Die Diplomatin – Mord in St. Petersburg

Wörner, Beyer, Mahnkopf, Roland Suso Riochter. Die Grenzen zwischen Gut & Böse

Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Titel täuscht. „Mord in St. Petersburg“ spielt nicht etwa in Russland, sondern beschert der Titelheldin der Degeto-Reihe „Die Diplomatin“ (UFA Fiction) ihr erstes Heimspiel: Als der russische Geheimdienst auf dem BER-Flughafen einen Journalisten entführt, wird die gerade in ihrer Heimatstadt urlaubende Botschafterin (Natalia Wörner) als Vermittlerin eingeschaltet. Angeblich hat der Deutschrusse in St. Petersburg seine Frau ermordet, aber Karla Lorenz ahnt, dass mehr dahintersteckt, und stößt schließlich auf eine Verschwörung, die die Demokratie aus den Angeln heben soll. Geschickt verknüpft Drehbuchautorin Rebecca Mahnkopf das Komplott mit großen emotionalen Momenten: Das Entführungsopfer ist Karlas bester Freund, und sie nimmt seine Tochter unter ihre Fittiche. Regie führte Roland Suso Richter; sein vierter Film für die Reihe zeichnet sich erneut durch eine herausragende Bildgestaltung aus.

Mag sein, dass Episodentitel bei Reihen und Serien Schall und Rauch sind, aber „Mord in St. Petersburg“ ist dennoch eine unglückliche Wahl: Der sechste Film mit Natalia Wörner als Botschafterin spielt keineswegs in Russland, sondern ausschließlich in Berlin; und die Frage, ob es sich bei dem Todesfall um Mord, Suizid oder ein tragisches Unglück handelt, bleibt lange offen. Selbst die Krimiassoziationen, die der Titel weckt, führen in die Irre, denn Autorin Rebecca Mahnkopf erzählt eine Geschichte, die so ungeheuerlich ist, dass sie in ihrer Komplexität genug Stoff für einen Roman bieten würde. Clever lockt der Film zunächst jedoch auf eine völlig andere Fährte: Mitglieder des russischen Geheimdienstes entführen am Berliner Flughafen einen deutsch-russischen Journalisten. Nikolaj Petrow, Spitzname Kolja (Beat Marti), ist ein alter Freund von Karla Lorenz, die nach ihrer Zeit in Prag vor dem Wechsel an die deutsche Botschaft in Rom steht. Weil sie den Urlaub mit ihrem tschechischen Freund Jan (Alexander Beyer) in Berlin verbringt, wird sie in die Verhandlungen mit der russischen Botschaft einbezogen. Durch Zufall kommt sie einem Komplott auf die Spur, das die deutsche Demokratie kurz vor der Bundestagswahl aus den Angeln heben soll.

Die Diplomatin – Mord in St. PetersburgFoto: Degeto / Roland Suso Richter
Abschied am Flughafen: Wenig später wird der deutsch-russische Journalist Nikolaj Petrow, Spitzname Kolja (Beat Marti), ein alter Freund von Karla Lorenz, entführt.

Die Handlung hat zwar großen Erklärungsbedarf und wird zudem immer komplizierter, aber Mahnkopf, von der unter anderem die Vorlage für die Drehbücher der ersten beiden „Amsterdam-Krimis“ stammt, hat es mit großem Geschick verstanden, die vielen notwendigen Erläuterungen ohne lange Monologe zu vermitteln. Gelungen ist auch die Balance zwischen Emotions- und Informationsebene: Kolja und Karla sind seit ihrer Kindheit beste Freunde. Der Kontakt ist jedoch abrupt abgebrochen, als der Kriegsreporter vor sechs Jahren während des Bürgerkriegs in Syrien zwölf Monate in Geiselhaft verbringen musste. Damals ist er nicht nach Berlin zurückgekehrt, sondern nach St. Petersburg, wo er mit einer bekannten Moderatorin des russischen Staatsfernsehens zusammenlebt. Diese Frau ist kürzlich vom Balkon der gemeinsamen Wohnung gestürzt. Kolja steht nun unter Mordverdacht, daher auch die Entführung, aber Karla ahnt, dass noch mehr dahinter stecken muss.

