Seit über hundert Kinojahren amüsiert sich das Publikum köstlich, wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht. Die Konsequenzen des Malheurs sind dagegen eher selten Thema. Dass allerdings auch die schmerzhaften Folgen komisch sein können, beweist Maria Hilbert mit ihrem Drehbuch zur dritten Episode der ARD-Freitagsreihe „Schule am Meer“. Schon der Auftakt lässt erahnen, was gleich passieren wird: Lehrer Erik Olsen radelt am Meer entlang und schickt seiner Chefin, die ihrerseits mit dem Wagen auf dem Weg zur Flensburger Berufsschule ist, mehrere Sprachnachrichten. Katharina Hendriks ist zunehmend genervt, und weil beide abgelenkt sind, kommt es am Schultor zum fatalen Zusammenstoß. Da die Schulleiterin die größere Schuld an dem Unfall trägt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich um ihren Lehrer zu kümmern: Erik sitzt nun schwer lädiert im Rollstuhl. Also ziehen beide in sein vorübergehend verwaistes Elternhaus, wo sie sich fortan eine Woche lang nach Kräften gegenseitig auf die Nerven gehen.
Foto: Degeto / Thorsten Jander
Allein die Vielzahl kleiner Bosheiten, mit denen sich das verkappte Liebespaar in „Unter einem Dach“ gegenseitig piesackt, sind ein großes Vergnügen. Die Filme leben auf der horizontalen Ebene ohnehin von den hartnäckig geleugneten Gefühlen zwischen Erik (Oliver Mommsen) und Katharina (Anja Kling): Er war schon mit 16 in sie verknallt, damals haben sie sich auch mal geküsst; mehr, versichert sie ihrem Mann Bent (Carsten Bjørnlund), sei nie passiert. Weil „Schule am Meer“ jedoch mehr bieten will als bloß heitere romantische Komödien, konterkariert Hilbert das komische Beziehungsgeplänkel mit dem potenziell tragischen Schicksal des jungen Jannes, der sich irgendwie durch seine Schuljahre gemogelt hat, aber nun an seine Grenzen stößt.
Regie führte Miguel Alexandre. Der Grimme-Preisträger („Grüße aus Kaschmir“, 2005) hat nach Mehrteilern wie „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ (2007), „Die Patin“ (2008) oder „Der Mann mit dem Fagott“ (2011) viele Jahre mit der Gotland-Reihe „Der Kommissar und das Meer“ verbracht, insofern ist sein Ausflug ins Freitagsfernsehen der ARD durchaus ungewöhnlich. Inszenierung und Bildgestaltung (ebenfalls Alexandre) sind handwerklich hochsolide, aber gänzlich frei von Überraschungen. Ganz ausgezeichnet ist dagegen die Arbeit mit dem Ensemble; gerade Noah Kraus als Jannes ist beeindruckend.
Foto: Degeto / Thorsten Jander
Der Titel des zweiten Films, „Elternfreuden“, ist eine Irreführung: Von Freude kann keine Rede sein. Katharina und Bent nehmen eine schwangere Schülerin bei sich auf. Was als Übergangslösung gedacht war, führt prompt zu einer erheblichen Ehekrise: Bent adoptiert Tara (Paula Schindler) regelrecht; er betrachtet sie offenbar als Ersatz für die vor gut fünfzehn Jahren als kleines Kind bei einem Unfall gestorbene Tochter des Paars. Hilbert entwickelt die Handlung sehr nachvollziehbar und glaubwürdig. Als Bent das zum Abstellraum umfunktionierte ehemalige Kinderzimmer ausräumt und gemeinsam mit Tara für einen neuen Anstrich sorgt, ohne seine Frau vorher zu informieren, packt Katharina ihre Sachen und zieht ins Hotel. Zwar lockern Hilbert und Alexandre die Geschichte durch gelegentliche kleine Heiterkeiten auf, doch von Romanze oder gar Komödie kann diesmal keine Rede sein. Zwischenzeitlich sorgt „Elternfreuden“ zudem für Irritationen: In „Unter einem Dach“ haben Katharina, Bente und Erik einen feuchtfröhlichen Abend miteinander verbracht, jetzt sind die beiden Männer plötzlich wieder per Sie. Außerdem tauchen mit Katharinas Schwester Antje (Gerit Kling) und Hotelbesitzerin Senna (Yasmina Djaballah) zwei Figuren auf, die im vorletzten Film („Familienbande“, 2023) mitgewirkt haben. Die beiden stören zwar nicht weiter, aber vermutlich weiß kaum noch jemand, welche Rolle sie damals gespielt haben.
Bislang haben sich die Filme abgesehen von Einzelfällen auf die Lehrkräfte konzentriert. In der insgesamt fünften Episode („Küssen verboten“) ändert sich das: Olsen macht mit seiner Kochklasse eine Radtour. Fünf Tage lang sollen die Schülerinnen und Schüler beweisen, dass sie in freier Wildbahn selbstorganisiert und ohne Smartphone überleben können. Der Lehrer ist bloß als teilnehmender Beobachter dabei. Klassenfahrt mit Rasselbande: Das klingt nach Komödie, zumal das Drehbuch von Lisa Hofer und Miguel Alexandre dafür sorgt, dass die unausgelebte Romanze fortgesetzt wird. In der Schule wächst Katharina ein Aktenberg über den Kopf. Außerdem hat sie erheblichen Ärger mit einem kleinkarierten Baurechtsinspektor (Volker Zack), also schließt sie sich kurzerhand der Ausflugsgruppe an, was prompt allerlei Zwistigkeiten nach sich zieht: Die Schulleiterin hat gern alles unter Kontrolle und zu allem Überfluss auch meistens Recht.
Foto: Degeto / Thorsten Jander
Zwischen den zum Teil schon ziemlich erwachsenen Schülerinnen und Schülerinnen kommt es ebenfalls zu einigen Spannungen. Die knapp achtzehnjährige Nuri (Acelya Sezer) steht unter besonderem Druck, und damit ist auch dieser Film bei seiner ernsten Nebenebene: Nuris Mutter hat seit der Trennung von ihrem Mann ein Alkoholproblem und ist völlig unzuverlässig, weshalb die Tochter während der Klassenfahrt in ständiger Sorge um die kleine Elif ist; erst recht, als sie herausfindet, dass das Mädchen nachts allein daheim ist. Die Szenen mit den beiden Schwestern wirken sehr natürlich, auch die weiteren jugendlichen Mitwirkenden machen ihre Sache prima. Dass auch der dritte Film wie ein Thriller mit einem spannungssteigernden Prolog samt anschließender langer Rückblende beginnt, ist allerdings gänzlich überflüssig.
Soundtrack: The Odd 910 („Going South“), Pink Martin („The Lemonade Song“), Vance Joy („Mess Is Mine“), The Oh Hellos („Hello My Old Heart“), Justin Wellington („Iko Iko“), Cocoon („Cathedral“) (2) Walter Murphy („A Fifth Of Beethoven“) (3) José González („Heartbeats“), Metronomy („Things Will Be Fine“), Cocoon („Comets“), Vance Joy („Mess Is Mine“), Isobel Campbell („Ant Life“)
