Marcel (Mehdi Nebbou) kommt mal wieder zu spät. Sein Teenager-Sohn Felix (Yoran Leicher) war nach einer Autofahrt in betrunkenem Zustand im Krankenhaus gelandet, hat aber bereits das Weite gesucht, ehe Marcel dort eintrifft. Der Vater findet den Sohn in der heimischen Garage, wo er mit einem Kumpel kiffend abhängt. Noch am selben Tag müssen Marcel und Felix zum Gericht eilen, wo eine weise Jugendrichterin (Franziska Schlattner) Marcel einen Monat Zeit gibt, um wieder ein verlässlicher Vater für seinen auf die schiefe Bahn geratenen Jungen zu werden. „Zeigen Sie ihm, dass er wichtig ist“, sagt sie. Felix hält von seinen getrennt lebenden Eltern offenbar nicht mehr allzu viel. Der Richterin hat er erklärt, er wolle in ein geschlossenes Heim für jugendliche Straftäter eingewiesen werden. Die Mutter tritt nur ein Mal als Stimme am Telefon in Erscheinung. Sie wird vom Drehbuch mit dem Hinweis aus dem Spiel genommen, dass sie sich bei einem Schweigeseminar in der Schweiz befinde. „12 Tage Sommer“ konzentriert sich ganz auf die Vater-Sohn-Beziehung.
Foto: BR / Jacqueline Krause-Burberg
Nun tauchen Figuren wie der unzuverlässige Vater und das stets genervte, pubertierende Kind gefühlt in jedem zweiten Familiendrama auf. Auch muss man erst die leicht holprige Exposition hinter sich lassen, ehe der Film als Vater-Sohn-Drama zur Ruhe und gleichzeitig als oberbayerisches Roadmovie auf Touren kommt – wobei „Roadmovie“, wörtlich genommen, eine nicht ganz zutreffende Genre-Bezeichnung ist, weil die Protagonisten Straßen bewusst meiden. Marcel hat beschlossen, die Auflage des Gerichts zu erfüllen, indem er gemeinsam mit seinem minderjährigen Sohn auf eine mehrtägige Wandertour geht. Sie soll die beiden von München aus bis auf den Gipfel der Zugspitze führen. Felix („Nicht mal im Traum“) hat zwar anfangs keine Lust, aber beim Eselfarmer (Michael Kranz) wendet sich das Blatt. Mit Eselin Maria versteht er sich sofort, und mit Maria als vierbeinigem Gepäckservice ziehen Vater und Sohn also los, denn: „Was Besseres als den Tod findet man überall“, wiederholt Felix, jetzt mal lächelnd, das „Bremer Stadtmusikanten“-Motto des Eselfarmers.
Die charmante Idee von Autor Jacob Fuhry setzt Regisseur Dirk Kummer ebenso charmant um: als unterhaltsame Reise in zwölf Tages-Kapiteln mit ernsten und komischen Begebenheiten und beinahe märchenhaften Nebenfiguren – ein Roadmovie der besonderen Art in einem zauberhaften Oberbayern ohne Folklore- und Bierwerbung-Klischees. Das Kapitel „Tag 5“ zum Beispiel ist schnell erzählt, denn da regnet es, und Marcel und Felix verkriechen sich lieber im Zelt. Für den leicht mystischen Zug sorgt unter anderem Schauspieler Michael Kranz mit seiner unverwechselbaren Physiognomie. Kranz taucht am elften Tag in zwei weiteren Rollen auf, die ebenfalls aus der Zeit gefallen scheinen. Und dann sind da noch die fliegende Prinzessin und die alte Honig-Hexe – so möchte man die Nebenfiguren bezeichnen, die das Vater-Sohn-Drama mit weiteren, märchenhaft anmutenden Zügen auflockern.
Despina (Amira Demirkiran) scheint vom Himmel gefallen zu sein. Jedenfalls hat sich die leidenschaftliche Drachenfliegerin bei einer offenbar verunglückten Landung direkt vor Felix‘ Nase mit ihrem Fluggerät in einem Baum verheddert. Die selbstbewusste junge Frau verdreht Felix den Kopf und hinterlässt eine geheimnisvolle Botschaft. Auch Elisabeth (Monika Baumgartner) kommt wie gerufen: Nachdem Marcel über eine Zeltschnur gestolpert und mit dem Hintern auf ein Brett mit hervorstehendem Nagel gefallen ist, hilft die alleinstehende Witwe mit einer zupackenden Wund- und Honig-Behandlung aus. Und trägt gleich noch mit ihrer Lebenserfahrung zur Versöhnung zwischen Vater und Sohn bei.
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So fädeln Drehbuch und Regie die Annäherung der Protagonisten lakonisch und warmherzig ein, ergänzt durch knappe Dialoge, in denen sich Marcel und Felix einiges an den Kopf werfen, aber unter dem Eindruck des gemeinsamen Abenteuers langsam zu öffnen beginnen. Gefühle werden nicht dick aufgetragen, auch nicht als musikalisch scheppernder Brei, sondern entwickeln sich aus den Figuren und der Geschichte. Dieses für Marcel und Felix bisweilen beschwerliche, fürs Publikum eher leichtfüßige Roadmovie ist der fiktionale TV-Höhepunkt der ARD-Themenwoche „Stadt. Land. Wandel – Wo ist die Zukunft zu Hause?“, auch wenn es etwas weit hergeholt erscheint, dass der Film ausgerechnet für dieses Motto stehen soll.