„Mord in St. Petersburg“ ist Roland Suso Richters vierte Arbeit für die Reihe. Wie alle seine in der Regel stets sehr aufwändig wirkenden Inszenierungen imponiert auch diese durch die herausragende Kameraarbeit von Max Knauer und Andrés Marder; gerade mit Knauer hat Richter einige visuell bemerkenswerte Episoden für die Donnerstagsreihe „Der Zürich-Krimi“ gedreht. Da sich die Handlung größtenteils abends oder nachts zuträgt, spielen viele Szenen im Zwielicht. Das passt perfekt zu diesem Stoff aus der Schattenwelt der Diplomatie: Vordergründig werden lächelnd Höflichkeiten ausgetauscht, aber im Hintergrund bekämpfen sich die Systeme mit allen Mitteln. Das hier „GT“ genannte russische Auslandsfernsehen ist unschwer als „Russia Today“ zu erkennen; der deutsche Ableger des Senders soll mithilfe von falschen Fakten und Desinformation dazu beitragen, die Demokratie zu destabilisieren. Mahnkopf geht allerdings noch einen Schritt weiter, und das ist das gleichermaßen Erschreckende wie auch Fesselnde an ihrem Szenario, in dem schließlich die Grenzen zwischen Gute und Böse verschwimmen: Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen.

Die Diplomatin – Mord in St. PetersburgFoto: Degeto / Roland Suso Richter
Über den Dächern von Berlin und nicht von St. Petersburg. Wegen Corona gibt es diesmal einen „Auftrag“ im Inland. Knifflige Lage auch in der Handlung des Films, in dem wie immer bei dieser Reihe der Look stimmt. Wörner, Michael Ihnow & Thomas Heinze

Etwa in der Mitte kommt dem Film kurz die Spannung abhanden, aber er fängt sich wieder. Die Bildgestaltung bleibt ohnehin eindrucksvoll: Über vielen Aufnahmen scheint ein Grauschleier zu liegen; eine passende optische Analogie zu den diversen Verschleierungs-Versuchen. Die spannungsfördernd mit elektronischer Musik von Chris Bremus unterlegten Bilder sind ohnehin geprägt von dunklen Tönen; der rote Mantel von Koljas kleiner Tochter Manja (Rena Harder) ist der einzige Farbtupfer im gesamten Film. Das Mädchen steht für die emotionale Ebene: Vor seiner Entführung ist es Kolja gerade noch gelungen, das Kind in Sicherheit zu bringen. Karla nimmt Manja zu sich. Die entsprechenden Szenen mit ihr und Jan als Ersatzeltern sorgen nicht bloß für gefühlvolle Momente: Ausgerechnet Manja besitzt den Schlüssel zur größten Verschwörung, die die Bundesrepublik je erlebt hat.

Das Berliner Intermezzo der Botschafterin ist ein Corona-Kollateralschaden, weil wegen der Pandemie nicht in Rom gedreht werden konnte. Auftraggeberin Degeto und Produktionsfirma UFA Fiction haben das Beste draus gemacht, und das nicht nur, weil die Botschafterin in ihrer Heimatstadt tatsächlich ein Heimspiel hat; mit dem Auswärtigen Amt (repräsentiert durch Thomas Heinze) und dem Bundesnachrichtendienst rücken Behörden in den Blick, über deren Tätigkeit im Grunde nicht viel bekannt ist. Karlas besondere emotionale Involviertheit bildet zudem einen reizvollen Gegensatz zur kühlen Bürokratie. Das gilt erst recht für die Parallelen zu Ereignissen der jüngeren Vergangenheit: Die mutmaßlich im Auftrag der russischen Regierung durchgeführte Ermordung des Georgiers Selimchan Changoschwili im Berliner Tiergarten (2019) oder der höchstwahrscheinlich ebenfalls von Russland aus gesteuerte Hackerangriff auf den Bundestag 2015 verleihen dem Film eine beunruhigende Brisanz. Die Dreharbeiten (inklusive zweier Verfolgungsjagden) im weitgehend menschenleeren Flughafen Berlin Brandenburg haben ebenfalls einen gewissen Reiz, ganz zu schweigen vom Nebelfinale auf dem wohl berühmtesten Symbol für den Kalten Krieg, dem Teufelsberg.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Natalia Wörner, Alexander Beyer, Beat Marti, Thomas Heinze, Anna von Haebler, Michael Ihnow, Philippe Reinhardt, Alessija Lause, Valery Tscheplanowa, Wladimir Tarasjanz, Rena Harder

Kamera: Max Knauer, Andrés Marder

Szenenbild: Björn Nowak

Kostüm: Nicole Stoll

Schnitt: Bernd Schlegel

Musik: Chris Bremus

Redaktion: Claudia Luzius, Christoph Pellander

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Christian Rohde

Drehbuch: Rebecca Mahnkopf

Regie: Roland Suso Richter

Quote: 5,27 Mio. Zuschauer (20,4% MA)

EA: 18.09.2021 20:15 Uhr | ARD

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