England als Krimi-Kulisse, das funktioniert in Deutschland prächtig, wie man zum Beispiel an den Verkaufszahlen der Bücher von Charlotte Link sieht. Jahrelang hatte das ZDF die Fernsehrechte, doch der eher zuckrige Beigeschmack gefiel am Ende auch der hessischen Bestseller-Autorin nicht mehr. Nun versucht sich die Produktionsfirma UFA Fiction im Auftrag der Degeto an den populären Vorlagen. Nach dem Zweiteiler „Das andere Kind“ folgt jetzt mit einigem Abstand die Verfilmung des Romans „Der Beobachter“. Das 650 Seiten starke Buch mit seiner Vielzahl an Figuren auf einen 90-minütigen Fernsehfilm zu komprimieren, ist keine geringe Herausforderung. Dass die Autoren Stefan Wild und Benjamin Benedict auf einige Nebenfiguren und deren Handlungsstränge verzichten, ist nachvollziehbar und den Erfordernissen des Mediums geschuldet. Für die filmische Adaption wäre eher noch mehr Mut zur Lücke und zur Konzentration auf die Hauptpersonen sinnvoll gewesen.
Foto: Degeto / Wolfgang Aichholzer
So geht die psychologische Tiefe zugunsten des TV-typischen Wunsches, Krimi-Spannung durch eine Vielzahl an Spuren aufzubauen, etwas verloren. Gleichzeitig verwandelt sich die kalte Winterkulisse aus dem Roman in eine einsame, aber verlockende Landschaft aus grünen Wiesen und sanften Hügeln. Auch das Szenenbild mit den hübschen Landhäusern und dem Hausboot des Sportlehrers wirkt etwas herausgeputzt. Doch eher düstere Großstadtbilder aus dem nächtlichen Manchester verhindern, dass die Atmosphäre in der Inszenierung von Andreas Herzog allzu hell und folkloristisch wird. Charlotte Link freut sich jedenfalls laut Presseheft der ARD darüber, dass hier ein „England jenseits aller Steilküstenromantik“ abgebildet wird. Das stimmt allein schon deshalb, weil hier keine Steilküsten zu sehen sind.
„Rachethrillermurks im Pilcher-Gewand: Lieblos zerfällt die hanebüchene Story in unglaubwürdige Klischeebruchstücke. Und die groteske Auflösung ist wirklich frech.“ (TV-Spielfilm)
Zur Schmonzette wird die ARD-Degeto-Produktion allerdings auch dadurch nicht, dass die Affäre von Gillian Ward (Karoline Eichhorn) mit John Burton (Andreas Pietschmann), dem neuen Sportlehrer ihrer Tochter Becky (Georgia Hehir), im Mittelpunkt steht. Eichhorn spielt überzeugend diese hin und her gerissene Frau in der Midlife-Krise, der die Ehe mit ihrem Mann Tom (Lloyd Owen) zum faden Trott geworden ist. Weniger überzeugend die Besetzung der Rolle ihrer besten Freundin Tara, einer Staatsanwältin, mit Christiane Paul. Die Strenge und Kühle dieser Figur wird äußerlich überdeutlich betont, und Christiane Paul scheint sich in dieser Haut nicht wohl zu fühlen. Für die unheimlichen Momente sorgt zu Beginn die Titelfigur: Samson Segal (stark: Michael Stange) ist der seltsame Nachbar, der die Familie Ward beobachtet und bei jeder Gelegenheit fotografiert. Was der alleinstehende Mann denkt, hören wir aus dem Off – ein reizvoller Kunstgriff, der bei keiner anderen Figur angewandt wird und der Samson wohl erst recht als psychopathischen Stalker erscheinen lassen soll.
Foto: Degeto / Wolfgang Aichholzer
Das eigentliche Verbrechen scheint mit all dem jedoch nichts zu tun zu haben: Eine ältere Dame wird in ihrem Haus ermordet aufgefunden. Das Muster passt zu einem früheren Mord. Das Opfer wurde angeschossen, dann gefesselt und mit einem Handtuch erstickt. Erst als mit derselben Waffe auch Tom Ward erschossen wird, werden beide Handlungsstränge miteinander verknüpft. Nun gerät der zwielichtige Samson ins Visier der Polizei, ebenso wie Sportlehrer John, der einst bei der Polizei war, aber den Dienst wegen eines Vergewaltigungs-Vorwurfs quittiert hatte. Dass sich beide schließlich zusammentun, um auf eigene Faust zu ermitteln, ist zwar schwer nachvollziehbar, gibt der Handlung aber im letzten Drittel neuen Schwung. Die Auflösung kommt dann – jedenfalls im Film – wie aus heiterem Himmel und ist etwas unbefriedigend. Das Motiv der Täter-Figur ist zwar nachvollziehbar, die Entwicklung zu einer Person, die Rache übt und schließlich sogar aus Lust tötet, weniger.
Bis zu dieser überraschenden Wende ist der Zuschauer meist einen Schritt weiter als die Polizei. So weiß er längst von Liza Stanford (Helen Latham), einer von ihrem Ehemann misshandelten Frau, die der alten Dame kurz vor dem Mord einen Besuch abgestattet hatte. Auch wird ein zentrales Motiv aus der Vergangenheit, der Missbrauch an einem Kind, bereits in der Eingangsszene als Rückblende angedeutet. So werden gemäß der Krimi-Konventionen verschiedene Fährten gelegt, ohne dass die ohnehin wie Fremdkörper wirkenden Ermittler-Figuren dabei an Profil gewinnen könnten. Die Polizei-Rollen um den knurrigen Chef und seine junge, zielstrebige Assistentin sind englischen Schauspielerinnen und Schauspielern vorbehalten. Dieses Kuddelmuddel aus „deutschen Gesichtern“ in England sowie englischen Darstellern, die zwar „very british“ wirken, aber zugleich deutsch synchronisiert werden, bleibt auch bei der zweiten ARD-Verfilmung eines Link-Stoffes eher befremdlich.