Bloch traut seinen Augen nicht. Zunächst hört er ein argloses Kinderlachen, dann sieht er etwas, was er lieber nicht gesehen hätte: Michael Liebknecht, der Klassenlehrer seines Ziehsohnes, kommt einer zwölfjährigen Schülerin verdächtig nahe, berührt ihre Hände, streicht ihr über den Kopf. Das ist mehr als der Ausgleich für fehlende Nähe im Elternhaus. Bloch stellt den Lehrer zur Rede: „Sind Sie pädophil?“ Der weicht aus, kommt dann aber reumütig in die Praxis. Liebknecht muss sich eingestehen, dass er für die kleine Marlene, die ihn anhimmelt, mehr empfindet, als er empfinden darf – und er entschließt sich zur Therapie.
Dieter Pfaffs Bloch wagt sich mit „Der Kinderfreund“ an eines der letzten Tabu-Themen. Pädophilie sorgte in der Medienwelt bislang allenfalls für grelle Schlagzeilen. Der Psychologe und Drehbuchautor Marco Wiersch näherte sich dem Thema über eine real praktizierte Form der präventiven Therapie, wie sie an der Berliner Charité erprobt wird. „Man will Männern, die pädophile Gedanken haben und auch denjenigen, die schon tätlich geworden sind, Hilfe anbieten, indem man in ihnen durch die Konfrontation mit der Opferperspektive eine Art Sperre aufbaut“, erklärt Pfaff, der selbst beinahe Psychologe geworden wäre. Bloch wendet dieses Prinzip erfolgreich im Film an – und lässt den einfühlsamen Liebknecht aussprechen, was die Lust des sich einschmeichelnden Aggressors für das Mädchen bedeutet. „Er hat mir die ganze Zeit nur etwas vorgespielt, um DAS HIER zu machen.“ Die Reihe „Bloch“ hatte schon immer seine starken Szenen, „Der Kinderfreund“ nun ist eine Anhäufung solcher psychologisch stimmigen, höchst intensiven Situationen. Spätestens wenn sich Liebknechts Frau in die Therapie ihres Mannes einschaltet, kann sich auch der „normale“ Zuschauer identifizieren. Bloch geht es ähnlich: „Das klingt fast schon wie bei mir zuhause.“
Dass es sich bei Liebknecht um einen Menschen handelt, der bisher nur in Gedanken seine sexuellen Phantasien ausgelebt hat, hält Dieter Pfaff für eine gute Entscheidung. „Häufig werden solche Themen ja nur benutzt, um Drehbücher spannend zu machen.“ Bei Wierschs Geschichte, die Regisseur Kilian Riedhof sehr passend in düster-atmosphärische Bilder tauchte, haben indes Spekulation und Voyeurismus keine Chance. Vielmehr wird – wie oftmals in der Literatur – von einem Menschen erzählt, der mit seinen Gedanken und Neigungen nicht in die Gesellschaft hineinpasst. „Es geht um einen scheinbar normalen Menschen mit einem seelischen Defekt, also um einen Grenzfall zwischen Normalität und Krankheit“, betont Fabian Hinrichs, der Liebknecht spielt und nach „Sophie Scholl“ und „Schussangst“ auch in dieser Rolle brilliert. Ein Zwiespalt auf zwei Beinen, das sprichwörtliche schlechte Gewissen. Ein verkopfter und doch empfindsamer Mensch, dem man die Seelenqualen in jeder Sekunde ansieht, einer, der sich selbst verachtet, der sich mitunter ekelt vor sich selbst. „Der Kinderfreund“ bringt einem den Leidensdruck dieses Menschen näher. Er ist kein Monster. Und mit einer Therapie wird er wahrscheinlich „harmlos“ bleiben. Hinrichs: „Aber glücklich wird so jemand wie Michael Liebknecht nie.“