Das Pubertier

Aleardi, Kasalo, Schoras, Ungureit. Eltern-Alltag zwischen Wahnwitz & Wohlfühlen

Foto: ZDF / Britta Krehl
Foto Tilmann P. Gangloff

Kunterbunt, turbulent, witzig und auch optisch originell: „Das Pubertier” ist für ZDF-Verhältnisse ganz schön rasant. Dass zwei Monate zuvor ein Kinofilm gleichen Titels gestartet ist, sollte für die Serie kein Problem sein. Beide Produktionen basieren auf dem Bestseller von Jan Weiler, beide Male geht es um einen rebellischen Teenager und zunehmend verzweifelnde Eltern, aber Darsteller und Umsetzung sind völlig unterschiedlich. Zuschauer ohne Kinder dürften „Das Pubertier“ witzig, aber völlig übertrieben empfinden. Für Eltern hingegen, ganz gleich, ob mit Söhnen oder Töchtern gesegnet, hat die Serie fast dokumentarische Züge.

Es kommt nicht oft, aber immer wieder mal vor, dass zwei Sender parallel Projekte zu ganz ähnlichen Themen entwickeln lassen. Dass eine literarische Vorlage aber fast gleichzeitig fürs Kino und als TV-Serie adaptiert wird, ist ein Sonderfall. Im Juli ist „Das Pubertier“ im Kino gestartet, eine Produktion der Constantin Film; zwei Monate später zeigt das ZDF die von UFA Fiction produzierte gleichnamige sechsteilige Serie. Natürlich gibt es Parallelen zwischen Film und Serie, schließlich erzählen beide die gleiche Geschichte: Das Leben des bis dahin glücklichen Elternpaars Jan und Sara Maybacher (Pasquale Aleardi, Chiara Schoras) ändert sich komplett, als Tochter Carla in die Pubertät kommt und sich in ein Wesen verwandelt, das die Eltern nicht mehr wiedererkennen. Wenn Männer vom Mars und Frauen von der Venus sind, dann kommen pubertierende Töchter von einem Planeten im fernen System von Alpha Centauri.

Das PubertierFoto: ZDF / Britta Krehl
Familie kann so schön sein. Kann! Chiara Schoras, Mia Kasalo, Pasquale Aleardi, Levi Eisenblätter. Dass es fast zeitgleich den Kinofilm mit Liefers gibt, das wird der ZDF-Serie nicht schaden. In 6 Mal 45 Minuten kommt eine völlig andere Dramaturgie zum Tragen. Macht Laune!

Davon abgesehen sind die beiden „Pubertier“-Produktionen jedoch völlig unterschiedlich, und das nicht nur, weil vor und hinter der Kamera ein komplett anderes Personal am Werk war; deshalb führt es auch nicht besonders weit, Film und Serie miteinander zu vergleichen. Das sollte zwar auch für die beiden Titeldarstellerinnen gelten, aber während der Kinofilm auf den Star Jan Josef Liefers zugeschnitten ist, feiert die Serie Mia Kasalo. Die 14jährige Berlinerin hat ihr enormes Talent schon als Flüchtlingsmädchen an der Seite von Wolfgang Stumph in der Tragikomödie „Blindgänger“ (ZDF 2014) bewiesen; am 21. September kommt das Drama „Amelie rennt“ in die Kinos, auch hier spielt sie die Titelrolle. Als „Pubertier“ gelingt ihr eine eigentlich unmögliche Gratwanderung: Einerseits verkörpert sie die 13jährige Carla derart schlecht gelaunt und kratzbürstig, dass die Bezeichnung „Pubermonster“ ungleich treffender wäre, weshalb sich im Zeichentrickvorspann tatsächlich ein Pokémon-artiges Geschöpf tummelt. Andererseits muss Mia natürlich zumindest andeuten, warum sie noch bis vor Kurzem Papas Liebling war. Beides macht sie dank der Führung durch die Regisseure Oliver Schmitz und Uwe Janson ganz vorzüglich. Ganz gleich, welche Emotionen Carla auslebt: Mia Kasalo meistert jede Herausforderung mit einer für ihr Alter bemerkenswerten Souveränität. Pasquale Aleardi ist als Erzähler der Hauptdarsteller, aber Mia ist der Star der Serie. Natürlich kommt ihr entgegen, dass das Autorenteam rund um David Ungureit eine Figur geschaffen hat, die jede Schauspielerin als Geschenk betrachten würde. Damit Carlas Gefühls-Schwankungen nicht gänzlich unmotiviert wirken, wechselt die Perspektive immer wieder zur Tochter. Jan dagegen erlebt das Mädchen als launisch, herrisch, ungerecht und asozial. Auch in dieser Hinsicht treffen Buch und Regie den Ton perfekt. Zuschauer ohne Kinder dürften „Das Pubertier“ witzig, aber völlig übertrieben empfinden. Für Eltern hingegen, ganz gleich, ob mit Söhnen oder Töchtern gesegnet, hat die Serie fast dokumentarische Züge.

