Mit 15 wurden sie ein Paar. Mit Ende 20 stellen sie sich Fragen. Haben wir was verpasst? Wollen wir Sex mit anderen? Könnte das unsere Beziehung bereichern? Gefragt, getan. 30 Tage lang werden Freddy und Zeno getrennt leben, als Singles durch den Stuttgarter Kneipen-Kiez ziehen, unbekannte Lüste ausleben und Frust mit sich allein ausmachen. „30 Tage Lust“ (Trimafilm, SWR) lädt ein, ein Experiment zu begleiten. Intime Szenen freuen den Voyeur in uns. Aber es geht um mehr. Die Serie porträtiert junge Menschen, die zwischen postulierter Coolness und dräuender Spießigkeit balancieren. Dass die beiden Protagonisten noch nie enttäuscht und abgestürzt sind, macht den Reiz aus. Der Zuschauer kann sich in Sicherheit wiegen. Wir können nicht fallen, wir schauen nur zu. Ohne die vierte Wand je zu durchbrechen, übermittelt „30 Tage Lust“ eine Botschaft sehr deutlich: Wir alle sind ein bisschen feige.
„Der folgende Film spielt in den 1960er und 1970er Jahren. Die in einigen Szenen verwendete Sprache kann aus heutiger Sicht diskriminierend wirken“. Oha, denkt man da. Aber so brutal wird`s nicht. Dafür zeigt die dem Film vorangestellte Warnung, was sich geändert hat. Die Frage ist nur: Sind wir endlich sensibilisiert oder verstricken wir uns in Nebenschauplätzen? In „Alice“ (rbb, WDR, Degeto / Neue Schönhauser Filmproduktion) dreht sich viel auch um diese Frage. Der Zweiteiler porträtiert eine scharfzüngige Frau, die die Sprache ihrer männlichen Gegenüber bei Bedarf im Handumdrehen zu ihrer macht und als Machtgehabe entlarvt. Ohne Vorwarnung und bis heute sehr erfrischend. Mit der Rückschau auf ihr Leben widmet die ARD der Journalistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer einen Spielfilm-Zweiteiler zum 80. Geburtstag. Neben „Alice“ ergänzen zwei Dokumentationen um die Person Schwarzer und den Kampf gegen den §218 das Programm. „Alice“ ist eher historisierende Rückschau als kritische Bilanz. Aktuelle Dispute um Gendersprache, Transsexualität und Burka-Streit spart der Film aus. „Alice“ unterhält mit einer überzeugenden Hauptdarstellerin, für deren Größe jedoch keine Mitstreiterin zur echten Konkurrentin erwachsen darf.
Die Mafia-Dramen von einst begleiten junge Männer, die rein wollen. Die gehorsam mitspielen, aufsteigen, um die Gunst des Onkels kämpfen, sich in der Rangfolge nach oben boxen, über Leichen gehen und am Ende die Geschäfte führen. „Asbest“ (Degeto / Pantaleon Films GmbH) erzählt eine andere Geschichte. Die Geschichte von einem, der nicht rein will und seinen Onkel höflich ignoriert. Im Kern erzählt die fünteilige Dramaserie von der Unmöglichkeit, sich zu enthalten. Damit ist „Asbest“ ganz im heute verortet, streift das Migrantenleben im Berliner Block, zeigt synthetische Drogen, die blitzschnell den Besitzer wechseln, und verfolgt Rivalenkämpfe im Knast. Den Traum vom großen Geld träumen längst auch Frauen – ohne, dass sie dafür die Frau an der Seite einer Clan-Größe sein müssten. Für den Tanz auf dünnem Eis kann Regisseur und Darsteller Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) auf ein namhaftes Ensemble vertrauen. Allesamt sehenswerte Typen, von denen sich allerdings kaum einer von der festgelegten Typisierung befreien darf. Als hätte ein unsichtbarer Türsteher am Set jedem vor der Kamera unmissverständlich ins Ohr geraunt: „Du kommst hier nicht raus“.
