ (ARD, Arte, 2007)

Auch wenn Peter, ihre Liebe, nicht mitkommen sollte, sie will raus, kann in diesem Land nicht länger atmen. Sie stellt einen Ausreiseantrag, doch er wird abgelehnt. Während sie die Flucht über Rumänien und Jugoslawien plant, wird ihre Wohnung fachmännisch verwanzt und abgehört. „Sie sitzen hier und ich kann in sie hineinsehen wie in ein Glas“, sagt zu ihr wenige Wochen später ein Stasi-Oberst beim Verhör. Sie sitzt allein wie in einem Käfig. Die Stimme des Gegenübers kommt aus dem Nichts. Der Stasi-Mann weiß alles über sie. Jemand aus ihrem direkten Umfeld muss sie verraten haben. „Auch in der Wirklichkeit wurden die Fluchtpläne von Jutta Gallus verraten“, so Annette Hess.

Der erste Teil endet mit der Verhaftung und der Verurteilung. Die versuchte Republikflucht wird wegen „Uneinsichtigkeit“ mit drei Jahren Haft bestraft, Sara Bender wird außerdem die mütterliche Pflegschaft aberkannt und ihre Töchter kommen in ein Kinderheim. Der schlimmste Moment in den sechs Jahren der Trennung war für Jutta Fleck die Situation nach der Verhaftung. „Ich schaute durch die Bullaugen des Flugzeugs und musste zusehen, wie sie meine Kinder abführten“, erinnert sie sich. Ein Moment der völligen Ohnmacht. Einziger Lichtblick in dieser schrecklichen Situation war die Reaktion der Kinder: „Wir halten zu dir und haben dich ganz doll lieb!“, riefen sie ihr zu. Sie habe nur geistesabwesend gewinkt und versucht, sich ein Lächeln abzuringen.

Im Film wird auch diese Trennungsszene ein wenig verändert, um die Nähe von der Mutter und ihren Kindern besonders zu betonen. Die Kinder klammern sich an die Mutter. Die Kamera geht ganz nah heran. Und mit den Worten „Egal, was auch passiert, am Ende sind wir wieder zusammen“ gibt die Heldin ein Versprechen, das nicht nur emotional wichtig ist für die Kinder, sondern auch für den Zuschauer. „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ geht zu Herzen. Da braucht man mitunter die Versicherung, dass es ein Happyend geben wird.

Die Frau vom Checkpoint CharlieFoto: MDR
Dann schon lieber ohne den Mann! Peter Kremer und Veronica Ferres

Mag der Film in vielen Dingen nicht authentisch sein – die emotionalen Wechselbäder, durch die die Heldin gehen musste, die im zweiten Teil von der BRD freigekauft wird (deren Kinder aber nicht nachkommen dürfen), scheinen treffend nachempfunden. „Der Film hat mich total berührt“, sagt jedenfalls Jutta Fleck. „Veronica Ferres spielt sehr nahe an dem, was ich gefühlt habe.“ Eine Frau, getrieben von der Liebe zu ihren Kindern, eine Kämpfernatur – eine Rolle, wie sie die Ferres so gerne spielt. Bei dem Zweiteiler kam erschwerend hinzu, dass es ein reales Vorbild für die Rolle gab und dass die Schauspielerin „enormen Respekt“ vor dieser Frau hatte. „Es ist eine große Verantwortung, die Biografie und den Kampf von Frau Gallus gebührend darzustellen.“ Bei dieser Rolle habe sie sich besonders auf ihr Einfühlungsvermögen verlassen. „Ich habe mir vorgestellt, wie grausam es ist, wenn dir jemand das Liebste, was du hast im Leben, deine Kinder, gewaltsam wegnimmt“, erinnert sich Ferres. „Diese Vorstellung hat so viel Raum in mir eingenommen, dass es fast so ist, als hätte ich alles selbst erlebt.“ So wurde sie zur Löwin vom Checkpoint Charlie.

Der Film erzählt eine (fast) wahre Geschichte im Stile eines großen zeitgeschichtlichen TV-Dramas. Besonders beim „Look“ hatte Regisseur Miguel Alexandre den „Anspruch, so nah wie möglich an die historische Realität heranzukommen“. Die Ausstattung erreicht den von Szenenbildner Lothar Holler durch Filme wie „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin“ selbst vorgegebenen hohen Standard, eindrucksvolle Arbeit leistet auch die Kostümbildnerin Ingrid Zoré und die Kamera von Jörg Widmer ist stets auf der Höhe der Zeit.

Der Checkpoint Charlie wurde in Leipzig nachgebaut – allerdings mit einem geringeren Abstand zwischen den amerikanischen Grenzhäuschen und dem DDR-Wachturm. Der Grund: „Alle bekannten Fotos von dieser Grenze wurden einst mit langer Brennweite aufgenommen und somit ist der Abstand im Gedächtnis des Publikums geringer, als er in Wirklichkeit war“, so Alexandre. Was die erzählte Geschichte angeht, war es ihm „wichtig, ein möglichst differenziertes Bild der Menschen im Osten zu geben“. Selbst aus dem Hauptspitzel im Film, den es in dieser Form in der Realität nicht gab, wird ein Mensch, der in die Zwickmühle gerät.

Bei aller historischen Korrektheit kam es den Machern auch auf eine gewisse Universalität der Geschichte an. „Mein Ziel war es, so zu erzählen, dass selbst ein Publikum in Südamerika oder Australien die Figuren in der Geschichte menschlich nachvollziehen kann“, betont Miguel Alexandre. Es geht um Liebe, Zivilcourage, um Mut, Feigheit, Verrat und die Macht der Erfahrung. Insbesondere die Schwierigkeit der Heldin im Westen, Menschen, vor allem Männern zu vertrauen, ist ein Reflex auf ihre schlechten Erfahrungen, die sie in der DDR machen musste. Auch in solchen psychologischen Nuancen ist dieser perfekt auf der Genre-Klaviatur Hollywoods spielende Film stimmig. Das Spiel der Darsteller – neben der überzeugenden Ferres besticht Peter Kremer mit seinem vielschichtigen Doppelspiel und Filip Peeters als ein Gesicht, das etwas Leichtigkeit in den (melo)dramatischen Film bringt. Unglaublich gut ist auch das Spiel der beiden Kinderdarsteller Maria Ehrich und Elisa Schlott, die in nichts den erwachsenen Charakterdarstellern nachstehen. (Text-Stand: 28.9.2007)

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ARD Degeto, BR, MDR, rbb

Mit Veronica Ferres, Peter Kremer, Filip Peeters, Maria Ehrich, Elisa Schlott, Julia Jäger Jörg Widmer

Szenenbild: Lothar Holler

Produktionsfirma: UFA Fernsehproduktion

Drehbuch: Annette Hess

Regie: Miguel Alexandre

EA: 28.09.2007 20:40 Uhr | Arte

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