Das PubertierFoto: ZDF / Britta Krehl
Mal unausstehlich und dann ist Carla (Mia Kasalo) zwischendurch doch mal wieder Papis Liebling. Hysterie, Show & Egozentrik gehören nun mal zur Pubertät. Pasquale Aleardi

Über den Kinofilm „Das Pubertier“ hieß es im Spiegel:
„Der Witz und die erstaunliche Herzenswärme des Kinofilms entstehen daraus, dass Regisseur Haußmann bei allem Klamauk nie einen Zweifel an seiner leidenschaftlichen Parteinahme für Carla und ihre Freunde lässt. (…) Es gibt ein grotesk verkrachtes Nachbarehepaar (Monika Gruber und Detlev Buck), Waschbären in der Vorortsiedlung und allerhand Gerülpse und Geknutsche in diesem Film, der keinesfalls mehr sein will als schamlos unterhaltsames Familienkino – und vielleicht gerade deshalb ein Zeugnis der Zeit ist. Schwache Männer, abwesende Mütter, tapfer ihr Teenagerleben selbst organisierende Kinder: Soziologen künftiger Generationen werden an dieser Abhandlung über deutsches Familienleben im frühen 21. Jahrhundert ihre Interpretationsfreude haben.“

Der Rest ist Wohlfühlfernsehen. Praktisch jede Einstellung signalisiert die typische Leichtigkeit vieler Filme, die das ZDF gern donnerstags ausstrahlt: Die Farben sind knallbunt und voller Wärme, die Sonnenscheinbilder von einem Licht getränkt, das jede Baracke zu einem Kandidaten für „Schöner Wohnen“ machen würde; selbst die eigentlich einfallslose Auswahl aktueller Popsongs von Coldplay bis Ed Sheeran wirkt sympathisch. Da Jan Kolumnenschreiber ist, stören nicht mal Aleardis Off-Kommentare, weil sie anders als in vielen vergleichbaren Komödien die Handlung nicht verdoppeln, sondern ergänzen.

Soundtrack: Keke Palmer (“We Are”, Titelsong). Folgen 1 und 2 Sister Sledge („We Are Family“), Jack Johnson (“Flake”), Keane (“Everybody’s Changing”), Pharell Williams (“Happy”), Ed Sheeran (“Shape Of You”), Coldplay (“The Scientist” / “Don’t Panic”)

Das PubertierFoto: ZDF / Britta Krehl
Ein Paar, das sich auch noch in der zweiten Dekade liebt, warum nicht?! Die anderen machen schließlich genug Wind in dieser Serie. Pasquale Aleardi & Chiara Schoras

Weiler, der auch den gleichfalls verfilmten Roman „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ geschrieben hat, war an den Drehbüchern zwar nicht beteiligt, aber sie folgen seinem episodischen Konzept. Dennoch bauen die einzelnen Folgen aufeinander auf. Roter Faden ist eine sehr witzig eingeführte Schwangerschaft. Jan zerdeppert beim Duschen Saras Ladyshave und findet für die Bruchstücke ein Versteck, das auch schon jemand anders genutzt hat: für einen positiven Schwangerschaftstest. Auf die Idee, er könnte zum dritten Mal Vater werden, kommt Jan gar nicht erst, schließlich ist Gattin Sara Sexualpädagogin, und außerdem war Carla vor einem Monat auf einer Übernachtungsparty. Folge eins besteht aus einem regelrechten Dominoeffekt, weil sich ein Missverständnis ans nächste reiht.

