Adrian, Ende 20, wird zum leitenden Wirtschaftsprüfer befördert. Er hat alles, was sich sein Chef von einem Mitarbeiter erhofft: er ist schüchtern und hat wenig Selbstvertrauen – genau der Richtige also, um die geschönten Bilanzen einer privaten Frankfurter Investmentbank abzunicken. Doch der junge Mann spielt nicht mit. „Die Bank ist durch und durch verrottet“, flüstert ihm Hotelbekanntschaft Rebecca verführerisch zu. „Du kannst sie alle auffliegen lassen“ – die toughe Unternehmensberaterin weiß, wovon sie redet: sie kannte Adrians Vorgänger. Der Ehrgeiz des Junior-Managers ist geweckt. Nur, wem kann er vertrauen? Und wie gefährlich ist sein Spiel? Er glaubt nicht mehr, dass sein Vorgänger nur entlassen wurde.
Der Zuschauer weiß mehr. Der, der da durch den Untergrund hetzt und brutal erstochen wird, dürfte jener junge Mann sein, der sich zuvor an der ominösen Steuererklärung versucht hat. Die letzten Worte des Sterbenden: „Ich krieg dich.“ Er wird es nicht schaffen, aber der, der seinen Job für ihn antritt, könnte sein Rächer werden, der junge Mann, der der verrotteten Finanzwirtschaft und deren gierigen Schergen das Messer tief in die Brust stoßen will. „Der zweite Mann“ verarbeitet gesellschaftliche Strömungen mit den Mitteln des Thrillers. Am Ende aber könnte alles doch ein bisschen anders kommen, als anfangs vermutet. Denn Christopher Lenke und Philip Nauck nehmen in ihrem ersten Langfilm sehr bewusst Anleihen beim Film Noir, ein Genre, das durchdrungen ist von der Unüberschaubarkeit der Welt. „Ein Genre“, so die Filmemacher, „in dem es keine Guten gibt und in dem alle zugleich Opfer und Täter sind – moralisch verkommen und getrieben von der Gier nach Geld.“
„Der zweite Mann“ ist der Auftaktfilm der ZDF-Reihe „Stunde des Bösen“. Es ist der Versuch der renommierten Nachwuchsreihe „Das Kleine Fernsehspiel“, aus dem anspruchsvollen Drama-Arthaus-Kino auszubrechen und dem jungen Genrefilm eine (Produktions-)Chance zu geben. Der Film dauert nur 65 Minuten – und enthält doch Längen. Vielleicht hat man alles auch schon zu oft gesehen: den coolen Hochglanz-Look, in dem sich die Glätte des Mainhattaner Milieus spiegelt, die klaren Perspektiven, das Blut als Leitmotiv, die Femme fatale, das zum Teil kafkaesk anmutende Szenario, das Motiv des Doppelgängers (oder des Doppelgangs). Warm wird man mit diesem Film nicht. Das ist wohl auch nicht die Absicht. Max Riemelt variiert seine Lieblingsrolle des sympathischen Leisetreters, der sich durch eine Welt schleicht, der beizukommen, er vermeintlich nicht imstande sein wird. Doch dem Genre gemäß wird der kleine Manager mit großer Krawatte, den ganz alltäglichen Versagensängsten und mit Ehrfurcht vor den Granden der Finanzwelt über sich hinaus wachsen. Er allein nimmt den Zuschauer mit – der Rest, das sind Fragezeichen und Leerstellen. Dramaturgisch und spannungsästhetisch bleibt das Ganze ein bisschen dünn. Das ist mehr Parabel als Thriller. Groß Sorgen machen muss man sich um diesen Adrian nicht. (Text-Stand: 9.2.2014)