Code 7500

Joseph Gordon-Levitt, Memar, Tezel, Muslu, Patrick Vollrath. Tod über den Wolken

Foto: SWR / CH Media
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Kammerspiel-Thriller „Code 7500“ (SWR, BR, Arte / augenschein) mit Joseph Gordon-Levitt trägt sich größtenteils in einer Flugzeugkanzel zu: Kurz nach dem Start stürmen zwei Männer ins Cockpit. Kopilot Ellis kann den Angriff abwehren und die Tür schließen, aber nun drohen die Terroristen damit, Geiseln zu ermorden. Bei einem jungen Mann bleibt Ellis noch standhaft, doch das nächste Opfer ist die Mutter seines Kindes. Obwohl der fast ausnahmslos im Studio entstandene Film in der zweiten Hälfte mehr oder weniger ein Ein-Personen-Stück ist, gelingt es Regisseur Patrick Vollrath, die Spannung durchgehend hoch zu halten. Die Welt außerhalb der Kanzel wird auf einen kleinen Monitor reduziert, der den Vorraum zeigt. Was sich im Rest der Maschine ereignet, bleibt der Fantasie des Publikums überlassen.

Bis vor zwanzig Jahren stand die Tür zum Cockpit meist offen. Heutzutage lässt sich allenfalls beim Betreten eines Flugzeugs ein kurzer Blick in die Pilotenkanzel erhaschen. „Code 7500“ bietet die Gelegenheit, sich in aller Ruhe umzuschauen, denn der Thriller spielt tatsächlich fast ausschließlich im Cockpit einer Passagiermaschine. Wie es Patrick Vollrath bei seiner ersten Langfilmregie gelingt, trotzdem knapp neunzig Minuten lang Spannung zu erzeugen, ist ziemlich eindrucksvoll. Gerade bei Thrillern sorgt in der Regel die Musik für den Nervenkitzel, aber Vollrath, der 2015 für seinen Kurzfilm „Alles wird gut“ mit dem „Oscar“ für Filmhochschüler ausgezeichnet worden ist, hat komplett auf Musik verzichtet; die Dramatik resultiert vor allem aus der Ohnmacht der Hauptfigur.

„Code 7500“ – die Zahlenfolge steht im Funkverkehr der Flugüberwachung für eine Flugzeugentführung – beginnt harmlos. Nach dem Prolog mit geräuschlosen Aufnahmen der Überwachungskameras am Berliner Flughafen beginnen der amerikanische Pilot Ellis (Joseph Gordon-Levitt) und sein Kapitän mit den Routinechecks. Der Abflug verzögert sich, weil noch zwei Passagiere fehlen. Zwischendurch schaut eine Flugbegleiterin vorbei: Gökçe (Aylin Tezel) ist Ellis’ Lebensgefährtin und Mutter des gemeinsamen zweijährigen Sohns. Kaum hat die Maschine Richtung Paris abgehoben, kommt es zum Tumult: Als Gökçes Kollegin das Essen für die Piloten bringt, stürmen zwei Männer ins Cockpit. Es gelingt Ellis, einen der beiden wieder rauszudrängen und den anderen mit Hilfe eines Feuerlöschers kampfunfähig zu machen, aber sein Kapitän ist schwer verletzt. Seit den Ereignissen im September 2001 sind die Cockpittüren zusätzlich verstärkt worden, weshalb die Bemühungen des Anführers, der außer sich vor Wut versucht, die Tür aufzubrechen, bloß Lärm erzeugen. Also probiert der Mann eine andere Strategie und nimmt einen jungen Mann als Geisel. Piloten haben für solche Szenarien die klare Anweisung, Terroristen unter keinen Umständen ins Cockpit zu lassen; die endgültige Kaperung der Maschine würde zu viel, viel mehr Opfern führen. Ellis bleibt daher standhaft, der junge Mann stirbt. Die nächste Geisel ist Gökçe.

Code 7500Foto: SWR / CH Media
„Ein mitreißender Thriller zwischen High Concept und Arthouse“, schrieb „Blickpunkt:Film“ über „Code 7500“.

Selbst wenn die Cockpit-Dreharbeiten ausnahmslos im Studio stattgefunden haben: Eine Herausforderung werden sie dennoch gewesen sein. Das größere Kunststück besteht jedoch in Vollraths Leistung, die Welt außerhalb der Kanzel auf einen kleinen Monitor zu reduzieren, der den Vorraum zeigt, damit die Piloten sehen, wer Einlass begehrt; was sich im Rest der Maschine ereignet, bleibt der Fantasie des Publikums überlassen. Ellis fordert die gut achtzig Passagiere auf, die einzig mit Glasscherben bewaffneten Terroristen zu überwältigen, hat jedoch die Rechnung ohne den Verbrecher direkt hinter ihm gemacht: Der Mann (Murathan Muslu) kommt wieder zu sich, übernimmt das Kommando und will die Maschine über der nächsten Großstadt zum Absturz bringen. Die letzte Hoffnung des Piloten ist der vierte Terrorist, Vedad (Omid Memar), denn der 18-Jährige, kaum dem Stimmbruch entwachsen, will noch nicht sterben.

