Der letzte schöne Herbsttag

Julia Koschitz, Felix Hellmann, Ralf Westhoff. Von jener Egozentrik namens Liebe

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Foto Rainer Tittelbach

Julia Koschitz und Felix Hellmann ringen in „Der letzte schöne Herbsttag“ 90 Minuten um die Gunst des Zuschauers. Ihre Figuren versuchen, durch Reden ihre Liebe zu retten. Oder sich einfach nur die Situation ihrer festgefahrenen Beziehung zu erklären. Dass sie einander verstehen, scheint aussichtslos zu sein: Claire ist immerhin eine Frau und Leo ein Mann! Ralf Westhoffs Film ist bei aller zwischenmenschlichen Tragik eine Komödie geworden. Der Vergleich mit Woody Allen liegt nahe, und in den Spielszenen besitzt dieses Zeitgeist-Kaleidoskop geschlechtsspezifischer Konfliktstoffe sogar Screwball-Touch. Die Schauspieler sind mit dem ganzen Gesicht bei der Sache und Koschitz ist einfach zum Verlieben.

„Da hat einfach nichts zusammengepasst – nicht mal das Oberteil zur Hose.“ Claire, eine junge Frau um die 30, versucht, sich klar zu machen, was sie an diesem seltsamen Leo, der nicht mal den Platten an seinem Fahrrad selbst reparieren kann, bei ihrer ersten Begegnung fasziniert hat. Sie war von Anfang an die treibende Kraft. Sie fühlte sich offenbar besonders angestachelt davon, dass er sexuell „unverschämt desinteressiert“ an ihr war. Erst bot sie ihm ihre praktische Hilfe an, dann wollte sie mit ihm ins Bett. Er dagegen sei einer, der es mit dem Sex eher langsam angeht. Leo fragt sich: „Schläft sie mit jedem, der ihr das Rad repariert?“

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Kommunikation zwischen Mann & Frau ist eines der Schwersten! Vor allem dann, wenn sich beide „Parteien“ gerne reden hören. Julia Koschitz und Felix Hellmann

Männer und Frauen können notfalls zusammenleben. Dass sie einander verstehen, scheint aussichtslos zu sein. Zumindest bei Claire und Leo ist das so. 90 Minuten ringen die beiden in „Der letzte schöne Herbsttag“ um ihre Beziehung und um ihr egozentrisches Wollen, das sie dem Gegenüber aufzwingen möchten. Filmemacher Ralf Westhoff („Shoppen“) lässt seine Protagonisten die Hälfte des Films direkt in die Kamera sprechen. Der Zuschauer, der so in eine Art Therapeuten-Rolle rutscht, wird zum Mitwisser, zum Dritten, von dem sich beide insgeheim Zustimmung erhoffen. Claire und Leo erklären sich – und die Komplikationen ihrer Beziehung. Jeder für sich. Da geht es um ihre Liebe im Besonderen und das Zusammenleben von Mann und Frau im Allgemeinen. Claire fühlt sich vernachlässigt. Sie will mehr – mehr Kommunikation, mehr Nähe, mehr Sex, mehr Spaß. Leo ist sich selbst genug, muss nicht immer reden. „Der hat mich ganz gerne mit dabei“, sagt Claire, aber die meiste Zeit sehe er durch sie hindurch. Das nagt an ihrem Selbstwertgefühl. Sie zweifelt an sich – und an Leo. Und der ist zumeist ratlos. „Fragen Sie mal, was sie wirklich will. Ich weiß es nicht!“

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Oft reden die beiden Hauptdarsteller frontal zum Zuschauer. Die Figuren erklären sich und ihre Befindlichkeiten. Leicht neurotisch, aber immer komisch. Julia Koschitz

„Durch den Kniff mit den Einzelgesprächen erreicht er, dass wir nicht nur beiden sehr nahe sind, sondern auch, dass wir das große Dilemma des Kommunikationszeitalters erkennen. In unseren Beziehungen reden wir zwar viel, aber weniger mit- als übereinander. Dabei verraten wir am meisten über uns selbst.“ (Wenke Husmann, Die ZEIT online)

„Ist die Liebe so kompliziert? Sind wir so kompliziert?“, fragt sich Claire in einem ihrer Monologe. Was Woody Allen und vor allem Loriot weitgehend universal zu beantworten versuchten, differenziert Westhoff in Hinblick auf die heutigen thirtysomethings. Claire und Leo sind zwei, die es versuchen, zwei, die bei der Partnerwahl zwar nicht auf die beliebten Alogarythmen der Zeit per Partnerbörse oder Speed-Dating setzen, die aber dennoch nicht frei sind von den Liebeskonzepten der Postmoderne samt ihrer Ersatz(lust)objekte. „Die Marketingmenschen machen mir ein gutes Gefühl. Er macht mich traurig“, muss Claire feststellen. Als sie (vorübergehend?) einen Schlussstrich unter die „sehr unterdurchschnittlich glückliche“ Beziehung zieht, kann sich Leo so richtig schön leid tun: „Wie soll man denn eine hypochondrische, hysterische Heulsuse lieben, die einem das Leben zur Hölle macht… Ich bin froh, dass sie weg ist… Die braucht mich, die kommt zurück – auf Knien!“

Der letzte schöne HerbsttagFoto: BR / X-Verleih
Ständig macht einer etwas, was er nicht will, um den anderen nicht zu enttäuschen. Aber auch das ist letztlich enttäuschend für den vermeintlich nicht Enttäuschten.

Mit Händen und Füßen ringen die beiden um ihre Beziehung. Sie wollen „richtig“ verstanden werden. Jeder will sich die Bestätigung holen, dass er „richtig“ liegt mit der „Analyse“ der Beziehung. Und jeder hofft, dass das Reden etwas ändert. Diese Beziehungsarbeit gleicht einem Kinderspiel. Übellaunig bis trotzig sind die beiden Mitspielenden, weil sie nicht bekommen, was sie wollen. Ach, war das in der Kindheit noch leicht, da hat man sich einfach das Schippchen im Sandkasten genommen. „Der letzte schöne Herbsttag“, der den Herbst einer jungen Liebe beschreibt, ist bei aller zwischenmenschlichen Tragik eine Komödie geworden. Der Vergleich mit Woody Allen liegt nahe, und in den Spielszenen besitzt dieses köstliche Kaleidoskop geschlechtsspezifischer Konfliktstoffe sogar etwas Screwball-Touch. Das liegt vor allem an zwei hervorragenden Schauspielern: die himmlische Julia Koschitz, eine perfekte Komödiantin, lässt ihre Augen sprechen und spielt sich durch alle Gefühlslagen und Betriebstemperaturen, und Felix Hellmann gibt wunderbar den Zerknirschten, sich ständig Fragen stellend – so, als ob ihm sein Gesicht bei den Antworten behilflich sein könnte.

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Kinofilm

BR

Mit Julia Koschitz, Felix Hellmann, Katharina Marie Schubert, Leopold Hornung

Kamera: Helmfried Kober

Schnitt: Uli Schön

Musik: Michael Heilrath

Produktionsfirma: X Filme Creative Pool

Drehbuch: Ralf Westhoff

Regie: Ralf Westhoff

EA: 30.06.2012 20:15 Uhr | BR

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