Der Dänemark-Krimi – Blutlinie

Morreis, von Tempelhoff, Knižka, Berndt, Schmidt. Ungereimtheiten. Der Rest ist Reden

Foto: Degeto / Sandra Hoever
Foto Tilmann P. Gangloff

Es gibt allenfalls zwei Gründe, diesen zweiten „Dänemark-Krimi“ (Degeto / Eikon Media) einzuschalten. Der erste ist Roman Knižka: Er verkörpert die Unterweltgröße Kort Holm nicht als kaltblütigen Gangsterboss, sondern als Vater, der um seinen Sohn trauert. Dem uniformierten Duo Ida Sörensen und Magnus Vinter (Marlene Morreis, Nicki von Tempelhoff) ist dennoch klar: Wenn Holm den Mörder vor ihnen findet, wird er ihn töten; und als Hauptverdächtiger gilt Vinters Neffe. Der zweite Grund ist die ausgezeichnete Bildgestaltung. Kameramann Simon Schmejkal hat eine Art „Wald-Look“ kreiert: Über vielen Bildern liegt ein Dunkelgrünschleier, der für subtiles Unbehagen sorgt. Selbst die gute Musik kann nicht verhindern, dass der mit Genre-Klischees bepackte Krimi, in dem die Hauptfiguren ständig die Handlung erklären müssen, weitgehend spannungsarm ist.

Nachts am Strand, ein Polizistenpaar verfolgt einen Verdächtigen. Der Mann hat eine Blechbüchse in der Hand und gesteht, er wolle den letzten Willen seiner verstorbenen Lebensgefährtin erfüllen. Ach so, sagt die Polizistin sinngemäß, sie wollen ihre Asche verstreuen: So funktioniert deutsches Fernsehen leider viel zu oft. Gute Krimis vertrauen darauf, dass das Publikum nicht bloß mit-, sondern auch weiterdenkt; schlechte Krimis nehmen es an die Hand und helfen ihm über die Straße. „Blutlinie“, der zweite „Dänemark-Krimi“, ist ein gutes Beispiel für diese Art von Entmündigung: Ständig muss das von Marlene Morreis und Nicki von Tempelhoff verkörperte Ermittlungsduo innehalten und die Handlung erklären; dabei ist die vermeintlich begriffsstutzige Zuschauerschaft den beiden im Zweifelsfall ein bis zwei Gedankengänge voraus.

Timo Berndt hat viele zum Teil sehr sehenswerte Krimis für „Die Toten vom Bodensee“ und „Sarah Kohr“ (beide ZDF) geschrieben. Schon sein erstes Dänemark-Drehbuch, „Rauhnächte“ (2021), offenbarte jedoch ungewohnte Ungereimtheiten. Das zweite wiederum wirkt, als erzähle der Autor eine eigentlich eher einfache Geschichte unnötig kompliziert. Auch die Verwurzelung in der Region, eigentlich doch das jeweilige Alleinstellungsmerkmal der ARD-Auslandskrimis, ist nur bedingt plausibel, selbst wenn der Mord zum Auftakt des Films mit einem klassischen Wikingerbogen begangen wird. Das Opfer ist der Sohn eines einflussreichen Gangsters (Roman Knižka), und nun wird es trotz der vielen Erläuterungen unübersichtlich. Eigentlich ist es ja ein gutes Zeichen, wenn ein Krimi nicht auf Anhieb durchschaubar ist, doch in diesem Fall wirken die diversen Handlungsstränge mitunter nicht verknüpft, sondern verknotet. Dabei sind die Zutaten durchaus reizvoll, zumal die Ermittlungen weit zurück in die Vergangenheit führen, aber viele Figuren sind viel zu stereotyp, um Anteilnahme an ihrem Schicksal zu wecken.