Die vierte Staffel „Babylon Berlin“ (Sky, ARD Degeto / X-Filme Creative Pool) beruht auf Volker Kutschers Roman „Goldstein“ und springt an den Beginn des Jahres 1931. Der Zuschauer kehrt mit bekannten Gesichtern an etablierte Schauplätze zurück. Sie sind Ankerpunkte für Auge und Ohr, aber sie sind nicht das, was diese Staffel ausmacht. Vieles kommt neu hinzu. Das Regie-Trio Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries nutzt den gesetzten Rahmen, um komplexe, voneinander mehr und mehr unabhängige Geschichten zu erzählen, neue Terrains in der Stadtlandschaft Berlin auszumachen und filmische Erzählformen zu variieren. Die Soli tanzen weiterhin Rath und Ritter, getragen aber wird der Tanz längst vom ganzen Ensemble. Wieder großes Fernsehen.
Warning: Wer den Kosmos von „Bad Influencer“ (SWR / IT Media Medienproduktion, Tellux next) betritt muss Denglisch beherrschen. Acht kurze Episoden begleiten eine Frau-Mann-Challenge vor großem Netz-Publikum und führen in eine sprachliche Parallelwelt, für die sich ältere Zuschauer besser ein Vokabelheft zurechtlegen. Dafür ist in dieser Welt alles herrlich bunt. Ohne große Denkpausen zappeln Influencer wie Follower zwischen Satire und Farce, ungemachten Betten und eingeblendeten Klickzahlen hin und her. Dabei dreht sich jeder vor allem um sich selbst. „Bad Influencer“ hat seine Momente und seine Heldinnen, kann mit der szenetypischen Hysterie, die sich in einem ständigen Over-Acting manifestiert, aber auch ganz schön auf die Nerven. Und diese Dramedy im Comedy-Gewand reißt Themen an, stellt viele Fragen und lässt sie offen. Offen bleibt auch, ob diese Serie für die Mediathek nur jung aussehen will oder junge Menschen dazu bewegen möchte, über Abhängigkeiten, Manipulationen und den Kampf um die Deutungshoheit im Netz zu reflektieren.
Am Grab von Wolff-Dieter stehen drei Generationen, zwei Familien und eine Handvoll Verschollener aus Ost und West. Sie alle teilten ein Stück ihres Weges mit dem Lebemann. Viele wollen jetzt auch sein Erbe teilen. Nach „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ (2014), dem Psycho-Wochenende „Wellness für Paare“ (2016) und einem „Klassentreffen“ (2019) in Köln-Hürth greift Impro-Regisseur Jan Georg Schütte nun in die Vollen. „Das Begräbnis“ (Degeto / Florida Film) sprengt die Altersgrenzen bisheriger Zusammenkünfte und will nicht nur Geschichte(n), sondern auch ein Stück Historie erzählen. Das alles wie immer ohne Drehbuch. Stattdessen vertraut Schütte auf die Erzählungen, die sich aus dem improvisierten Miteinander aller Beteiligten ergeben. Das einzufangen bedeutet in der technischen Umsetzung: 56 Kameras am zentralen Drehort, 15 Sets drumherum, viele Vorgespräche mit 16 Schauspielern, diverse Vor-Drehs, Probedurchläufe mit Komparsen und Technikbesprechungen mit 50 Kameraleuten sowie Ton-Assistenten. Zwei Monate, um das Gedrehte zu sichten und zu ordnen. Im Anschluss drei Cutter, die jeweils ein halbes Jahr an der sechsteiligen Serie und an einer Spielfilmfassung arbeiten. Die Serie erzählt jeweils aus der Sicht einer der Hauptfiguren und dringt dabei in die psychischen Untiefen der Figuren vor. Mal berührend, mal komisch, mal absurd. Immer von einem Spitzen-Ensemble getragen.
