„Da hinten am Tisch sitzt meine zukünftige Frau; sie weiß es nur noch nicht.“ Fensterputzer Jimi (Bernd-Christian Althoff) mangelt es nicht an Selbstbewusstsein, allerdings hat er von den Sitten der besseren Gesellschaft keine Ahnung. Dass Isabelle (Anuschka Tochtermann), seine Traumfrau, aus eben jener Upper-Class kommt, stört ihn wenig, und da sie es ist, die zunächst seine Hilfe benötigt, hat er plötzlich gar nicht mehr so schlechte Karten und kann mit ihr sogar einen Deal aushandeln: Er holt die goldene Kette, die ihr in den Gulli gefallen ist, aus der Kanalisation, und sie zeigt ihm dafür ihre Welt der Schönen und Reichen. Die junge Frau hat keine Wahl – und so heftet sich der coole Jimi vier Wochen lang an die Fersen von Isabelle, die nach ihrem Studium ihre erste und vielleicht auch letzte Chance im Schlosshotel ihres Vaters (Heino Ferch) bekommt: Sie darf die alljährliche Spendengala für ein Kinderheim organisieren. Nur, wie soll sie das hinkriegen mit diesem zwar stets gut gelaunten, aber unmöglich gekleideten Typen ohne jedes Benehmen an ihrer Seite? Doch sie gewöhnt sich an ihren ungebetenen Begleiter und – mehr noch – sie kann sich von ihm auch allerhand abgucken: Jimi ist nämlich selbst in einem Kinderheim groß geworden, und er zeigt ihr ein Stück von dieser, seiner Welt. Und so lernt Isabelle Johanna (Sabine Vitua) kennen, die gute Seele des Kinderheims, in dem er aufgewachsen ist, und seinen besten Freund Heinrich (Tristan Seith), und sie begreift immer besser, warum es so wichtig ist, möglichst viel Geld zusammenzubekommen. Aber wird es dieser jungen Frau, der selbst offenbar alles in den Schoß gefallen ist, was ihr Vater ihr vorhält, auch gelingen, die finanzkräftigen Sponsoren, allen voran den exzentrischen Baron von Lichtenstein (Rüdiger Vogler), zu überzeugen?
Nach „Schneeweißchen und Rosenrot“ übertrifft auch die zweite zeitgenössische ZDF-Adaption vom „Froschkönig“ die Erwartungen, die man an eine moderne Märchenverfilmung im Rahmen des „Herzkinos“ haben kann, bei weitem. Reibt man sich vielleicht noch in der ersten Szene ungläubig die Augen ob der Besetzung der Hauptrolle, so erweist sich „Novizin“ Anuschka Tochtermann wenig später als eine sehr gute Wahl für die Tochter aus besserem Hause, die erfreulich rasch ihre vorlagengemäße hochnäsige Arroganz ablegen darf. Die 24-jährige Schauspielerin weiß unter fachmännischer Zuhilfenahme der Maske, insbesondere der Frisur, eine Vielzahl von Gesichtern aufzulegen. Aus der toughen Businessfrau wird ein junger, ganz normaler Twen, wie auch ihre Mutter einer war: die Gesichtszüge werden weicher, die Haare fallen lockerer und die Kleidung wird eigenwilliger, frecher, farbenfroher. Umgekehrt sieht jener Jimi, der am ersten Tag noch im Adam-Ant/Johnny-Depp-Piratenlook auftaucht, zunehmend „manierlicher“ aus. Auch Bernd-Christian Althoff („Billy Kuckuck – Margot muss bleiben“) ist eine nahezu perfekte Besetzung für diesen grundentspannten und bald auch zum Tiefgang fähigen Lebenskünstler. Der 35-Jährige ist zwar kein Unbekannter, aber in einer prominenten Hauptrolle hat man ihn noch nicht gesehen – auch wenn man es annehmen mag: Vielleicht ist es ja auch nur der bekannte deutsche Fußballtrainer, der heute im Ausland sein Geld verdient, den man hier in den ersten Szenen in Althoff zu erkennen glaubt. Denn wie dieser besitzt der Schauspieler in seiner Rolle ähnlich viel Charisma. Und das Lächeln der beiden Hauptdarsteller – für dieses auf Sympathie setzende Wohlfühl-Genre ein nicht unwesentlicher Faktor – ist abendfüllend und lässt keinerlei Wünsche offen.
