Jeden Nachmittag ging Fanny schwimmen. Jetzt treibt die Bedienstete im Schloss von Charlotte Lanner (kleine, feine Rolle für die großartige Nicole Heesters) tot im See. Polizist Martin Wagner (Michael Steinocher), der nach zwölf Jahren Dienst in Wien gerade erst ins Waldviertel zurückgekehrt ist, zieht sie aus dem Wasser und unterstützt dann Kommissar Paul Werner (Fritz Karl) vom LKA Niederösterreich in St. Pölten bei den Ermittlungen. Denn was zunächst nach einem Badeunfall aussieht, entpuppt sich bald als Mord. Eine Spur führt zu Martins Jugendfreund Robert (Oliver Rosskopf). Der ist der Neffe von Fanny – und hat sich als Landwirt bei der Modernisierung seines Hofs übernommen. Doch auch Dr. Hanno Lanner (Michael Rotschopf), Sohn der Schlossherrin, wohlhabender Bankmanager aus Wien, gerät unter Verdacht. Denn Fanny fand in seinem Jagdhaus einen Anhänger mit einem Schutzengel. Der gehörte Mona Steindl (in Rückblenden: Henrietta Rauch). Und die war mal liiert mit Polizist Martin, verschwand vor zwölf Jahren aber spurlos. Lange sucht Paul Werner vergeblich nach einem Motiv — bis ihn ausgerechnet der Philosoph Friedrich Nietzsche („Also sprach Zarathustra“) auf die richtige Spur bringt…
Die österreichische Landkrimi-Reihe ist ein Glücksfall. Sie hat ein konstant hohes Niveau, bietet überraschende Stoffe und namhafte Regisseure wie Marie Kreutzer, Nikolaus Leytner, Marvin Kren oder Karl Markovics. Mit „Der Schutzengel“ gibt nun Götz Spielmann, der 2009 mit „Revanche“ für den Oscar nominiert war, mit seiner Regie- und Drehbucharbeit sein Debüt in der Austria-Reihe. Nach „Die Frau mit einem Schuh“ sowie „Vier“ ist dabei zum dritten Mal Niederösterreich Schauplatz eines Landkrimis. Im malerischen Waldviertel geht es um einen scheinbaren Badeunfall ohne Motiv, ohne Spuren und ohne Verdächtige, der für Ermittler Paul Werner (Fritz Karl spielt ihn als ruhigen, sehr wachen Beobachter und Feingeist, der Bach hört) zur herausfordernden Tätersuche in einem Netz aus dunklen Geheimnissen, Erpressung, Intrigen und einem ungeklärten Rätsel aus der Vergangenheit wird.
Ein Vorfall von früher wird mit einem aktuellen Fall verknüpft, rückt mehr und mehr in den Blickpunkt – das ist mittlerweile schon fast ein klassisches Motiv in einem Krimi. Auch „Der Schutzengel“ beginnt in der Vergangenheit, springt schnell in die Gegenwart, hüpft wieder ein Stück zurück, dann wieder in die Gegenwart. Geschickt verschränkt Götz Spielmann, dessen letzter Film „Oktober November“ bereits zehn Jahre zurückliegt, die Zeitebenen und treibt so die Geschichte klug voran. Er erzählt extrem entschleunigt, nimmt sich viel Zeit für einzelne Szenen. Action spielt kaum eine Rolle, der Regisseur vertraut auf die Figuren und die prägnanten Dialoge. Da ist nichts dem Zufall überlassen. Wenn er den Kommissar und den Junior-Schlossherren über Nietzsche philosophieren lässt, dann kommt das zunächst als beiläufiger verbaler Schlagabtausch daher, erweist sich aber bald schon als zentrales Element.
Spielmann, der seit Jahren ein Sommerhaus im Waldviertel besitzt und die Menschen dort lieben gelernt hat, widmet sich in „Der Schutzengel“ dem Thema Familie. Er konzentriert sich in seiner Geschichte dabei wesentlich auf die Männerfiguren – auf Männer und ihre Sehnsucht nach und ihre Verantwortung für Familie. Da ist Martin, der eine Familie gründen wollte, dem aber die Partnerin abhanden gekommen ist; da ist Robert, der seine Familie als Landwirt durchzubringen versucht und sich dabei übernommen hat; da ist Hanno Lanner, der den Familienbesitz, das Schloss, zu Geld machen will. Mit leiser Spannung und enormer Intensität nehmen die Dinge in diesem sehenswerten Krimidrama ihren Lauf. Und auch die Landschaft spielt eine wichtige Rolle. Die Wälder, der Teich, in dem die Leiche der Haushälterin treibt, dazu das kleine, in die Jahre gekommene Schloss der Banners, die Jagdhütte im Wald – markante Orte, die diesem Krimi seine besondere Atmosphäre verleihen.