Einen Tag vor Weihnachten kann das ARD-Publikum aus sicherer Distanz betrachten, was vielen von uns am Tag darauf bevorsteht: Verwandtschaft, die man sich nicht aussuchen kann. „Das Fest der Liebe“ (Florida Film) kettelt die Verwicklungen am Weihnachtstag nicht nach festgelegtem Strickmuster aneinander. Wie schon bei „Das Begräbnis“ (2022) improvisiert Jan Georg Schütte mit prominentem Cast. Es kollidiert, was nicht zusammengehen will: Die pensionierte Generation der Schaffer mit jungen Träumern, Sehnsucht mit Schuldgefühlen, Ost mit West, Prahlerei mit Ehrlichkeit, mecklenburgische Sturheit mit schwäbischem Geschäftssinn. Weil bei drei Tagen Impro am Set nichts schiefgehen darf, war die logistische Vorarbeit wie beim Vorgänger enorm. Auf Basis dieser Vorarbeit startet eine amüsante Beschleunigungsspirale, die für Momente einfriert und uns den Spiegel vorhält. Sauberer Anschluss, klasse Performance, ein witziges Fest.
„Das Haus der Träume“ (RTL+ / X-Filme Creative Pool) erzählt von der unmöglichen Liebe zwischen Arm und Reich und vom Überlebenswillen in einer Zeit, in der das Glück für die meisten nur „auf Pump“ zu haben ist. Historisch ist Staffel 1 im Berlin der ausgehenden Zwanziger angesiedelt. Sie führt in Milieus, die dem Serienpublikum inzwischen nicht nur durch „Babylon Berlin“ vertraut sein dürften. Im großen 20er-Jahre-Hype findet die Erzählung nach Sybil Volks Romanvorlage „Torstraße 1“ schnell ihren eigenen Ton. Sepiafarbene Bilder, eine ausgefeilte Lichtdramaturgie, zurückhaltende Musikgestaltung und frische Gesichter weisen den Weg. Die erste Staffel der Heldinnenreise führt knapp an Verbrechen & Verderben vorbei und ist damit durchaus was fürs Herz. Staffel 2 ist in Arbeit.
Immer auf der Suche nach der großen Story. Ein ungleiches Reporter-Paar ermittelt auf eigene Faust. Die Fährte eines Mordfalls führt die beiden von Köln ins Nirgendwo bei Meschede. Hier träumte sich die schöne Sonja anno 1995 weit weg von der Wiege im Sauerland. Am Abend vor ihrer Abreise in eine andere Welt wurde sie ermordet. Warum? Was verbindet die Taten von einst und jetzt? „Das Lied des toten Mädchens“ (all-in-production) knüpft ein Geflecht aus Vermutungen, Gerüchten und Aberglaube. Nahrung geben vielsagende Rückblicke in die Welt dreier Träumerinnen in der tristen Provinz. Während im Gestern der Nebel um den Wilzenberg wabert, schlägt im Köln von heute der Verfassungsschutz Alarm. Zwischen diesen Erzählebenen pendelnd, arbeitet dieser Degeto-Krimi mit allzu vertrauten Zutaten, setzt märchenhafte Akzente und entscheidet sich am Ende für ein profanes Mord-Motiv. Schade. Im dichten TV-Krimiwald braucht es Leuchtraketen statt Parka & Mütze.
Wenn schon kein sauberer Fußball, dann wenigstens saubere Spieler. Der zweite Beitrag des internationalen Serienprojekts „Das Netz“ spinnt seinen Krimiplot rund um die Illusion des sauberen Sports. Dahinter verbirgt sich das nicht totzukriegende Doping-Geschäft und medizinische Manipulationen, die sich jeder Kontrolle von außen entziehen. Das biologisch Machbare verführt die Initiatoren eines als Sportklinik getarnten Labors zu waghalsigen Versuchen mit einem Enzym, das Gewebe schneller heilen und Menschen länger leben lässt. Der Vision von der Unsterblichkeit folgend, verlässt „Das Netz – Prometheus“ (MR – Film) bald die Fußball-Arena und wächst sich zu einem Krimi mit Sci-Fi-Touch aus. Dabei ist „Prometheus“ weniger wendungsreich als der Vorgänger „Spiel am Abgrund“. Die Rollen von Gut und Böse sind klar verteilt. Es gibt reichlich Tote, Beerdigungen bei lebendigem Leib und chirurgischen Schnitten in Nahaufnahme – und Punktabzug für eine nicht nachvollziehbare Allianz zu Anfang, für ein kitschiges Bild am Ende und für einige Figuren, die dem Diktat der Coolness folgend nur als bedeutungsschwanger ausgeleuchtete Gesichter dabei sind.