Anders als der „Herzkino-Märchen“-Auftaktfilm, der vornehmlich die Geschichte zweier Schwestern erzählt, wurde „Der Froschkönig“ von Drehbuchautorin Sarah Esser („Drei Väter sind besser als keiner“) als romantische Komödie angelegt. Dadurch, dass das ZDF und die Produktionsfirma sabotage films, die die Idee zu diesen neuzeitlichen Adaptionen Grimmscher Volkskunst hatte, dem Film eine Märchen-Kennung geben (so wird im Intro kurz & knapp der Inhalt der klassischen „Froschkönig“-Mär vorgetragen), ergibt sich daraus eine klare Erwartungshaltung beim Zuschauer. So dürfte das romantisch-komödiantischen Stoffen zugeneigte Publikum kaum stören, dass der Kern der Erzählung für das Jahr 2018 etwas naiv klingt und das Handlungsgerüst recht einfach konstruiert erscheint. Auf den zweiten Blick erkennt man dann aber ohnehin die vielen kleinen narrativen Einfälle, aus denen Esser einen dichten Plot gebaut hat. Da ist das klug ausgespielte Kinderheim-Motiv inklusive der Frage, wer man ist und wo man hingehört. Da ist das Thema Freundschaft und das Gefühl, allein zu sein, und die unterschwellig vermittelte Erkenntnis: Kinderheim muss nicht einsam heißen, und Familie nicht glücklich. Die Geschichte ist ziemlich reich an Subtexten, an Aufgaben und Rollen, die vornehmlich die weibliche Hauptfigur zu erfüllen hat: Jene Isabelle muss sich bewähren als Hotelmanagerin, aber auch als Tochter, sie muss sich bewähren als Liebende und als integrer Mensch, für den es mehr als Konventionen und Etikette gibt, also mehr als die Gnade der reichen Geburt. Interessant sind auch Biographie und Charakter ihres Vaters, dem Geld und Hotel durch Vererbung zugeflogen ist (die Kritik an der verwöhnten Tochter richtet sich auch gegen sich selbst) und der einst einen ganz anderen Lebensstil verfolgte. Gelungen ist Esser damit nicht nur ein stimmiges Verbindungsglied zwischen dem jungen Paar, sondern auch ein angenehmer Kontrapunkt zum typischen Märchen-Patriarchen. Heino Ferch krönt diese tragende Nebenfigur voller Ambivalenzen mit einem leisen, zwischentonreichen Spiel.
In „Der Froschkönig“ trägt außer jener Tonfigur am Brunnen vor dem Schlosshotel keiner eine Krone. Die setzen diesem Film die Regisseurin Jeanette Wagner und ihre Gewerke auf. In Bilder umgesetzt, sorgt die großartige Buch-Idee, den Froschkönig Jimi zu einer Art Wassermann werden zu lassen, für eine Reihe Wow-Effekte. Gleich die erste Begegnung zeigt die Verbundenheit des Fensterputzers und der vermeintlichen VIP-Tussi. Er, beim Tauchgang im Aquarium eines In-Lokals, sie, auf der anderen Seite der Scheibe, fasziniert von diesem Anblick: ein magischer Moment. Auch später lernt Isabelle nicht nur Jimis Welt rational kennen, sondern sie taucht mit ihm auch einmal ein in sein Element, das Wasser. Es ist die Welt des Gefühls, der Sinne. Die in der Handlung erzählte, wachsende Nähe zwischen den beiden gipfelt in einem weiteren Magic Moment: Eine zärtliche Berührung auf der Wasseroberfläche ersetzt in dieser Romantic Comedy den ersten Kuss. Und auch den obligatorischen „Herzkino“-Austausch von Körperflüssigkeiten um die 60. Filmminute bleibt einem in diesem Film, in dem es vor allem um Herzensbildung geht, erspart. Der Mann wird hier nicht zum Verführer. Vielmehr möchte Jimi seine Isabelle von seinen Qualitäten überzeugen. Aber auch er hat sich von ihr einiges abgeguckt – und findet immer mehr seinen Stil. Und so wirkt das Happy End nicht wie die Erfüllung einer Konvention, sondern wie die (psycho)logische Konsequenz einer wunderbaren Liebesgeschichte (Text-Stand: 25.11.2018)