Der Dänemark-Krimi – BlutlinieFoto: Degeto / Sandra Hoever
Der zweite „Dänemark-Krimi“ kann sich sehen lassen, das ständige sich gegenseitig den Fall Erklären nervt allerdings gewaltig. Marlene Morreis, Nicki von Tempelhoff

Aus Sicht der zuständigen Beamtin (Katharina Heyer) ist der Fall ohnehin klar, weshalb ihre Aufgabe in erster Linie darin besteht, Ida Sörensen und Magnus Vinter das Leben schwer zu machen. Als Hauptverdächtiger gilt Vinters Neffe: Auf der Tatwaffe finden sich nicht nur seine Fingerabdrücke, er hat den Bogen auch hergestellt. Natürlich ist der Onkel von Bjarnes Unschuld überzeugt, obwohl Timur Bartels den jungen Mann mit allen Merkmalen des Krimiklischees „mangelnde Impulskontrolle“ versieht. Weil Magnus ganz ähnlich gestrickt ist, muss ihm die Kollegin ständig in den Arm fallen, bevor er sich zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen lässt. Gespielt ist das nicht immer gut; einige Wortwechsel klingen, als hätten die beiden sie zu oft geprobt. Auch der Rest des Ensembles ist nicht durchweg überzeugend. Ein darstellerischer Einschaltgrund ist allein Roman Knižka: Kort Holm ist zwar Kopf des organisierten Verbrechens in Kopenhagen, aber Knižka verkörpert den Mann nicht als kaltblütigen Gangsterboss, sondern als Vater, dessen Trauer durchaus Mitgefühl weckt. Selbst sein Killer (Erik Madsen) hat sympathische Züge. Natürlich lassen sich Sörensen und Vinter nicht täuschen: Wenn sie den geflüchteten Bjarne nicht vor Holm finden, wird der ihn töten.

Der Rest ist Dialog. Es geht um ein verschwundenes Testament, um Menschen, die vorbereitet sein wollen, wenn das Ende kommt, um einen Wikinger-Themenpark am Rand der Pleite, um eine verschwiegene Vaterschaft und um zerbrochene Beziehungen. Noch am interessantesten ist die einstige Jugendfreundschaft zwischen Vinter und Holm, deren Lebenswege sich nach einem bis heute ungeklärten tragischen Ereignis getrennt haben; nun hat der Mord sie wieder zusammengeführt. Diese Konstellation hätte einen klasse Krimi ergeben können, aber sie rückt zugunsten diverser Nebenfiguren immer wieder in den Hintergrund.

Regie führte Katrin Schmidt, die nach Episoden für die Serie „Bettys Diagnose“ und einigen Folgen für die Reihe „Marie fängt Feuer“ (beide ZDF) zuletzt zwei Filme mit Lina Wendel als „Die Füchsin“ (ARD) gedreht hat. Beide Inszenierungen waren, zurückhaltend formuliert, unauffällig. Immerhin das ist bei „Blutlinie“ anders: Die Bildgestaltung ist ungewöhnlich, auch wenn es gewiss Klagen geben wird, dass sich allzu viel im Dreivierteldunkel zuträgt; gerade die Aufnahmen in Holms Elternhaus verbreiten so etwas wie eine Gruftatmosphäre. Kameramann Simon Schmejkal hat zudem eine Art „Wald-Look“ kreiert: Über den Bildern liegt oft ein Dunkelgrünschleier, der für subtiles Unbehagen sorgt. Der Film ist im Mai gedreht worden, aber die Atmosphäre ist trotzdem frostig. Dennoch kann auch die gute Musik (Dominik Giesriegl, Florian Riedl) nicht verhindern, dass der Krimi über weite Strecken spannungsarm ist. Immerhin erfreut der Schluss durch einen gelungenen Bluff.

Der Dänemark-Krimi – BlutlinieFoto: Degeto / Sandra Hoever
Wenn die Geschichte das halten würde, was die Optik verspricht, könnte man mit diesem ARD-Auslands-Krimi rechnen – vorausgesetzt man glaubt den Darstellern ihre dänische Herkunft. Feith, von Tempelhoff, Morreis

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ARD Degeto

Mit Marlene Morreis, Nicki von Tempelhoff, Roman Knižka, Timur Bartels, Katharina Heyer, Dagmar Leesch, Larah Feith, Marek Harloff, Erik Madsen, Tim Bergmann, Guido Renner

Kamera: Simon Schmejkal

Szenenbild: Lars Brockmann

Kostüm: Gurli Thermann

Schnitt: Annette Duwe

Musik: Dominik Giesriegl, Florian Riedl

Redaktion: Birgit Titze, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Michaela Nix

Drehbuch: Timo Berndt

Regie: Katrin Schmidt

Quote: 5,27 Mio. Zuschauer (19,7% MA)

EA: 11.04.2023 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach