Billy Kuckuck kann es einfach nicht lassen! Und so ist die Mainzer Gerichtsvollzieherin (Aglaia Szyszkowitz) mal wieder in sozialer Mission unterwegs. Eigentlich sollte sie bei Louisa Fitz (Nina Gummich) ja nur die Bezahlung für einen Küchenherd eintreiben. Doch dann stellt sich heraus, dass dies noch das kleinste Problem dieser Frau ist. Mit einem IQ von 75 bewegt sie sich an der Grenze zur geistigen Behinderung. Nach dem Tod ihrer Mutter scheint sie mit der Bewältigung ihres Alltags überfordert zu sein. Und weil nun ihr kleiner Sohn Marcel (Finnlay Berger) den „Aufpasser“ für sie spielt, die Haushaltskasse füllt und deshalb wochenlang die Schule schwänzt, wurde das Jugendamt alarmiert. Patrick Semmel (Christian Hockenbrink) ist zwar kein Unmensch, doch er muss den Jungen erst mal vorübergehend in einer Heim-WG unterbringen. Billy Kuckuck tut diese Frau leid – denn mehr und mehr gewinnt sie Einblick in die sehr spezielle Mutter-Sohn-Beziehung: Marcel ist clever und er hängt sehr an seiner Mutter; diese hat zwar eine Lernschwäche, ist aber fest entschlossen, alles zu tun, um eine gute Mutter zu werden. Die erste Voraussetzung bringt sie schon mal mit: Sie liebt ihren Sohn von ganzem Herzen. Die zweite geht sie gemeinsam mit der netten Frau mit dem freundlichen Lächeln an: das Lernen praktischer Lebensführung.
„Eine gute Mutter“ macht so weiter, wie die ARD-Freitagsfilmreihe „Billy Kuckuck“ mit „Margot muss bleiben“ im Frühjahr 2018 begonnen hat. Eine lebenskluge, engagagierte und hellwache Gerichtsvollzieherin zeigt den Hebammen, Dorfhelferinnen, Ärztinnen und Versorgungsassistentinnen des deutschen Fernsehens, wie man sich unpeinlich für seine Mitmenschen einsetzt. Dazu gehört, dass man den vermeintlichen „Gegner“, in diesem Fall das Jugendamt, nicht zum Buhmann macht – und dass die Helfer-Geschichte mit Nebenplots verschiedenster Tonlagen unterfüttert wird. Und dazu gehört auch, dass man das Sub-Genre ein bisschen auf die Schippe nimmt: „Du hast schon wieder diesen Blick“, mosert Billys beste Freundin, die Juristin Susanne (Eva Verena Müller). „Welchen Blick denn?“, fragt die hochkonzentrierte Heldin ein bisschen unwirsch. „Mutter Teresa, Gandhi, diesen Blick halt.“ Und am Ende kann sich die Freundin einen weiteren selbstreferentiellen Kommentar nicht verkneifen: „Jetzt wird sie niemals aufhören, sich einzumischen.“ Eine Drohung, die man sich als Zuschauer gern gefallen lässt. Denn „Billy Kuckuck“ ist und bleibt – gemeinsam mit „Ella Schön“ (ZDF) – die einzige öffentlich-rechtliche Reihe des sogenannten „Mutter-Teresa-Genres“, in der das Helfen nicht zum Synonym für „Helfersyndrom“ wird. Aglaia Szyszkowitz‘ Hauptfigur setzt sich nicht für andere ein, weil das ihr Ego nötig hat, sondern weil sie eine integre Persönlichkeit ist, eine Frau mit Haltung, Moral und Toleranz. Und irgendwann stellt sich auch für sie die Frage: Ist sie selbst überhaupt eine gute Mutter?
Statement der Produzenten: Die Folge „Eine gute Mutter“ basiert tatsächlich auf einer wahren Begebenheit. Als wir während der Recherchen zu unserer TV-Reihe eine echte Gerichtsvollzieherin kennenlernten – Claudia Giegler-Linden, ein Kölsches Urgestein – fragten wir sie natürlich auch nach ihrem berührendsten Fall aus ihrer Praxis. Sie erzählte uns dann genau diese Geschichtevon einem Jungen, den das Jugendamt aus seiner vertrauten Umgebung herausholte und in ein Heim brachte, weil sich seine Eltern aus Sicht der Behörde nicht genügend um ihn kümmerten. Der Junge war so unglücklich darüber, dass er aus dem Heim floh und zu Fuß die ganzen Kilometer zurücklief, um wieder bei seinen Eltern zu sein.
