Uli Fichte muss in eigener Sache ermitteln – und er ist sichtlich genervt. Sein Vater, gerade erst raus aus dem Knast, bringt sich gleich wieder Nacht in Schwierigkeiten. „Das ist ein Auftrag“, sagt er, als er von seinem Sohn in der Villa eines Filmregisseurs dabei überrascht wird, wie er gerade einen Safe knackt. Es geht nicht um Geld, sondern um eine Video-Kassette. Nicht nur sein Uli, auch die Polizei kommt Fichte senior bei seinem Job in die Quere. Doch schlimmer noch: Im Nebenzimmer der Villa liegt eine Leiche. Jetzt muss Uli für seinen Vater mitdenken: die Aktion, Theo einen alten Kumpel bei der Polizei, der als erster am Tatort war, einzuweihen, erweist sich allerdings als unklug; eine falsche Kassette beim Auftraggeber abzuliefern, ist eine ebenso wenig gute Idee. Uli bringt damit seinen Vater und seinen besten Freund in Lebensgefahr. Dann macht er selbst die unangenehme Bekanntschaft mit einem gemeingefährlichen Regisseur und einem Bankier, der sich nicht nur gern fesseln und schlagen lässt, sondern der auch selbst ganz gern mit einer Knarre herumfuchtelt.
Mit „Alles außer Mord“ begab sich Pro Sieben 1994 erfolgreich aufs Feld der fiktionalen Eigenproduktionen. Waren auch die Drehbücher nicht immer der Logik letzter Schluss – der für damaligen Verhältnisse sehr moderne Look, der cool angejazzte Score von Klaus Doldinger, die Straßen von Hamburg, die vielen neuen Schauspieler-Gesichter (Sophie von Kessel, Martina Gedeck, Ann-Kathrin Kramer, Christiane Paul, Esther Schweins) und vor allem das ungemein sympathische „Ermittlerduo“, hier der lässige und doch leidenschaftliche Schnüffler, dort der vernünftige und glücklich verheiratete Psychoanalytiker, gelegentlich ergänzt durch einen Klatschreporter, wurden bald eine unverkennbare Marke. Dieter Landuris und Stefan Reck gaben ihren Rollen eine Frische und ein ironisches Augenzwinkern mit, was man so damals in „Derrick“-Deutschland nicht kannte. Serien-Routinier Ulrich Baier wuchs über sich hinaus und legte vor allem Uli Fichte beiläufige Pointen und Nonsens-Dialoge in den Mund, die der Reihe unter jüngeren Zuschauern eine große Fan-Gemeinde bescherte.
„Der Name der Nelke“ ist die beste Episode der ersten Staffel, die 1994 Premiere hatte. Der Film ist die Gesellenprüfung von Regisseur Roland Suso Richter und enthält alles, was die Reihe auszeichnet: Witz und Coolness, ein spielfreudiges Duo und eine Top-Besetzung (Fitz, Kowalski, Knaup; selbst die Leiche ist mit Katja Flint prominent besetzt), Sinn fürs Detail und viel Atmosphäre. Aber dieser sechste Film aus der 14-teiligen Reihe hat einfach mehr Klasse: die Story mit ihren selbstreferentiellen Bezügen zum Kino ist origineller; die Dramaturgie mit ihren Film-Noir-liken Löchern, Wendungen und Koalitionswechseln wirkt noch einen Tick verspielter als sonst, größere Handlungsdichte und höheres Tempo inklusive; und auch die Gegensätze sind krasser, der Familienfrieden hält nie lang – die bösen Buben sind schon da. Und fernsehästhetisch gehört „Der Name der Nelke“ zu den Wegweisern einer modernen, bildorientierten, kontrastreichen Filmsprache. Denn Mitte der 90er Jahre war nicht nur in den Serien, sondern auch im Fernsehfilm die öffentlich-rechtliche Lichtbestimmungspolizei noch im Amt. „Alles außer Mord“ setzte konsequent auf eine neue Ausleuchtungspolitik: Wenn es in Räumen dunkel sein sollte, dann war es auch dunkel, Licht und Schatten, ein Kennzeichen der Schwarzen Serie, die Nacht als Handlungszeit, extreme Detaileinstellungen wie in der Werbung oder in Videoclips (beispielsweise in einem SM-Video im Film) – all das wurde fürs Breitenfernsehen in dieser Reihe der ndF kultiviert. In Roland Suso Richters zweiten Film mit Fichte & Co ist das alles am konsequentesten umgesetzt. Und diese sichtbaren Film-Noir-Reminiszenzen spiegeln sich sogar im Drehbuch von „Guldenburg“-Autor Michael Baier: So heißen denn die Werke des Regisseurs im Film „Schwarze Orchidee“ und „Schattenspiele“.