In den Kritiken zur (sehr überschaubaren) Kinoauswertung wurde bemängelt, dass die Motive der offenkundig islamistischen Terroristen komplett offen bleiben. Abgesehen von Vedad, zu dem Ellis eine Art Beziehung herstellt, bleiben die Männer bis zum Schluss eine anonyme Bedrohung. Das ist jedoch plausibel: Die Geschichte wird konsequent aus der Perspektive des Piloten erzählt, und der hat schließlich keine Ahnung, welcher Hass das Quartett antreibt. Umso nachvollziehbarer ist dagegen sein moralisches Dilemma. Ellis steht vor einer ähnlichen Herausforderung wie die Figuren aus Ferdinand von Schirachs kongenial verfilmtem Theaterstück „Terror – Ihr Urteil“ (2016), in dem sich ein Kampfpilot vor Gericht verantworten muss, weil er eine gekaperte Passagiermaschine abgeschossen hat; die Entführer wollten das Flugzeug offenbar auf ein vollbesetztes Stadion abstürzen lassen. Im zweiten Akt ist „Code 7500“ im Grunde ein Ein-Personen-Stück; die Handlung beschränkt sich nun darauf, den durch eine Armverletzung erheblich limitierten Ellis zu beobachten, der den nächsten Flughafen in Hannover ansteuern soll. Großen Anteil an der streckenweise fast dokumentarisch anmutenden Authentizität des in Echtzeit erzählten Films haben auch die Dialoge, eine Mischung aus Deutsch, wenn es privat wird, und Englisch, sobald es um flugtechnische Details geht.

„7500“ ist formal interessant und konsequent. Die Inszenierung ist, wenn man die vergleichsweise bescheidenen Mittel berücksichtigt, die dieser österreichisch-deutsche Film hatte, eine Leistung der Regie und der Produktion. Die Grundvoraussetzungen der Story bilden eine dramaturgische wie technische Herausforderung für Macher wie Zuschauer. Aber das Drehbuch ist unausgereift und die Idee, einen kompletten Film aus der Cockpit-Perspektive zu erzählen, nimmt sich vielleicht als Einfall besser aus, als dass sie tatsächlich einen Thriller über Spielfilmlänge tragen könnte. So hat der Film mit zunehmender Spieldauer unübersehbare Längen und Redundanzen, und der dritte kurze Teil am Ende, wirkt geradezu wie eine Pflichtübung, die an die eigentliche Handlung „herangeklatscht“ wurde. So dominiert der Eindruck einer Laborsituation, bei der alles ein bisschen zu einfach und zu effizient umgesetzt ist, um den Zuschauer über den Augenblick hinaus zu packen, zu berühren und die Seherfahrung über das Filmende hinaus am Leben zu halten. (Film-Dienst)

„7500“ tritt das IS-Thema nicht breit. ­Ohne die Erinnerung an die Anschläge in Paris, Nizza und Berlin ist der Film aber nicht denkbar. Vor diesem Hintergrund gelingt Vollrath mit der Zuspitzung der Situation auf technisch vermittelte Bilder ein interessanter dramaturgischer Kunstgriff. Ähnlich wie ein Computervirus infiltrieren die Terroristen mit Muskelkraft und Bauernschläue zunächst ein komplexes technisches System, das zur Metapher der Gesellschaft wird. Ihre Hauptwaffe ist jedoch die Konfrontation mit inszenierten Horrorbildern: So muss der Copilot auf dem Monitor der Überwachungskamera mit ansehen, was die Terroristen mit den Passagieren anstellen. Indirekt zitiert der Film jene Enthauptungsvideos, mit denen der sogenannte Islamische Staat den Westen moralisch zu destabilisieren versuchte. Das Kammerspiel „7500“ ist ein politischer Genrefilm, der dank seiner klaustrophobischen Grundkonstellation jedoch unter die Haut geht. (epd film)

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Kinofilm

Arte, BR, SWR

Mit Joseph Gordon-Levitt, Omid Memar, Aylin Tezel, Murathan Muslu

Kamera: Sebastian Thaler

Szenenbild: Thorsten Sabel

Kostüm: Christine Zahn

Schnitt: Hansjörg Weißbrich

Musik: Martin Rascher

Redaktion: Katharina Duffner (SWR), Natalie Lambsdorff (BR), Barbara Häbe (Arte)

Produktionsfirma: augenschein Filmproduktion

Produktion: Jonas Katzenstein, Maximilian Leo

Drehbuch: Patrick Vollrath, Senad Halilbasic

Regie: Patrick Vollrath

EA: 10.09.2021 20:15 Uhr | Arte

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