Deutschland, Mitte der 50er. Das Wirtschaftswunder hält Einzug auch in die schwäbische Kreisstadt, in der der Oberbürgermeister Gerd Vorweg und seine Gattin Katharina eine Vorzeige-Ehe führen. Der Schriftzug eines führenden Wäscheherstellers leuchtet über der Stadt. Was man nicht sieht: dass dafür die Ehefrau des ehrwürdigen Stadtoberhaupts dem Entscheidungsträger sexuell zu Diensten sein musste. Der Wohlstand hat seinen Preis.
Oliver Storz, der am 30. April 80 Jahre alt wird, versteht seinen neuen Film als „einen Blick hinter die Kulissen einer bürgerlichen Wohlanständigkeit in das Dunkel des Verbotenen“. Der Pionier des deutschen Fernsehspiels zwingt Karoline Eichhorn, Stefan Kurt und Matthias Brandt in ein Kammerspiel um Verdrängung und Aufbruch. In „Die Frau, die im Wald verschwand“ zeigt er den braven Konsumfetischismus, die Muffigkeit und die Lebenslügen jener Jahre. Doch sie sind für den Autor und Regisseur nur die eine Seite. „Hinter den Kulissen ging es anders zu – da gab es alles, von der Romantik heimlicher Liebe bis zur Obsession des Perversen.“
Foto: SWR / NDR
Vor allem ist es die Figur der Katharina Vorweg, die eine Vision von einem anderen Denken, einem anderen Lebensstil, einer anderen Sensibilität an den Tag legt. Sie ist die First Lady einer Kleinstadt, die vom Fortschritt träumt, eine First Lady mit Panikattacken. Sie kann und will die Gräuel des Kriegs und die deutsche Schuld nicht vergessen. Diese Frau im „goldenen Käfig“ trifft auf einen Mann, der ebenfalls nicht vergessen kann, einen, der zu den Verlierern der Geschichte gehört – ein Seelenverwandter. Doch jener Horst Karg, ein Freund ihres Mannes aus Kriegstagen, nähert sich ihr zunächst allein in der Absicht, Vorweg zu schaden. Storz, der die Theaterschauspielerin Karoline Eichhorn vor 16 Jahren für den Film entdeckte und ihr mehrfach außergewöhnliche Frauenrollen auf den Leib schrieb, tat gut daran, dass er die Liebes- und Emanzipationsgeschichte ihrer Katharina ins Zentrum seines Films rückte.
Während Stefan Kurt und Matthias Brandt in ihren theatralen Wortduellen viel Vorgeschichte nachreichen müssen, wirkt Eichhorn mit Vespa und existenzialistischer Note wie ein leise rebellierender Vorbote der 60er Jahre. Ihre Katharina will sich dem Leben und der Geschichte stellen, ohne sich die schönen Dinge des Lebens zu verkneifen. Das gibt dieser Figur eine universale Größe. Bricht man heute die Historie stets herunter auf Biografisches, auf Individuelles, geht Storz den umgekehrten Weg. Er stattet seine Figuren mit den Insignien einer Zeit aus, macht sie zu Stellvertretern von Wertvorstellungen.
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Mit Widersprüchen und sozialen Konflikten wurde Oliver Storz früh in seinem Leben konfrontiert. Diesen Zwiespalt im kollektiven Bewusstsein verarbeitete er immer wieder in seinen Filmen. Nationalsozialismus, Kriegszeit und Nachkriegszeit sind Schwerpunkte seiner Arbeit als Autor und Regisseur. Nachdem er in den 80er Jahren schon einmal dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und seinen Folgen eine Trilogie widmete, schrieben die ersten beiden Filme seines zweiten Filmzyklus’ zum Thema Fernsehgeschichte. In „Drei Tage im April“, der vollständig in Thüringen gedreht wurde, unter anderem in Sömmerda und in der Gemeinde Hardisleben, zeigte er die gelebten Widersprüche eines schwäbischen Dorfes kurz vor der so genannten „Stunde Null“ und in dem Grimme-Preis-gekrönten Schuld-und-Sühne-Drama „Gegen Ende der Nacht“, das sich zum stimmungsvollen Psychokrimi auswächst, machte er wie später auch in „Drei Schwestern made in Germany“ deutlich, dass es jene „Stunde Null“ nie wirklich gegeben hat. Aufsehen erregte auch „Im Schatten der Macht“, jener Zweiteiler über Willy Brandt und das Intrigenspiel um den Fall Guillaume.
Der gebürtige Mannheimer ist ein Anhänger der Dramaturgie der alten Schule, die sich am klassischen Drama und dem szenischen Spiel orientiert. Diese Ästhetik mag für viele heute gewöhnungsbedürftig sein, Storz’ Geschichten aber, in denen es immer um etwas geht, sind es nicht. Auf sie kann das Fernsehen nicht verzichten kann. (Text-Stand: 29.4.2009)