Erst mit 19 Jahren erfährt der angehende Koch Paul, dass sein Vater nicht in Indien ums Leben gekommen ist, wie ihm seine Mutter von Kindes Beinen an erzählt hat, sondern in der derselben Stadt lebt wie er selbst. Der sensible, junge Mann will seinen Vater kennen lernen. Er spricht ihn an. Sie treffen sich nur ein einziges Mal. Weil Paul Resultat eines frühen Seitensprungs ist, will sich sein Vater nicht offen zu ihm bekennen. Doch der junge Koch gibt nicht auf. Über seine Halbschwester Susa, die er in seiner Stammkneipe kennen gelernt hat, und über die Sympathie deren Mutter hofft er, auch Zugang zu seinem „Erzeuger“ zu finden. Er versucht es mit einem festlichen Gourmet-Menü, das er seiner Wunschfamilie serviert. Obwohl Paul seinen Vater nicht verrät, ist dieser außer sich. Dass sich Susa in ihren Bruder verliebt hat, macht die Situation immer verfahrener.
Die Emotionen kochen hoch in dem Fernsehfilm „Der Vater meiner Schwester“ von Christoph Stark, der sich in seinen Filmen wie „Bloch“, „Julietta“ oder dem Familienaufstellungsdrama „Die Rückkehr“ bevorzugt mit dem Innenleben seiner Figuren auseinandersetzt. Der, der die Nerven und die Schmetterlinge im Bauch zum Flattern bringt, Hauptfigur Paul, der bleibt zunächst scheinbar ruhig und gelassen. Seinen nicht ganz lebensnahen, aber wohl nicht böse gemeinten Plan zieht er durch, bis er eines Nachts im Hotelzimmer nicht mehr weiter weiß. Susa will mit ihm schlafen. Jetzt endlich muss der Vater sich bekennen, muss die Wahrheit sagen. Susa kann diese Wahrheit kaum verkraften. Ihren Vater straft sie mit Verachtung und auf Paul ist sie wütend, weil sie sich von ihm missbraucht fühlt. Jetzt erst spürt Paul, was er angerichtet hat. Und es kocht plötzlich auch in ihm.
In „Der Vater meiner Schwester“ geht es um psychische Befindlichkeiten, um Sehnsüchte, Verletzungen, Liebe. Ausgesprochen werden diese Tonlagen der Seele nicht immer. Das ist im Leben oft so und in guten Filmen nicht anders. Der Zuschauer muss sie erschließen. Darin liegt der Reiz dieses handlungsarmen und doch spannungsvollen Films. Außerdem hat selbst jede Nebenfigur eine Geschichte. Und jeder einzelne Schauspieler ist ideal besetzt. Christian Berkel beweist, dass er einer der Besten hierzulande ist. Ludwig Blochberger spielt seinen Paul gekonnt zwischen Beherrschung und postpubertären Ausrastern. Katharina Schüttler wechselt einzigartig die Gefühlslagen; ihre Ausbrüche sind realistisches Fernsehen vom Feinsten. Eine grandiose Vorstellung gibt auch Thomas Thieme als charismatisch-kerniger Chefkoch. Aber auch Anke Sevenich, Johanna Gastdorf, Waldemar Kobus, Tino Mewes und Anja Boche – alle reihen sich mit überzeugenden Einzelleistungen in ein überragendes Ensemble. Wieder einmal hat die Castingfrau Nessie Nesslauer ganze Arbeit geleistet. (Text-Stand: 23.8.2005)