„Das Netz – Spiel am Abgrund“ (ARD / Sommerhaus Serien GmbH, Beta Film) eröffnet einen Reigen von fünf fiktionalen Serien rund um das internationale Fußballgeschäft. Die Beiträge sind national eigenständig, inhaltlich jedoch miteinander verflochten. Nach einer Idee von Matthias Hartmann, früherer Direktor des Wiener Burgtheaters, und dem Dramaturgen Plinio Bachmann hebt „Das Netz“ eine neue TV-Allianz auf europäischer Ebene aus der Taufe. Kleiner wollte man nicht stapeln, um Unbehagen und Unmut an der WM in Katar zu begegnen. Die Arbeit an dieser Kooperation begann bereits 2018. Die zeitlich geschickt platzierten Serien blicken unter verschiedenen Aspekten hinter die Kulissen der Geldmaschine Fußball. Zum Einstand nimmt der deutsche Beitrag die Deals um neue Talente und die Suche nach neuen Geldquellen in der internationalen Verbands- und Liga-Struktur ins Visier. Dabei kann der Achtteiler durch seine Thriller-Qualitäten auch Fußball-Asketen überzeugen.
Ähnlich dem Serienerfolg „Charité“ (2017-2021) erzählt „Das Wunder von Kapstadt“ (ARD / Producers at Work) von mehr als nur den Errungenschaften der modernen Medizin. Nach dem Muster einer klassischen HeldInnenreise folgt das Drama einer angehenden Chirurgin von Deutschland nach Südafrika. Vertrieben von der unfairen Behandlung im Berliner Klinikbetrieb stößt sie dort an neue Grenzen. Weil „Das Wunder von Kapstadt“ hier wie dort große Probleme verhandelt, stehen die Dialoge oft im Dienst der jeweils aktuellen Konflikte. Darüber hinaus bleibt vor allem der Hauptfigur wenig Luft. Inspiriert von einer wahren Geschichte und ohne den Anspruch auf Authentizität gewinnt das Drama am Schauplatz Afrika an Drive. Ein neues Licht durchflutet die Welt jenseits der Berliner Äther-Tristesse, die Figur des Barnard hat etwas Schillerndes und bei allen Konflikten gewinnt die Leidenschaft für den Kampf um das gleiche Ziel. In seinen Botschaften manchmal allzu offensichtlich, knackt der Film am Ende doch unsere Immunabwehr: Operation gelungen, Zuschauer bewegt.
Vera denkt voraus. Für einen weltweit operierenden Versicherungskonzern berechnet die Analystin Risiken im globalen Wirtschaftsverkehr. Ihr Mann ist als Polizist dort im Einsatz, wo meist schon alles zu spät ist. Sie ist das Hirn, er die Faust: Grundsätzlich eine Spitzen-Kombi, um die Entführer der eigenen Tochter in den Griff zu bekommen. Die aber stellen seltsame Forderungen, schweigen über ihre Motive und kennen das Trauma ihrer Opfer. Auf dieser Basis entwickelt sich „Decision Game“ (ZDF / Odeon Fiction) zu einem Psycho-Krieg, in dem bald jeder jeden erpresst und zusätzliche Mitspieler neue Unwägbarkeiten ins Spiel bringen. Die Dramaturgie variiert das bekannte Muster über sechs Folgen, hält die Spannung, strapaziert aber auch mit der ein paar überdrehten Wendung. Eva Meckbach trägt als Vera souverän über die gesamte Strecke. Andere Figuren sind weniger wandelbar angelegt.
Eine Krimireihe, die sich Pausen gönnt und Qualität liefert. Mit vier Episoden seit 2017 kann sich „Der Kommissar und…“ auf eine treue Zuschauerschaft verlassen. Und die verlässt sich vor allem auf ein Gesicht. Mit dem ersten Stirnrunzeln ist die Tonalität der Reihe wieder da: Vorsichtiger Optimismus, was das Leben betrifft. Der Nahaufnahme vom Gesicht des Kommissars folgt bald die Totale auf ein, in Beton gegossenes Elend irgendwo in Berlin. Hier sitzt der Rest der Kripo. Normalerweise. Denn diesmal fehlt eine im Team. Mehr noch: Es fehlt die wichtigste Person im Leben von Martin Brühl. In „Der Kommissar und die Angst“ (ZDF / good friends) geht es für den Ermittler ans Eingemachte. Mit dem privaten Drama halten aber auch Standards Einzug, die das Unverwechselbare der Reihe verwässern.