Über den Kinofilm „Das Pubertier“ hieß es im Tagesspiegel:
„Hier führt Leander Haußmann Regie, und er tut es mit aller Konsequenz, Lautstärke, Drastik. Ein reiner Furzkissen-Spaß. Wer dieses Lichtspiel mit Skepsis angeht, der wird ins Schleudertrauma geraten, wenigstens verdammt viel schlechte Laune bekommen. Voll pubertär das Ganze, Vati ist der größte Vollhorst unter allen Vollhorsten, alle und alles rasen: Eltern, Tochter, Hormone, Sprüche, Scherze. Wer sich darüber freuen will, dass es bei den Wengers noch viel schlimmer zugeht als im eigenen Zuhause, der kann sich sehr freuen. Die anderen freuen sich darüber, dass das Machwerk nur 91 Minuten dauert.“

Das PubertierFoto: ZDF / Britta Krehl
Turbulentes Familienchaos: Gisela (Gisela Schneeberger) trifft erstmals auf die Freundin (Annette Frier) ihres Mannes Eberhard (Dietrich Hollinderbäumer) – quasi sie selbst in jung. Und Julia (Henriette Richter-Röhl) behauptet, ihr Bruder Jan (Aleardi) habe eine Affäre. Der und auch Sara (Schoras) fallen aus allen Wolken.

Ein weiterer Unterschied zum Film ist die Ergänzung der Familie um weitere Mitglieder. Jan erfährt, dass er mit Mitte vierzig zum Scheidungskind wird, weil sich sein Vater (Dietrich Holländerbäumer) „verdingst“ hat, wie Mutter Gisela (Gisela Schneeberger) das formuliert. Eberhards Jungbrunnen ist ausgerechnet Jans einstige Mitschülerin Heidi (Annette Frier), mit der er in jungen Jahren auch mal was hatte. Und dann ist da noch seine völlig verunsicherte Schwester Julia (Henriette Richter-Röhl), die in jeder Äußerung einen versteckten Angriff wittert. Amüsant sind auch die Kurzauftritte von Anica Dobra als patzige Putzfrau, und damit Jan garantiert ständig unter Strom steht, ruft dauernd seine Redakteurin Ute (Elzemarieke de Vos) an und erinnert ihn daran, dass er der Redaktionsschluss für seine Kolumne naht.

Noch besser als der fast schon verschwenderische Umgang mit kleinen Einfällen am Rande oder als die gelungenen Slapstick-Einlagen Aleardis, der im abgedunkelten Zimmer seiner Tochter regelmäßig barfuß in unappetitliche Dinge tritt, war die Idee, Jans spontane geistigen Reaktionen durch kurze Einschübe zu illustrieren. Diese – auch im Wortsinne – kleinen Highlights sind dank der passenden Musik ungemein wirkungsvoll, denn sie stehen nicht nur für die ironische Haltung der gesamten Produktion, sie illustrieren auch ganz wunderbar die typischen Vatergefühle: Wenn Carla ihrem Erzeuger beiläufig erklärt, er wisse längst nicht alles über sie, sieht er sie vor seinem geistigen Auge rauchen, saufen und koksen. Als er noch glaubt, sie sei schwanger, kombiniert er sie als Teenie-Mutter mit den entsprechenden potenziellen Vätern. Erinnerungsfetzen, bevorzugt im Gespräch mit Eberhard, werden auf die gleiche Weise bebildert. Die Comic-Methode ist schon deshalb brillant, weil sich die Bücher dadurch umständliche Erklärungen ersparen. Bei der Erwähnung von Eberhards Gespielin zeigt Jans Kopfkino umgehend sein eigenes Erlebnis mit Heidi; mehr muss man nicht wissen.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Pasquale Aleardi, Mia Kasalo, Chiara Schoras, Levi Eisenblätter, Gisela Schneeberger, Dietrich Hollinderbäumer, Henriette Richter-Röhl, Anica Dobra, Annette Frier

Kamera: Leah Striker, Dominik Berg

Szenenbild: Olaf Rehahn

Kostüm: Sylvia Risa

Schnitt: Günter Schultens, Melania Singer

Musik: Ali N. Askin, Maurus Ronner

Produktionsfirma: UFA Fiction

Headautor*in: David Ungureit

Drehbuch: David Ungureit, Alexandra Maxeiner, Marc Terjung – nach Vorlage von Jan Weiler

Regie: Oliver Schmitz, Uwe Janson

Quote: 1. Folge: 3,34 Mio. Zuschauer (11,8% MA), 2. Folge: 2,55 Mio. (8,8% MA)

EA: 07.09.2017 20:15 Uhr | ZDF

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