Stille

Fedder, Berben, Jeltsch, Schwarzenberger. Vom Medienzirkus zur inneren Einkehr

Foto: NDR / Degeto / Bernhard Berger
Foto Rainer Tittelbach

Ein egomanischer Talkshow-Moderator zieht die Reißleine. In der Einsamkeit der Alpen unterzieht sich der selbstgefällige Casanova einem Prozess der Selbstkasteiung. Eine gute Idee – aber nicht für einen Fernsehfilm. Das ambitionierte Projekt scheitert – auch an seinem Medium, das nur schwer mit Stille und Ein-Personen-Szenen umgehen kann. Die Splitter-Dramaturgie geht in „Stille“ nicht auf. Reiz folgt auf Reiz; der These folgt die Antithese, eine Geschichte entsteht nicht. Und die Wahrheiten über die Mechanismen der Medien, die hier vermittelt werden, sind banal. Ein ehrenwerter Versuch, ein guter Fedder, mehr nicht!

„Mein Vater hasste die Stille; er hasste sie, weil er glaubte, dass Stille Desinteresse signalisierte, Desinteresse an seiner Person.“ Der, um den es geht, heißt Harry Cliever und er ist berühmt; er moderiert „die erfolgreichste Talkshow aller Zeiten“ und ist ein Egomane allererster Güte. Sein seelisch schwer angeschlagener Sohn hat jetzt abgerechnet mit seinem Vater, der gierig, geil und geltungssüchtig sich alles nahm und nie danach gefragt hat, wie es den anderen dabei geht, und damit viel Leid über die Familie gebracht hat. „Im Schatten des Allmächtigen“ heißt das Buch des Juniors. Als seine Mutter es Harry in die Hand drückt, ist Cliever noch der selbstverliebte Medien-Narziss; doch es dauert nicht lange, da zerlegt der sonst so handzahme Pointen-Fetischist noch mal eben einen mächtigen Finanzmanager vor laufender Kamera und macht danach Schluss: „Es ist vorbei, ich höre auf.“ Der Gescholtene zieht sich in die Berge zurück, nach Osttirol, dorthin, wo einst seine geliebte Tochter, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, ihren Frieden mit sich, den Medien und ihrem Vater machte. Er will offenbar den Kampf aufnehmen mit seinem inneren Schweinehund – und die Stille aushalten. Oder wird seine innere Einkehr zum nächsten großen Mediending?!

Ein scheinbar unverbesserlicher Schürzenjäger unterzieht sich freiwillig einem Prozess der Selbstkasteiung bis hin zur Selbstreinigung. Er will dem Medienkrieg und Ehekampf mit Hilfe der unbändigen Kraft der Natur entkommen. Eine gute Idee – für einen Roman, der dem Leser Leerstellen lässt für eigene Gedanken, oder für einen Kinofilm, der dem Blick vertraut, der mit Ästhetik, Sinnlichkeit & der Wahrnehmung des Zuschauers spielt. Aber ist es das richtige Sujet für einen Fernsehfilm? Für Redakteure und Zuschauer, die alles erklärt haben wollen? Autor Christian Jeltsch wird diesen Widerspruch zu spüren bekommen haben. Der Fernsehfilm „Stille“ scheitert – Ironie des Schicksals – an seinem Medium, das nur schwer mit Stille und Ein-Personen-Szenen umgehen kann. Stille als Kontrast-Empfindung zu definieren, ihr also erst einmal einen lauten Medienzirkus entgegenzusetzen, ist dramaturgisch sicher eine gute Entscheidung, schützt dennoch nicht vor Langeweile. Ein Alleingang in den Bergen trägt keine 30 Minuten – besonders wenn das Erzählte ziemlich banal bleibt.

StilleFoto: NDR / Degeto / Bernhard Berger
Das Gegenteil von Stille: „Harry Cliever Show“. Jan Fedder & Christine Kaufmann. Aufmacher-Foto oben: Der egomanische Talkmaster zieht sich in die Berge zurück. Innere Einkehr oder Wut? Wie dem auch sei: gute Idee, wenig filmischer Ertrag.