Soundtrack:
Margaret („Thank You Very Much“), Joshua Hyslop („Stand Your Ground“), Bruno Mars („Count On Me“), Coldplay („Viva La Vida“), Madonna („The Power of Good-Bye“), Imagine Dragons („Bad Liar“), George Ezra („All My Love“)
Diese Spiegelungen zwischen A- und B-Plot ziehen weder die Hauptfigur herunter noch sind sie Stimmungskiller für den Zuschauer. Die Geschichte um eine erwachsene Frau mit Lernschwäche setzt auf Molltöne und Mut zu großen Gefühlen, aber sie besitzt auch entlastende Momente und eine gewisse Leichtigkeit. Wie in der Auftakt-Episode werden die Pole zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, zwischen menschlichem Härtefall und köstlich unkonventionellem Familien-Alltag gleichermaßen ausgeleuchtet. Und genau diese Mischung macht’s: eine große Ernsthaftigkeit, jede Menge Humor, (Selbst-)Ironie, Empathie, ein Gefühlsausbruch zur rechten Zeit und eine spürbare Lust aufs Leben: Was für Billy Kuckuck gilt, das hat Autorin Kirsten Peters auch der Narration verordnet. Die Übergänge zwischen den Tonlagen sind fließend; manchmal verändert bereits ein Detail die vermeintliche Grundstimmung einer Szene. Semantisch grandios ist die Idee, das Kind, wegen dessen Billys Ehe kaputt gegangen ist, ausgerechnet von ihr betreuen zu lassen. So spielt der Beziehungsplot ständig in den Kindeswohl-Plot hinein. Mit der kleinen Cynthia auf dem Arm muss die Gerichtsvollzieherin mehrere ernsthafte Gespräch führen, die dadurch so gar nichts von TV-üblichen Problemunterhaltungen besitzen. Im Jugendamt macht die Kleine Tabula Rasa, im Treppenhaus des Gerichts versucht sie sich in Leibesübungen und auch die Art und Weise, wie die Heldin das Mädchen machen lässt, ist nicht weniger komisch und kann als eine feine Spitze gegen das Heer von Helikoptermüttern gelesen werden. Und dann – als Billy wahrlich andere Probleme hat – noch dieser Rat am Telefon für ihre babysittende Tochter Hannah (Vivien Sczesny): „Dann setz‘ sie vor den Fernseher und gib‘ ihr Pudding.“
„Eine gute Mutter“ ist ein aufgeklärter Unterhaltungsfilm mit eben solchen Figuren, die sich nicht blind den Genre-Regeln ergeben, sondern zumindest mit einem Bein in der Wirklichkeit stehen. Das spiegelt sich auch in den alltagsnahen Dialogen, besonders treffsicher in den sehr stimmigen Mutter-Tochter-Kuckuck-Interaktionen. Mit dem anderen Bein tänzelt auch diese Episode durchs komödiantische Fach. Dafür zuständig – neben der gelegentlich beiläufig witzig-ironischen Heldin – ist vor allem ihr Noch-Ehemann Gunnar, den Gregor Bloéb als nach wie vor eher schlichtes Gemüt verkörpert. Mehr als ein gebetsmühlenhaftes „Es tut mir alles so leid“ bringt er nicht heraus, wenn er nicht gerade ans „Poppen“ mit seiner Ex denkt. Ausgerechnet während so einer Entschuldigungsarie ruft seine Neue an – Gunnars Klingelton: „Ich lieb dich“ von Pur. Das wird wohl doch nichts mehr mit den beiden! Bei so einem Musikgeschmack. Da hilft es auch nicht, dass Tochter Hannah bei ihrem Vater ein Foto von Billy im Nachttisch entdeckt hat. Also dann doch lieber der Sanitäter Lukas (Bernd-Christian Althoff)? Der ist zwar 15 Jahre jünger, aber ein grundehrlicher Typ (ob sich da Peters von der US-Serie „Parenthood“ hat inspirieren lassen?). Bei ihm ist Billy Kuckuck anders. Da kommt bei ihr nicht dieser schmerzerfüllte Blick auf, sondern neue Hoffnung auf etwas privates Glück. Oder zumindest auf ein paar Stunden ohne Sorgenfalten. (Text-Stand: 18.10.2019)