Conny Stein vom Kampfmittelräumdienst in Dresden muss an seinem letzten Arbeitstag vor der Pensionierung noch eine Bombe entschärfen, auf einer Baustelle in einem Kraftwerk. Dabei entdeckt er ein Mädchen, das zuvor mit einem Kleinbus voller Flüchtlinge in die Stadt gekommen war und (anfangs) kein Wort spricht. Stein übergibt es den Behörden, findet auf dem Industriegelände aber noch den Rucksack des Mädchens. Und schon bald steht das aus dem Jugendamt ausgebüxte Kind vor Steins Haustür, um sich seine Sachen zu holen. Stein hat allerdings andere Sorgen: Seine Frau Sanna ist, so glaubt er, verreist – enttäuscht darüber, dass ihr Gatte mit einer Überraschungstour zur Feier des Ruhestands nichts anfangen konnte.
Auch nach dem Ende der „Stubbe“-Reihe bleibt dem Publikum diese typische Mischung der Filme mit Wolfgang Stumph erhalten: Sympathische Figuren irgendwo zwischen redlichem Bürger und sächsischem Schlawiner meistern die Alltags-Verwicklungen in einer nicht allzu tiefschürfenden Handlung – humorvolle Kleine-Leute-Geschichten, verbunden mit einer menschenfreundlichen Botschaft. Wie kaum ein Zweiter im Fernsehen steht Stumph dafür, dass Leichtes und Populäres nicht in gleichgültige Oberflächlichkeit münden müssen – oder: nicht in Stumpfsinn, wenn dieses Namens-Wortspiel mal ausnahmsweise erlaubt ist.
„Blindgänger“, wie schon so mancher Stumph-Film von Peter Kahane inszeniert und geschrieben (gemeinsam mit Simone Kollmorgen), ist kein durchgängig überzeugendes, aber ein prägnantes Beispiel dafür: Ein Appell an Mitmenschlichkeit, ein Flüchtlings-Drama, das keinen Zweifel lässt, auf welcher Seite ein Mensch und Humanist heute zu stehen hat. „Ich finde es beschämend, dass sich verstärkt in der Öffentlichkeit Fremdenfeindlichkeit und völkisches Weltbild verbreitet“, sagt Stumph. Auch ohne die zufällige Tatsache, dass die „Pegida“-Demonstrationen wenige Wochen vor der Erstausstrahlung gerade in Dresden den größten Zulauf hatten, ist „Blindgänger“ ein Film zur rechten Zeit. Das Finale feiert die Bereitschaft, aufzustehen und sich der unmenschlichen Behandlung von Flüchtlingen zu widersetzen, mit einem entwaffnend schlichten Pathos. Diese Botschaft unterstützen einige namhafte Schauspielerinnen und Schauspieler (Inka Friedrich, Christina Große, Götz Schubert; Ulrike Krumbiegel) durch ihre Mitwirkung in zum Teil bescheidenen Nebenrollen.
Kahane erzählt die Geschichte einer Verwandlung: Stein, der überaus korrekte Bomben-Experte, der größten Wert auf Ordnung legt, wird in seinem Vertrauen in den Staat erschüttert. Das funktioniert nicht zuletzt dank des herzerfrischenden und auch professionell beachtlichen Spiels der Kinder-Darstellerin Mia Kasalo, die als zehnjähriges Flüchtlings-Mädchen Olli das Herz des peniblen Pensionärs rührt. Olli ist in Deutschland aufgewachsen, wurde aber mit ihrer aus Tschetschenien stammenden Familie wieder abgeschoben und versucht sich nun zu ihrer in Berlin ebenfalls illegal lebenden Schwester durchzuschlagen. Dieser Charakter macht es dem Publikum nicht allzu schwer, Empathie für ein Flüchtlings-Schicksal zu entwickeln. Olli ist eine pfiffige, manchmal etwas altkluge Überlebenskünstlerin und eine wahre Expertin im Davonlaufen, was sie mehrfach unter Beweis stellen kann.
Namentlich Mike Zirske von der Ausländerbehörde, gespielt von Franz Dinda, entwickelt geradezu Jagdfieber auf Olli und ihren Beschützer Stein. Die Figur ist ziemlich holzschnittartig geraten und hat eher die Funktion einer Antithese zum Steinschen Verständnis von Recht und Ordnung, das Mitmenschlichkeit nicht außer Acht lässt. Das Drehbuch verlagert damit das Problem auf die persönliche Ebene des einzelnen Beamten: Nicht so sehr das Ausländerrecht, sondern die ausführenden Personen in den Amtsstuben machen den Flüchtlingen das Leben schwer. Steins Vorwurf lautet denn auch am Ende, dass Zirske „fehl am Platz“ sei.
Insofern ist „Blindgänger“ unpolitischer, als es scheint. Doch Ollis im Grunde aussichtslose Flucht und auch das durch Freunde unterstützte Versteckspiel der Schwester in Berlin führen überzeugend in den realen Irrsinn des Ausländerrechts. Das verleiht dem Film gleichermaßen Züge eines Krimis und Sozialdramas. „Was bist du, Tschetschenin oder Deutsche?“, fragt Stein. „Ich weiß es nicht“, antwortet Olli. Und auf Steins Einwand „Jeder ist irgendwas“ erwidert sie: „Ich bin ich.“ Eher aufgesetzt wirkt dagegen der Nebenstrang der Steinschen Ehekrise. Sanna verreist nicht, sondern flüchtet erst einmal zu einer Freundin, trifft dann zufällig einen alten Schulfreund und gönnt sich eine Affäre in Paris. Dass Olli auch noch versuchen muss, die Eheleute wieder zusammenzubringen, ist eindeutig zuviel des Guten.