Es ist Nacht. Eine Frau mit Pistole schleicht sich in eine Villa. Ein Mann mit Hut folgt ihr. Wenig später stößt er auf die bewaffnete Schöne – sie hat ein Loch im Kopf. Und wieder ist Nacht. Geräusche reißen Privatdetektiv Uli Fichte aus dem Schlaf. Versenkt da einer eine Frauenleiche im Hafenbecken? Offenbar ist die Phantasie mit ihm durchgegangen, denn geborgen wird am nächsten Tag nur eine Schaufensterpuppe – mit einem Einschussloch an der Schläfe. Bei seinen Recherchen stößt er auf einen berühmten Bildhauer, der mit Schaufensterpuppen nach lebenden Vorbildern arbeitet und mit ihnen seine hochpreisigen Installationen bestückt. Die Wasserleichenpuppe ist Marion Nr. 5. Bald tauchen in Hamburg weitere Schaufensterpuppen mit einem Einschussloch in der Schläfe auf. Was will uns der Künstler damit sagen? Uli Fichte ist irritiert und fasziniert zugleich – von dieser Geschichte und vor allem von dieser formvollendeten Marion Nr. 5. Die Suche nach ihrem lebenden Abbild führt ihn in eine psychiatrische Klinik, in der er auf einen alten Bekannten trifft…
Wenn die Geschichte bizarr bis absurd ist und wenn die dramaturgischen Stellschrauben deutlich überdreht werden wie im Falle von „Marion Nr. 5“, dann ist die Krimikultreihe „Alles außer Mord“ ganz bei sich. Story, Handlungslogik und Spannung gehörten nicht unbedingt zu den Markenzeichen dieser ersten Krimi-Reihe eines deutschen Privatsenders. Zwischen 1994 und 97 brachten es die 14 Neunzigminüter mit Dieter Landuris als ebenso lässigem wie leidenschaftlichem Single-Privatdetektiv und Stefan Reck als seinem glücklich verheirateten Busenfreund auf drei bis vier Millionen Zuschauer – und das bei Pro Sieben. Drehbuch-Routinier Michael Baier hat in seinem Duo die widersprüchlichen Sehnsüchte Familienglück und Freiheitswille verankert und überspielt das sehr geschickt mit seinen Krimigeschichten.
Die Reihe lebt vor allem durch die Wiedererkennungseffekte: Fichte reitet sich ein ums andere Mal tief rein mit seinen Fälle, er stört den Familienfrieden seines Freundes Frieder und bei ihm spielen Frauen stets eine Rolle als Objekte des Begehrens (notfalls muss dann eben auch mal eine Schaufensterpuppe herhalten: „Marion und Uli Fichte, das hat irgendwas“). Auch über den herausragenden Score von Klaus Doldinger, Erfinder der „Tatort“-Melodie, der den Titelsong in den unterschiedlichsten Variationen präsentiert, freut man sich jedes Mal aufs Neue. Auch die gelegentlichen Nonsens-Dialoge und verbalen Redundanzen (Uli Fichte redet für sein Leben gern) tragen mit zur Atmosphäre der Filme bei. In „Marion Nr. 5“ gerät der Fall gewohnheitsgemäß ein bisschen ins Hintertreffen. Häufig übernimmt der Zufall die Regie. Tipp: Einfach gucken und sich überraschen lassen und sich freuen an dem schrägen, für 90er-Jahre-Verhältnisse cool erzählten und modern inszenierten Durcheinander – mit dieser Haltung kann man heute noch viel Spaß haben an dem immer jungen TV-Krimi-Klassiker.