12 Tage Sommer

Mehdi Nebbou, Yoran Leicher, Jacob Fuhry, Dirk Kummer. Lakonisch und warmherzig

Foto: BR / Jacqueline Krause-Burberg
Foto Thomas Gehringer

Wandern als Vater-Sohn-Kur: „12 Tage Sommer“ (BR / Hager Moss) ist ein feines, warmherziges Drama und ein beinahe märchenhaftes Roadmovie, das allerdings nicht über Straßen, sondern durch die schöne oberbayerische Landschaft führt. Marcel (Mehdi Nebbou) und sein 15-jähriger Sohn Felix (Yoran Leicher) laufen von München zu Fuß bis zum Gipfel der Zugspitze – in Begleitung eines eigenwilligen Packesels. Unterwegs begegnen ihnen prägnante Typen, die Vater und Sohn dabei helfen, zu sich selbst und wieder zueinander zu finden. Das charmante Drehbuch von Jacob Fuhry hat Grimme-Preisträger Dirk Kummer („Zuckersand“) ohne volkstümelnde Klischees und rührseligen Kitsch inszeniert.

Marcel (Mehdi Nebbou) kommt mal wieder zu spät. Sein Teenager-Sohn Felix (Yoran Leicher) war nach einer Autofahrt in betrunkenem Zustand im Krankenhaus gelandet, hat aber bereits das Weite gesucht, ehe Marcel dort eintrifft. Der Vater findet den Sohn in der heimischen Garage, wo er mit einem Kumpel kiffend abhängt. Noch am selben Tag müssen Marcel und Felix zum Gericht eilen, wo eine weise Jugendrichterin (Franziska Schlattner) Marcel einen Monat Zeit gibt, um wieder ein verlässlicher Vater für seinen auf die schiefe Bahn geratenen Jungen zu werden. „Zeigen Sie ihm, dass er wichtig ist“, sagt sie. Felix hält von seinen getrennt lebenden Eltern offenbar nicht mehr allzu viel. Der Richterin hat er erklärt, er wolle in ein geschlossenes Heim für jugendliche Straftäter eingewiesen werden. Die Mutter tritt nur ein Mal als Stimme am Telefon in Erscheinung. Sie wird vom Drehbuch mit dem Hinweis aus dem Spiel genommen, dass sie sich bei einem Schweigeseminar in der Schweiz befinde. „12 Tage Sommer“ konzentriert sich ganz auf die Vater-Sohn-Beziehung.

12 Tage SommerFoto: BR / Jacqueline Krause-Burberg
Das etwas andere Road-Movie, der etwas andere Vater-Sohn-Plot. Und Elisabeth (M.Baumgartner) kommt wie gerufen für Vater (Mehdi Nebbou) und Sohn (Yoran Leicher).

Nun tauchen Figuren wie der unzuverlässige Vater und das stets genervte, pubertierende Kind gefühlt in jedem zweiten Familiendrama auf. Auch muss man erst die leicht holprige Exposition hinter sich lassen, ehe der Film als Vater-Sohn-Drama zur Ruhe und gleichzeitig als oberbayerisches Roadmovie auf Touren kommt – wobei „Roadmovie“, wörtlich genommen, eine nicht ganz zutreffende Genre-Bezeichnung ist, weil die Protagonisten Straßen bewusst meiden. Marcel hat beschlossen, die Auflage des Gerichts zu erfüllen, indem er gemeinsam mit seinem minderjährigen Sohn auf eine mehrtägige Wandertour geht. Sie soll die beiden von München aus bis auf den Gipfel der Zugspitze führen. Felix („Nicht mal im Traum“) hat zwar anfangs keine Lust, aber beim Eselfarmer (Michael Kranz) wendet sich das Blatt. Mit Eselin Maria versteht er sich sofort, und mit Maria als vierbeinigem Gepäckservice ziehen Vater und Sohn also los, denn: „Was Besseres als den Tod findet man überall“, wiederholt Felix, jetzt mal lächelnd, das „Bremer Stadtmusikanten“-Motto des Eselfarmers.

