Die Kamera fährt langsam durch die Räume eines stillen Hauses, bis von außen die Geräusche eines Autos und einer lärmenden Familie zu hören sind. Pünktlich kommt sie genau zu dem Zeitpunkt an der Haustür an, als Nina (Sabine Timoteo) den Schlüssel umdreht und das Haus betritt. Ungeschnitten setzt sich die Szene fort. Nina, ihr Mann Jan (Mark Waschke) und ihre Kinder Emma (Jule Hermann) und Max (Wanja Valentin Kube) nehmen das Haus in Beschlag, doch das leicht unheimliche Gefühl, das Erzählweise und Bildgestaltung in den ersten Sekunden geschaffen haben, bleibt: Das Gefühl, als wäre bereits jemand im Haus gewesen, bevor die Familie eintraf, eine fünfte Person, die sich nun unsichtbar mitten unter der Kleinfamilie aufhält. Diese Person sind natürlich wir Zuschauerinnen und Zuschauer selbst, die von außen auf die innere Realität der Filmhandlung blicken – und so ist Ronny Trockers Film „Der menschliche Faktor“ von Anfang an eine Reflexion über die menschliche Wahrnehmung und das filmische Sehen selbst.
Foto: ZDF / Klemens Hufnagl
Verstärkt wird das Gefühl der Verunsicherung durch einen vermeintlichen Einbruch, der sich noch am Tag der Ankunft in dem familieneigenen Ferienhaus an der belgischen Küste ereignet. Darauf kommt der Film mehrfach zurück, aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven – keine neue, aber hier wirkungsvoll eingesetzte Strategie. Zu Beginn bleibt die Kamera bei Jan, der gerade Einkäufe erledigt hat und nun im Garten ein Telefongespräch führt, während er aus dem Haus Ninas Schrei und undefinierbare Geräusche hört. Als er endlich ins Haus eilt, kommt ihm Nina mit blutender Nase entgegen. Sie sei vor eine Tür gelaufen, die die Einbrecher bei ihrer Flucht zugeschlagen hätten, sagt sie. Außerdem findet er den gleichfalls verstörten Max vor, der behauptet, die Einbrecher hätten seine Ratte namens Zorro mitgehen lassen. Dem Polizisten kann Nina am Abend keine Beschreibung der Täter liefern, während Jan dem Beamten unter vier Augen anvertraut, er bereite eine Kampagne für eine politische Partei vor. „Vielleicht will uns jemand Angst einjagen“, vermutet er.
Foto: ZDF / Klemens Hufnagl
Zu den Merkmalen des zweiten langen Spielfilms des Südtirolers Trocker nach „Die Einsiedler“ zählt der mehrfach übergangslos und nicht immer leicht zu entschlüsselnde Wechsel der Zeitebenen. Die folgende Sequenz erweist sich als Rückblende, die in der Stadtwohnung der Familie und in der von Nina und Jan gemeinsam geleiteten Agentur spielt. Dabei stellt sich heraus, dass die Situation sowohl privat als auch beruflich angespannt ist. Jan bemüht sich hinter dem Rücken seiner Frau um den Auftrag der Partei, deren populistische Ausrichtung nur andeutungsweise skizziert wird. Als Nina davon erfährt, kommt es zum Streit. Und bereits vor der Reise nach Belgien folgte auf die Agentur ein Angriff von außen – ein Schockmoment im Film, der Jans Verdacht, der Einbruch habe mit der Kampagne für die Polizei zu tun, Glaubwürdigkeit verleiht. Zudem haben Emma, die mehrfach die Schule schwänzte, und Max, der nur widerwillig bei einem Chor mitsingt, eigene Probleme.
Das Familiendrama steht im Vordergrund, aber die Atmosphäre der Verunsicherung und der diffusen Bedrohung von außen darf man wohl als Gleichnis insbesondere für die Verunsicherung der Mitte der Gesellschaft verstehen. „Der menschliche Faktor“, koproduziert vom Kleinen Fernsehspiel des ZDF, erzählt von den Auflösungserscheinungen einer Familie aus der gut situierten Mittelschicht. Das Paar, das sich beruflich mit Kommunikation beschäftigt und im Alltag sowohl Deutsch als auch Französisch spricht, reagiert auf die Krisen mit Abgrenzung und Sprachlosigkeit. Emotionale Ausschläge bleiben selten, es herrscht eine bedrückende Stimmung, die nur mal durch einen Familienausflug an den Strand aufgehellt wird. Aber auch da ist das Quartett in zwei Hälften geteilt. Als Nina ohne Absprache mit Jan ihren Bruder Flo (Daniel Séjourné) und seinen neuen Freund Alexander (Hannes Perkmann) in das familieneigene Ferienhaus einlädt, führt dies zu weiteren Spannungen.