Bis nichts mehr bleibt

Bodenbender, Klare, Kunzendorf in Niki Steins wirkungsvollem Scientology-Drama

Foto: SWR
Foto Rainer Tittelbach

Eine Familie gerät in den Bann der Scientologen-Sekte. Die unter strenger Geheimhaltung abgedrehte SWR-Produktion von Niki Stein zeigt zunächst, wie sich der Ehemann von den Scientologen einfangen lässt. Aus dem Versager wird ein Gewinner. Danach erklimmt die Ehefrau die Leiter nach oben. Als sie immer fanatischer wird, strengt ihr Mann ein Sorgerechtsverfahren an… Prominent besetzt, stark gespielt, effektiv dramatisiert.

Hamburg, Ende der 1980er Jahre. In der jungen Ehe von Frank und Gine Reiners liegt Vieles im Argen. Das Paar hat ein Kind – doch keiner der beiden hat seine Rolle im Leben gefunden. Sie, die Reederstochter, verzweifelt an ihren dominanten Eltern, er, der Taxifahrer, bekommt sein Studium nicht geregelt. Plötzlich eröffnen sich für Frank ungeahnte Möglichkeiten: Scientology macht’s möglich. Am Anfang steht ein Test, dann folgt das niederschmetternde Ergebnis: „Du läufst Gefahr, deine Familie und dich selbst zu zerstören.“ Frank, der gutmütige Papa, muss dranbleiben. Und die Psycho-Kur tut ihm gut. Das merkt auch Gine, vor der er sein Engagement bei den Scientologen zunächst geheim hält: Scientology macht sexy! Und bald hilft „die Technologie“ auch ihr bei der Emanzipation von den Eltern.

Scientologen klagen gerne. Der Fernsehfilm „Bis nichts mehr bleibt“ geht deshalb auf Nummer sicher. „Dieser Film basiert auf einer wahren Geschichte ehemaliger Mitglieder von Scientology. Er erhebt jedoch nicht den Anspruch, die Geschehnisse in jeder Hinsicht authentisch wiederzugeben“, heißt es im Vorspann. Die unter strenger Geheimhaltung abgedrehte SWR-Produktion zeigt zunächst, wie sich der Ehemann von den Scientologen einfangen lässt. Aus dem Versager wird ein Gewinner. So hat die Organisation auch leichtes Spiel mit der Ehefrau, die sich ein für alle mal vom Erwartungsdruck der Eltern befreien will. Sie zahlt den Aufstieg in der Hierarchie zur so genannten „Clear“-Stufe mit einem Teil ihres Erbes. Frank muss Hilfsjobs in der Zentrale übernehmen, um weiterzukommen. Bald sind die alten Kräfteverhältnisse wieder hergestellt. Der Mann ist der Loser, die Frau die Lichtgestalt.

Bis nichts mehr bleibtFoto: SWR
Erziehung im Namen von Scientology. Eine Familie zerbricht. Suzanne von Borsody, Felix Klare, Jessy Teichert, Silke Bodenbender, Sabine Postel und Robert Atzorn in dem SWR-Drama „Bis nichts mehr bleibt“ (2010) von Niki Stein

Niki Stein wählte als Rahmen für sein Scientology-Drama das Sorgerechtsverfahren, das der Ehemann, der der Sekte abgeschworen hat, gegen seine immer fanatischere Frau anstrengt. Das ist ein dramaturgischer Trick, der seine Wirkung nicht verfehlt. So darf die Anwältin des Klägers der blauäugig naiven Richterin und dem unwissenden Zuschauer kritische Nachhilfe in Scientology geben, ohne dass es allzu belehrend wirkt. „Sie müssen sich das wie bei einem Drogenabhängigen vorstellen, dem plötzlich der Stoff ausgeht. Scientology wirkt wie eine Euphorisierungsmaschine, ohne die sie glauben, nicht mehr leben zu können.“ Solche Kommentare werden immer wieder in die als Rückblende erzählte Handlung erklärend eingeschoben. Mag die Gerichtsverhandlung auch ihren Zweck erfüllen, so wird sie doch im Verlauf des Films immer deutlicher als dramaturgische und didaktische Krücke erkennbar.

„Bis nichts mehr bleibt“ ist spannend – nicht wie ein Krimi, sondern im Sinne eines Dramas, das mit realen Bezügen und gesellschaftlich relevanten Fakten unterfüttert ist. Man schwimmt nicht mit der Hauptfigur in einem Meer der Tränen durch diesen Film, der nicht zuletzt durch seine zwei Zeitebenen stets die nötige Distanz schafft. Aber auch die Besetzung bedient nicht billig die Sehgewohnheiten. Silke Bodenbender, bekannt durch ihre kampfeslustigen Identifikationsfiguren, gibt bei Stein ausnahmsweise die Antagonistin, die Unbelehrbare, die Buhfrau mit dem Aussehen eines all-american-girl mit Lächeln und Föhnwelle. Blickkünstlerin Nina Kunzendorf als Ethik-Offizier wirkt anfangs bedrohlicher mit ihrer Rattenfänger-Verbindlichkeit, doch auch sie wird zum Opfer – und plötzlich sind ihre Augen Spiegel einer verzweifelten Leere. Felix Klare vom „Tatort“ Stuttgart ist das Opfer, Herr Nett, der auch mal jemand sein möchte und sich am Ende in einer sich immer totalitärer gebenden Organisation wiederfindet. Dass sein Aussteiger eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit mit dem weltweit bekanntesten Scientologen-Anhänger aufweist, ist wahrscheinlich reiner Zufall.

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Fernsehfilm

SWR

Mit Silke Bodenbender, Felix Klare, Nina Kunzendorf, Kai Wiesinger, Suzanne von Borsody, Robert Atzorn, Sabine Postel, Paula Schramm, Ludwig Blochberger, Victoria Trautmannsdorff

Kamera: Arthur W. Ahrweiler

Schnitt: Barbara Hennings

Musik: Jacki Engelken, Ulrik Spies

Produktionsfirma: TeamWorx

Drehbuch: Niki Stein

Regie: Niki Stein

Quote: 8,69 Mio. Zuschauer (27,1% MA)

EA: 31.03.2010 20:15 Uhr | ARD

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