Nach seiner Suspendierung zog sich Fredo Schulz (Armin Rohde) mit seinen hochprozentigen Dämonen an die Nordsee zurück. Jetzt wird der Spezialist für Kindesentführung von Milan Filipovic (Edin Hasanovic) und Lola Karras (Nele Kiper) wieder nach Berlin geholt. Dort ist schon wieder ein Kind verschwunden. Dasselbe Muster wie bei den beiden letzten Mädchen, deren Leichen man nie gefunden hat. Beschuldigt wurde Roland Bischoff (Axel Prahl), doch er wurde freigesprochen. Schulz – wieder trocken – scheint nun ein Stück weit auch seinen alten Privatkrieg gegen den Mann, der ihm immer so dreckig ins Gesicht feixt, weiterführen zu wollen. Aber er sieht nun mal bei der Mutter (Melika Foroutan) des verschwundenen Mädchens und dessen Ex (Max Simonischek) keine Verdachtsmomente – und andere mögliche Täter sind (noch) nicht in Sicht. Eine völlig neue Wendung bekommt der Fall, als sich herausstellt, dass womöglich das falsche Mädchen entführt worden ist. Also kein Missbrauchsverbrechen, sondern Kindesentführung mit Lösegeldforderung? Doch wie soll das eine Taxifahrerin aufbringen? Ist damit Bischoff endgültig raus aus dem Fall? Schulz will es nicht glauben – und wendet sich wieder an seinen besten Freund: den Alkohol.
Foto: ZDF / Stephanie Kulbach
„Der gute Bulle“ präsentiert dem Zuschauer ein typisches Lars-Becker-Szenario. Da ist der instinktsichere Bauchbulle, dessen Beruf auf seiner Seele deutliche Spuren hinterlassen hat, gezeichnet vom Alkohol und einem privaten Schicksalsschlag. Da ist sein Gegenspieler, der harmlos tut, aber unberechenbar wirkt, urplötzlich gemeingefährlich werden kann und offenbar von seiner Mutter gedeckt wird. Da ist die Mutter des verschwundenen Mädchens, die sich in ihrer Verzweiflung vom guten Bullen versprechen lässt, dass er ihre Kleine zurückbringen wird (was in realistischen Krimis sofort gemaßregelt würde). Da ist ein cooler Barkeeper, der es noch immer ehrlich meint mit seiner Ex und vielleicht gar nicht der Vater des entführten Kindes ist. Und da ist ein Milliardär, der keine Verantwortung übernehmen will und statt Moral lieber sein Testosteron ins Spiel bringt. Und da sind Kommissare, die glauben, ihr Kollege, schieße mal wieder über das Ziel hinaus. Das alles hat erfreulicherweise wenig mit deutschem Polizeialltag zu tun. Es ist diesmal Berlin und nicht Hamburg wie bei Beckers wegweisender ZDF-Reihe „Nachtschicht“, aber die Geschichten und Charaktere sind auch hier deutlich bigger than life – und häufig haarscharf an der Räuberpistole vorbei. Und fast alles ist möglich – plottechnisch. Überraschungen, nicht gerade der Inbegriff von dramaturgischer Qualität, sind nirgends so sexy wie in den Polizeifilmen von Lars Becker.
