„Bloch ist ein Arzt, dem es nur um den Patienten geht – und das wünschen wir uns doch alle“, sagt Michael Verhoeven. Der Regisseur, der seit 40 Jahren hierzulande zu den besten seiner Zunft gehört, hat die neue Episode um den Psychologen unseres Vertrauens gedreht. Ihm traut man eine ganz besondere Sicht auf den von Dieter Pfaff gespielten Seelendoktor zu – immerhin hat Verhoeven einige Jahre als Arzt praktiziert. Schon in den 60er Jahren fehlte dem Gesundheitswesen vielfach das menschliche Antlitz. „Selbst die guten Ärzte wurden geschluckt vom System Krankenhaus“, erinnert sich Verhoeven, „und heute stört der Patient nur noch“. Deshalb gefällt ihm die Erfindung Bloch so ausnehmend gut.
In „Vergeben, nicht vergessen“ stößt Bloch auf jene „Massenhaltungsmediziner“, die bis zur Regungslosigkeit sedieren, statt nach den Ursachen der Symptome zu fragen. Eine Frau wird beschuldigt, ihr lang ersehntes Wunschkind wenige Tage nach der Geburt getötet zu haben. Für den behandelnden Psychiater ist der Fall klar: die Frau tötete ihr Kind, weil es nicht mehr in den Lebensplan passte, und sie wird nun mit der Tat nicht mehr fertig. Bloch sieht das anders: Gleich nach der Geburt sei es der Mutter seelisch schlecht gegangen, erfährt er von der Hebamme. Die Geburt war sehr schwer. Die Ärztin übersah die Anzeichen der postpartalen Depression. Dabei sind die apokalyptischen Halluzinationen augenscheinlich. Hat die Frau, ergriffen vom Weltuntergangswahn, ihr Baby erstickt, um es zu retten?
Neben der Vorbildfunktion Blochs, die vor allem den Arzt fasziniert, imponiert dem Filmemacher Verhoeven auch die dramaturgische Zurichtung der Fälle: „Es ist schön ausgedacht, dass er immer quasi kriminalistisch bestimmte Fäden aufrollen muss, das erzeugt einen wesentlichen Teil der Spannung.“ Damit diese Spannung aber voll zum Tragen komme, müsse auch viel Sympathie für Bloch im Spiel sein. Mit dem dick(köpfig)en Bloch gegen den Rest des medizinischen Apparats. „Er ist ein seltsamer Mensch, ein kerniger Charakter, nicht nur körperlich, sondern auch geistig ein Trumm, eine nicht einnehmbare Festung“, charakterisiert Verhoeven die Figur. So spröde ist Dieter Pfaff nicht, wenn das Eis einmal gebrochen ist. „Aber er ist schon einer, der genau hinguckt und prüft“, betont der Filmemacher. „Er ist mir nicht gleich in die Arme gefallen.“
Ähnlich wie die Figur ist auch die Reihe „Bloch“ ein Phänomen. Während andere Psychologen, wenn sie nicht kauzig-kriminalistisch daherkommen wie „Dr. Psycho“ oder „Monk“, dem Quotendruck nicht lange standhalten, hat sich Pfaffs Reihe über Jahre gehalten und konnte sogar zuletzt, qualitativ noch zulegen. Auch Verhoevens Film ist ein stimmiges Gesamtkunstwerk. „Vergeben, nicht vergessen“ handelt – wie der Titel andeutet – von schuldloser Schuld und der Möglichkeit des Verzeihens. Verhoeven: „Der Mann, der nicht an Gott glaubt, öffnet sich religiösen Fragen. Typisch Bloch, das gefällt mir.“
Der einst für den „Oscar“ nominierte Verhoeven, über vier Jahrzehnte mit Senta Berger verheiratet ist, hatte wie so oft ein glückliches Händchen: Birge Schades Rolle als Frau zwischen klaren und psychotischen Momenten ist eine Gratwanderung. „Das hätte leicht in ein Schaustück abgleiten können“, so Verhoeven. Doch Schade spielt uneitel, ohne Hang, allen zeigen zu wollen, was sie kann. Ein guter Griff war auch Kameramann Frank Sthamer. Dieser hatte schon Senta Berger in „Unter Verdacht“ in sehr atmosphärisches Licht getaucht. „Um die extremen Kontraste in einer Großaufnahme herzustellen, war der Schauspieler praktisch eingemauert wie in einem Gefängnis, damit kein unbeabsichtigtes Lichtstrählchen auf das Gesicht trifft“, so Verhoeven. Pfaff fand das gar nicht so toll. (Text-Stand: 16.7.2008)