Die einzige Frage, die in diesem Film interessiert: Ist die Suche nach der Stille echt oder ist alles nur wieder Spielmaterial für die Medien-Identität des Helden? Die anderen Zeitgeist-Themen und psychologischen Motive mögen im Roman von Tim Parks eine gewisse Relevanz besitzen; im Film wirkt das Ganze wie eine szenische Reihung von Plattitüden. Wie die Medien, wie Macht und Erfolg in diesem System funktionieren sind Binsenweisheiten. Auch die Dialektik der medialen Persönlichkeit, dass es den Superstar nur geben kann, wenn es auch Menschen gibt, die Groupies sein wollen, dass der, der glänzen will, den braucht, der sich in dessen Glanz sonnen möchte, muss einem kein Fernsehfilm erzählen. Was soll dieser Film aber dann dem Betrachter geben? Denn nicht nur der Erkenntniswert, auch der ästhetische Lustfaktor ist gering – und die Dramaturgie, die die Chronologie einer linearen Filmerzählung aufbricht (von der Idee her richtig), verfängt nicht. Denn das, worum es geht, ist zu banal. Oder ist es sogar die Form, die bei dieser Geschichte kontraproduktiv ist, weil sie vermeintlich Unbedeutendes wegschneidet, damit aber auch Zwischentöne & Stimmungen.

Ein anderes Beispiel für einen Film, der die klassische Anfang-Mitte-Schluss-Dramaturgie aufbricht: „Sie hat es verdient“, der Film um ein Teenager-Girlie, das mit ihren Kumpels eine Klassenkameradin zu Tode foltert. Hier war es sinnvoll, die Handlung um jene „unerhörte“ Tat mithilfe der Montage zu zersplittern. Keine klare Antwort, keine eindeutige Kausalität. In „Stille“ aber liegt der Fall völlig anders: das zu begreifende Phänomen ist vergleichsweise simpel; da muss eher noch die Dramaturgie herhalten, um eine Aura von Sinn zu simulieren. Reiz folgt auf Reiz; der These folgt die Antithese, eine Geschichte entsteht dabei nicht; die Szenen bekommen dagegen etwas Illustrierendes. Die Wirkung dieses Films insgesamt: prätentiös. Dass Jan Fedder eine Idealbesetzung für jenen Harry Cliever ist (Uwe Kockisch wäre auch noch denkbar gewesen), dass Anna Fischer und Florian Bartholomäi für jeden Film eine Bereicherung sind, dass zumindest ein paar Bilder an die einst große Kamerakunst von Xaver Schwarzenberger erinnern, dass der Versuch, einen Zeitgeist-Roman mit hochkarätigem Personal und ebensolchen Machern zu verfilmen, sehr viel mutiger ist als die 99. Krimischwarte zu verfilmen, dass die Schlussviertelstunde ein wenig versöhnt (mit den hohen Erwartungen) – das alles ist imstande, die Kritik wenigstens etwas zu relativieren.

StilleFoto: NDR / Degeto / Bernhard Berger
Wird es eine Versöhnung geben zwischen Vater und Sohn? Florian Bartholomäi und Jan Fedder in dem ARD-Drama „Stille“

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Fernsehfilm

ARD Degeto, NDR

Mit Jan Fedder, Iris Berben, Florian Bartholomäi, Anna Fischer, Leslie Malton

Kamera: Xaver Schwarzenberger

Szenenbild: Veronika Merlin

Schnitt: Helga Borsche

Musik: Stefan Bernheimer

Produktionsfirma: sunset austria

Drehbuch: Christian Jeltsch – nach dem Roman von Tim Parks

Regie: Xaver Schwarzenberger

Quote: 4,96 Mio. Zuschauer (15,3% MA)

EA: 13.02.2013 20:15 Uhr | ARD

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