Muttis Liebling konvertierte im Teenageralter zum Islam und ließ sich offenbar von Fanatikern anstecken. Rainer Schröder verbrachte jedenfalls zwei Jahre Haft in Israel. Er wurde beschuldigt, den islamistischen Terror unterstützt zu haben. Nun wurde er nach Deutschland abgeschoben, wo ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung erwartet. Rainer zieht zu seiner Mutter und gibt sich politisch zurückhaltend. Er bekennt sich nach wie vor zum Islam, aber dem Heiligen Krieg, dem Dschihad, habe er abgeschworen. Dennoch gerät er mit seinem kleinen Bruder häufig aneinander und auch die Mutter, die ihren Jungen verstehen möchte, kommt nicht wirklich an ihn heran. Auch der Verfassungsschutz lässt nicht locker. Obwohl die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat, wird Rainer über Wochen und Monate offen observiert. Für die Arbeitssuche und die Reintegration in die Gesellschaft ist das wenig förderlich – und so geht die Mutter vor Gericht. Die Chancen, Recht zu bekommen, stehen gut. Doch ist er tatsächlich so harmlos?
Foto: NDR / Georges Pauly
Regisseurin Nina Grosse nennt „Der verlorene Sohn“ einen „leisen Thriller“. Das Wechselspiel von Misstrauen und Vertrauen, das die Mitmenschen der Titelfigur entgegenbringen, setzt sich beim Zuschauer fort. Man sucht ständig Hinweise im Gesicht von Kostja Ullmann, der Rainer Schröder beeindruckend spielt. Die Haare sind ab, das Charming-Boy-Lächeln wie zuletzt in „Groupies bleiben nicht zum Frühstück“ ist aus dem Darstellungsrepertoire gestrichen. Man findet keine Hinweise auf eine tickende menschliche Zeitbombe, aber man spürt die große innere Anspannung, den Widerwillen gegen die westliche Gesellschaft und irgendwann bricht es dann auch aus ihm heraus – verbal! „Schlafen, Fressen, Freizeitstress… Ihr belügt euch und zwar so lange, bis ihr glaubt, das richtige Leben zu leben.“ Ist hier einer entfremdet von seiner Kultur und seiner Familie? Kann diese Wut in Hass umschlagen?
„Der Sohn bleibt der Fremde und damit Projektionsfläche. Die Zuschauer, wie die Mutter, sollen in ihren Gefühlen ständig schwanken und sich fragen: ‚kann man Rainer trauen oder eher doch nicht?’“ (Regisseurin Nina Grosse)
Das Rätselraten geht weiter. Und die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Mutter und Sohn werden immer deutlicher, der Kampf um das eigen Fleisch und Blut immer verzweifelter. „Der verlorene Sohn“ ist ein starkes, universales Drama, ein Drama eines doppelten Verlustes. Man hat aber nie den Eindruck, dass das Thema austauschbar sei. Dafür haben es Fred und Tochter Léonie-Claire Breinersdorfer zu realistisch in der deutschen Wirklichkeit verankert. Das Eingangsverhör und auch der Prozess sind sicher nicht allzu elegante dramaturgische Kniffe, um Grundlagen für die Geschichte und das Thema ins Spiel zu bringen, entsprechen aber durchaus dem etwas spröden Gesamtstil des Films. Es geht hier um etwas: um eine Beziehung, um die Gefühlslagen einer Mutter, um den Rechtsstaat, ums Überleben. Die Schauspieler sind es, die die einfache Geschichte ausdifferenzieren, die die Zwischentöne anschlagen, und Katja Flints Stefanie Schröder mit ihrer Löwinnenmentalität ist es, die den Zuschauer an die Hand nimmt. Das ist außergewöhnlich pur, trocken, ungeschönt gespielt. Da wäre allzu viel dramaturgische Raffinesse sogar fehl am Platze.
Foto: NDR / Georges Pauly