Von jetzt auf gleich geht es für Christiane und Mathis Jakobi ans andere Ende der Welt: Maui heißt ihr Reiseziel. Man könnte sich einen schöneren Grund vorstellen, nach Hawaii zu reisen: Ihr Sohn Jonas, Mitte 20, wird vermisst – ein schräger Vogel, „ein verrückter Typ“, wie alle sagen, der hier im Surfparadies seine Grenzen austesten wollte. Während die Mutter es nicht wahrhaben mag, dass ihr „Großer“ einen tödlichen Unfall gehabt haben könnte, trauert der Vater um seinen Sohn bereits kurz nach der Ankunft. Als die Leiche wenig später gefunden wird, will Christiane unbedingt die Umstände des Unglücks erfahren, sie will wissen, wie und mit wem ihr Sohn seine letzten Tage und Wochen verbracht hat. Sie findet Antworten auf ihre Fragen, aber auch (Aus-)Wege für sich und ihre Trauer. Mathis indes reist nach Deutschland zurück. Denn das Ehepaar hat auch noch eine jüngere Tochter, Lotte, auch die hat Probleme und steht kurz vor einer wichtigen Prüfung. Der Tod des Sohnes reißt die Familie auseinander, doch es ergeben sich gleichsam Möglichkeiten, wieder zueinander zu finden.
Foto: ZDF / Nathalie Wiedemann
„Das Paradies in uns“ bietet reichlich Futter für die herbstlich gestimmte Seele und gibt wie zuletzt in „Tsunami – Das Leben danach“ und „Wer liebt lässt los“ eine kitschfreie Anleitung zur Trauerarbeit. „Die Message, die der Film im Titel trägt“, so Hauptdarstellerin Katja Flint, „will nicht sagen, dass man nach Hawaii fliegen muss, um eine Krise zu überwinden, sondern dass es meist einer inneren Reise bedarf.“ Vielmehr ist der Film ein Plädoyer fürs Innehalten, für die Suche nach dem eigenen Gleichgewicht als Antwort auf den Verlust eines geliebten Menschen. Das ganzheitliche Harmoniestreben, die hawaiianische Weltverbundenheit, gibt dem Zuschauer nicht mehr als ein anschauliches Beispiel. Dass der ebenfalls trauernde Partner im Film nicht die pragmatische „Das-Leben-geht-weiter“-Gegenposition einnimmt, sondern zu Hause als sensibler Vater auf seine Art Verantwortung übernehmen will, ist vielleicht die wichtigste dramaturgische Entscheidung des Autorenduos Christoph Silber und Stefan Schaefer. So sind letztlich Martin Brambach und Mala Emde (ein Gesicht, das man sich merken muss!) nicht nur dazu da, Flint in die Karten zu spielen. Jede dieser drei Figuren hat ihre eigene Geschichte, doch die Schnittmenge ist groß genug für eine gemeinsame, hoffnungsvolle Zukunft. Sonntags im ZDF verharrt man nicht in der Trauerschleife.
Katja Flint über die Wirkung des Films:
„Die Schönheit der Insel und das ehrliche Interesse der Hauptfigur Christiane, die Menschen dort kennenzulernen und von ihnen zu lernen, entlässt den Zuschauer – trotz des ernsten Themas – ohne Traurigkeit aus dem Film.“
Foto: ZDF / Nathalie Wiedemann
Filme, die zu Herzen gehen sollen, und vor allem solche Filme, in denen spirituelle Botschaften gestreift werden, stehen vor einer besonderen ästhetischen Herausforderung. Das Medium Film, insbesondere in der Fernsehvariante, besitzt per se wenig Hang zur Transzendenz. Im Kunstkino war das einmal anders. Vielleicht ist gerade deshalb der Weg zwischen TV-Melodram, „Psychologie heute“ und Arthaus-Ästhetik, den Filme wie „Das Paradies in uns“ oder „Wer liebt lässt los“ einschlagen, ein guter Weg. Fürs Breitenfernsehen jedenfalls eine interessante Mischung. Wenn es dann noch so gut gemacht ist wie Judith Kennels Film, für den Kamerafrau Nathalie Wiedemann nie auf den Touristen-Blick verfällt, tauscht man es gern gegen das deutsche Trauermienen-Krimidrama ein, bei dem Schauspieler 90 Minuten mit einem Gesichtsausdruck auskommen müssen. Dann doch lieber Charaktere den inneren Frieden finden lassen – und es zu zeigen versuchen. Mit Flint, Brambach und Emde gelingt diese „Balance von Beobachten und Berühren“, wie es ZDF-„Herzkino“-Koordinator Alexander Bickel nennt, schon ziemlich gut. „Das Paradies in uns ist keine Wellness-Packung – wer den inneren Frieden sucht, muss ihn sich erringen.“ Was Bickel hier lebensweltlich meint, könnte man auch auf den ästhetischen Anspruch beziehen: nicht immer nur das Genreversprechen einlösen, sondern den Zuschauer auch einmal herausfordern mit dem Mut zur Langsamkeit, zur filmischen Reflexion. Wenn das gelingt, dann muss man vielleicht bald das prätentiöse „Herzkino“-Label gar nicht mehr belächeln… (Text-Stand: 27.10.2013)
Foto: ZDF / Anna Schwarz