Und in „Der gute Bulle“ sind die unerwarteten Wendungen besonders raffiniert und wirkungsvoll. Extrem geschickt ist es, wie Becker dem Zuschauer kurz vor der Halbzeit ein Mehrwissen gegenüber dem „Helden“ anvertraut und dadurch die zweite Hälfte mit ihren Verwicklungen immer spannender werden lässt. Wie er Figuren, die sich in speziellen Interaktionsfeldern bewegen, in andere verschiebt, wie auf diese Weise neue Spannungsfelder entstehen – das funktioniert durch die Reduktion des Geschehens noch besser als in der „Nachtschicht“, wo einiges den zwar reizvollen, aber vordergründigen Effekten geschuldet ist. Nach der Logik im Detail sollte man bei Becker nicht immer fragen. Laufen beispielsweise psychopathische Mörder tatsächlich so gern ins offene Messer? Oder weshalb lässt sich Axel Prahls Bischoff quasi mit polizeilichem Begleitschutz – in Sichtweite – verfolgen? Und wenn es sein muss, wird auch schon mal eine Waffe herbeigezaubert. Macht aber nichts. Weil dies alles einem höheren Zwecke dient: dem der Spannung. „Du sollst nicht langweilen“, scheint Lars Beckers oberstes Gebot zu sein. Und wenn Informationspolitik und Atmosphäre gelegentlich so wunderbar zusammenfließen, wenn beispielsweise der Kommissar in der Bar mit Ausblick, perfektem Sounddesign, das Glas Whisky in Reichweite, vom Verlust seiner Familie spricht, ist das eine so dichte Szene, die weniger Gelungenes auszugleichen vermag.
Foto: ZDF / Stephanie Kulbach
Worauf sich der Regisseur Becker auch immer verlassen kann, das sind seine vorzüglichen Schauspieler. „Mein Sohn ist definitiv tot, aber Ihre Tochter lebt; und das weiß ich genau.“ Ein Satz, der auch banal klingen könnte. Aber ein Armin Rohde lädt ihn psychophysisch auf mit all dem, was seine Rolle hergibt, und so bekommt dieser Satz geradezu eine mythische Dimension. Beeindruckend auch, wenn er seinen Schulz mit steigendem Alkoholpegel vor dem Spiegel beängstigende Selbstgespräche halten lässt, bei denen man nie so genau weiß, ob sich hier ein Säufer über die Rituale der Anonymen Alkoholiker lustig macht oder ob das schon der Beginn einer alkoholbedingten Schizophrenie ist. Auch Axel Prahl vermag es – ähnlich wie seine Problemfigur – als Schauspieler, unvermittelt den Schalter umzulegen zwischen vermeintlich lammfromm, provozierend, zynisch und „schön“ brutal. Und ganz auf ihre Emotion als Mutter konzentriert, spielt Melika Foroutan die verzweifelte Frau gewohnt kontrolliert, ohne übergroße Ausbrüche, „mit einer inneren Distanz“, wie sie selbst sagt
Anders als in der „Nachtschicht“-Reihe, zu der ja eine gewisse Buntheit der Charaktere gehört, hat Becker in „Der gute Bulle“ seine Schauspieler auf eine ähnliche Grundtonlage eingestimmt. Ein reduziertes Spiel, trocken, kühl, das dem Zuschauer manchmal die Möglichkeit gibt, selbst etwas zu entdecken. Das sind oft nur kleine Momente. Ein Zögern. Eine beiläufig gestellte Frage („Was muss ich denn machen, dass du zahlst?“). Beim Szenenbild funktioniert das ähnlich. Ein Sekunden-Blick in die Behausung des suspendierten Kommissars, auf die Zeitungsausschnitte der Entführungsfälle – und der Zuschauer macht sich ein Bild von diesem Mann. Wie Beckers Narration ist das alles äußerst clever. Übermäßig vielschichtig ist es allerdings nicht, da der Instinkt, nicht der Intellekt Beckers Figuren antreibt. Das wiederum färbt auf die Geschichte(n) ab. Als der Milliardär eines Nachts bei der verzweifelten Mutter auftaucht, will er sie nicht etwa testen (ob sie etwas mit der Entführung zu tun hat), nein, dieser Mann hat nur Geld und seinen Trieb. Was würde wohl passieren, wenn die Figuren intelligenter wären, mehr Autonomie besäßen? In „Der gute Bulle“ ist es mal wieder nur Lars Becker, der das Spiel spielt. Die Fäden, an denen er seine Figuren führt, sieht man allerdings nicht. Das ist ein Grund, weshalb seine Kriminalfilme so erfolgreich sind.