Die charmante Idee von Autor Jacob Fuhry setzt Regisseur Dirk Kummer ebenso charmant um: als unterhaltsame Reise in zwölf Tages-Kapiteln mit ernsten und komischen Begebenheiten und beinahe märchenhaften Nebenfiguren – ein Roadmovie der besonderen Art in einem zauberhaften Oberbayern ohne Folklore- und Bierwerbung-Klischees. Das Kapitel „Tag 5“ zum Beispiel ist schnell erzählt, denn da regnet es, und Marcel und Felix verkriechen sich lieber im Zelt. Für den leicht mystischen Zug sorgt unter anderem Schauspieler Michael Kranz mit seiner unverwechselbaren Physiognomie. Kranz taucht am elften Tag in zwei weiteren Rollen auf, die ebenfalls aus der Zeit gefallen scheinen. Und dann sind da noch die fliegende Prinzessin und die alte Honig-Hexe – so möchte man die Nebenfiguren bezeichnen, die das Vater-Sohn-Drama mit weiteren, märchenhaft anmutenden Zügen auflockern.

Despina (Amira Demirkiran) scheint vom Himmel gefallen zu sein. Jedenfalls hat sich die leidenschaftliche Drachenfliegerin bei einer offenbar verunglückten Landung direkt vor Felix‘ Nase mit ihrem Fluggerät in einem Baum verheddert. Die selbstbewusste junge Frau verdreht Felix den Kopf und hinterlässt eine geheimnisvolle Botschaft. Auch Elisabeth (Monika Baumgartner) kommt wie gerufen: Nachdem Marcel über eine Zeltschnur gestolpert und mit dem Hintern auf ein Brett mit hervorstehendem Nagel gefallen ist, hilft die alleinstehende Witwe mit einer zupackenden Wund- und Honig-Behandlung aus. Und trägt gleich noch mit ihrer Lebenserfahrung zur Versöhnung zwischen Vater und Sohn bei.

12 Tage SommerFoto: BR / Jacqueline Krause-Burberg
Dieses warmherzige TV-Drama hat etwas Märchenhaftes: Despina (Amira Demirkiran) scheint vom Himmel gefallen zu sein, direkt vor die Füße von Felix (Yoran Leicher) und Esel Maria (Lore) .

So fädeln Drehbuch und Regie die Annäherung der Protagonisten lakonisch und warmherzig ein, ergänzt durch knappe Dialoge, in denen sich Marcel und Felix einiges an den Kopf werfen, aber unter dem Eindruck des gemeinsamen Abenteuers langsam zu öffnen beginnen. Gefühle werden nicht dick aufgetragen, auch nicht als musikalisch scheppernder Brei, sondern entwickeln sich aus den Figuren und der Geschichte. Dieses für Marcel und Felix bisweilen beschwerliche, fürs Publikum eher leichtfüßige Roadmovie ist der fiktionale TV-Höhepunkt der ARD-Themenwoche „Stadt. Land. Wandel – Wo ist die Zukunft zu Hause?“, auch wenn es etwas weit hergeholt erscheint, dass der Film ausgerechnet für dieses Motto stehen soll.

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Fernsehfilm

BR

Mit Mehdi Nebbou, Yoran Leicher, Amira Demirkiran, Monika Baumgartner, Michael Kranz, Franziska Schlattner

Kamera: Felix von Muralt

Szenenbild: Maike Althoff

Kostüm: Anna Mielcarski

Schnitt: Simon Quack

Musik: Mathias Rehfeldt

Redaktion: Claudia Simionescu, Amke Ferlemann

Produktionsfirma: Hager Moss Film

Produktion: Anja Föringer

Drehbuch: Jacob Fuhry

Regie: Dirk Kummer

Quote: 2,74 Mio. Zuschauer (9,3% MA)

EA: 10.11.2021 20:15 Uhr | ARD

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