Eine Geliebte, ein verheirateter Mann, ein Lieferant, ein Kind
Alma, die enttäuschte Geliebte eines verheirateten Mannes, macht sich mit dessen siebenjährigem Sohn aus dem Staub. Eine spontane, überstürzte Reaktion in der Sommerhitze. Auf die eine verhängnisvolle Begegnung folgt: Weil Alma ihre Geldbörse vergessen hat, spricht sie in der Stadt Bruno an, einen Lieferanten, der mit seinem Transporter Zeitschriften ausfährt. Es entwickelt sich während der Fahrt Richtung Berlin ein freundliches Gespräch. Bruno hofft auf mehr, seine Annäherung weist Alma jedoch zurück. An einer Raststätte spitzt sich die Situation zu. Alma hat inzwischen die Reue gepackt und Jan, ihren Geliebten, angerufen. Doch als der eintrifft, sind Alma und der siebenjährige Juri verschwunden. Dafür klopft Bruno an die Fensterscheibe von Jans Auto.
Düstere Vorahnungen bestimmen die Atmosphäre
Die Geschichte von „Detour“ mag im Grunde nicht sehr komplex und auch etwas vorhersehbar sein, doch erzeugt Nina Vukovic in ihrem bildstarken Vier-Personen-Stück eine Art fiebriger Spannung – mit der traurigen Alma (stark: Luise Heyer) im Zentrum, der man alles Gute wünscht. Das Drehbuch konzentriert sich dabei auf das Nötigste und überlässt manches der Phantasie der Zuschauer. In der Eingangsszene sitzt Alma in der nächtlichen Dunkelheit wach am Fenster, während Jan (Alex Brendemühl) unruhig schläft. Traum-Bilder und Realität vermischen sich. Dann – nun liegen beide wach im Bett – rücken sie zärtlich zusammen, aber ihr knapper Dialog zeugt von Verwirrung und Zukunftsangst. Eine düstere Vorahnung liegt über der Szene und bestimmt die Atmosphäre der weiteren Inszenierung. Das tragische Krimi-Drama ist Thriller, Roadmovie und Kammerspiel zugleich, Vukovic mischt außerdem etwas Horror (das Gedicht vom Räuber Hotzenplotz) hinein. Stimmungen und der Seelenzustand der Figuren sind dabei wichtiger als Äußerlichkeiten. Kein Wort über die Berufe oder Vorleben von Alma und Jan. Auch die Geschichte ihrer Beziehung wird nur skizziert. Man erfährt, dass Alma mit Jans Sohn Juri (Ilja Bultmann) ein inniges Verhältnis verbindet. Dass sich Alma endlich eine klare Entscheidung wünscht, aber von Jan hingehalten wird.
Mit einem 50-Euro-Schein zum Bäcker
Vukovic geht in der Dramaturgie – wie ihre Figuren und wie der Titel andeutet – keinen geraden Weg. Alma und Juri sitzen schon in Brunos Auto, ehe man dank einer Rückblende erfährt, wieso sie dorthin gekommen sind. Da ist einiges schwer nachvollziehbar: Jan drückt seinem siebenjährigen Sohn einen 50-Euro-Schein in die Hand („Du kannst doch damit umgehen?“) – das ist wohl nur deshalb notwendig, weil der Geldschein später noch eine wichtige Rolle spielen wird. Dabei soll Juri Alma einfach nur zum Bäcker begleiten. Auch bleibt es trotz der Nähe zwischen dem Jungen und Alma etwas rätselhaft, dass sich Juri ohne Anzeichen von Überraschung oder Widerstand auf die Reise nach Berlin mitnehmen lässt.
Vögel im Käfig als Metapher für verschlossene Einzelgänger
Mit kinoreifen Bildern setzt die Kamera von Tobias von dem Borne eindrucksvolle Akzente. Sie liefert aber nicht nur „schöne Ansichten“; die Einstellungen spiegeln häufig die Gefühls-Welten wider, etwa wenn die Kamera aus der Vogelperspektive Brunos einsamem Transporter durch eine weite, ziemlich leere Landschaft folgt. Außerdem spielen Licht-Kontraste (die Figuren bewegen sich vielfach in tiefer Dunkelheit oder grellem Sonnenlicht) eine Rolle. Und die in Käfigen eingesperrten oder frei herumflatternden Vögel dienen als Metapher für das In-Sich-Verschlossen-Sein von Einzelgängern, die nur wenig Kontakt zu anderen finden. Bruno fängt Bergfinken, füttert und beobachtet sie eine Weile und lässt sie dann wieder frei. „Vögel, die im Käfig aufgewachsen sind, glauben, dass Fliegen eine Krankheit ist“, sagt er. Bruno ist auch so ein Eingesperrter, der immer allein unterwegs ist, mit Pornoheften im Handschuhfach und einem Wackel-Jesus auf der Ablage. Er hört Schlager wie Björn Landbergs „Mein Traum vom Glück“ und hat selbst keine Erfahrungen mit der Liebe. Sondern nur mit Sex gegen Bezahlung. Was andere haben können, könne er auch haben, erklärt Bruno trotzig. Eine tragische Figur also, zu der das zerknautschte Gesicht von Lars Rudolph bestens passt.
Soundtrack: Nana Mouskouri („Küsse süßer als Wein“), Björn Landberg („Mein Traum vom Glück“), Tölzer Knabenchor („Es ist die wunderschönste Brück“), Andrea Schröder („Where the wild Oceans end“)
Am Ende sorgt kein Ermittlungsteam für Aufklärung
„Detour“ wird in der Reihe „Stunde des Bösen“ im Kleinen Fernsehspiel ausgestrahlt. Vier Thriller von jungen Regisseurinnen hat das ZDF in Auftrag gegeben. Für Vukovic war „Detour“ gleichzeitig der Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Von den meisten Format-Krimis unterscheidet er sich fundamental, weil es hier allein um die Entwicklung einer Tragödie geht, um das Versagen menschlicher Kommunikation, nicht um Aufklärung und schon gar nicht um Polizeiarbeit. So wirkt das Ende auch deshalb befremdlich, weil kein Ermittlungsteam eine Art Auflösung und eine Klärung aller Motive vornimmt. Aber Krimis dieser Sorte gibt es ja genug. Vukovic hatte in ihrem Debütfilm Grundsätzliches im Sinn. Der Filme folge, so sagt sie, „der sozialen Abzweigung von Menschen, die den Anschluss an ,die Anderen‘ längst verloren haben. Wir folgen ihrem verzweifelten Bedürfnis, auf irgendeine Weise in Kontakt mit ihrer Umgebung zu treten.“