Zwei Jahre nach dem letzten Einsatz („Der Kommissar und die Wut“) setzt der dritte Fall die lose Reihe um ein privat verbandeltes Kripo-Paar in Berlin fort. Unabhängig von den festgeschriebenen Berufen, er Kommissar, sie Psychologin, gehen beide mit hohem psychologischen Sachverstand an die Arbeit. Autor Christoph Darnstädt und Regisseur Andreas Senn zeichnen zwei Individualisten, die weder Wunden lecken noch Macken pflegen, sondern bei sich angekommen sind. Martin Brühl (Roeland Wiesnekker) und Susanne Koch (Meike Droste) haben genug damit zu tun, sich gegenseitig zu respektieren. Auf dieser Grundlage wird der Fall um ein angeblich entführtes Kind zum Motor einer sensiblen Sozio-Studie über Außenseiter und ihr Gespür füreinander. Ruhig getaktet und dramaturgisch durch Parallelmontagen eng verknüpft, erzählt „Der Kommissar und die Eifersucht“ (ZDF / Good Friends Film) auf mehreren Ebenen von der Macht der Gefühle. Gefühle machen Menschen-Kenner oder potenzielle Mörder. Bestenfalls bauen sie eine Brücke, auf der beide rechtzeitig zueinander finden. Der Weg ist klar, er führt eher zum Drama als zum Kriminalfall.
Raven, koksen, Party machen: Während auf See gefeiert wird, schwappt andernorts die Leiche des Geburtstagskinds an die Wasseroberfläche. Vom Verschwinden des Jubilars will an Bord keiner was bemerkt haben. Der fünfte Einsatz des Masuren-Duos verknüpft eine aktuelle Mordermittlung mit den ungelösten Fragen einer traurigen Kriminaltechnikerin. „Blutgeld“ (ARD Degeto / Odeon Fiction) eröffnet mit einem Top-Motiv aus dem Bildkalender der Seenplatte. Während Bilder und Landschaft dem Auge schmeicheln, bekommt der Ermittler in uns nicht allzu viel zu tun. Kleine und große Gangster bleiben dem Klischee verhaftet. Die bereits eingeführten (Haupt-)Figuren aber sind sorgsam ausgelotet und ambivalent ins Verhältnis gesetzt. Beste Voraussetzung, um etwas horizontalen Ballast abzuwerfen und kriminalistisch in die Vollen zu gehen. Dazu reicht der Schwung noch nicht ganz.
77 Jahre nach ihrer Trennung bringt das Wiedersehen zweier Schwestern ein Leben in Polen, eines in Deutschland und eine gemeinsame Kindheit im ehemaligen Ostpreußen auf den Plan. Damit flüstern die Grundzutaten des sechsten Falls von Kriegsschuld, Neid und später Reue. Aber das Rezept wird variiert. Tatsächlich entwirrt „Der Masuren-Krimi – Die verlorene Tochter“ (ARD Degeto / Odeon Fiction) eine Familiengeschichte, in der die eigentlichen Verlierer gerade mal zwanzig sind. Der Fall nimmt die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen in den Blick und behält das Verhältnis der beiden zentralen Ermittlerfiguren in der Schwebe. Der horizontale Erzählstrang – im Gewirr falscher Fährten fast unsichtbar geworden – sorgt mit einem Cliffhanger, der neugierig macht, für eine Überraschung.
Ein gescheiterter Raubüberfall mit Todesfolge. Fragliche Zeugenaussagen, ein vermisstes Kind und zwei sich widersprechende Fahndungsansätze. Über den Zeitraum von sechs Tagen erzählt „Der Überfall“ (ZDF / UFA Fiction) von den Folgen einer Tat, die das Leben aller verändert, die darin involviert sind. Die Thriller-Serie von Stephan Lacant nach dem Drehbuch von Stefan Kolditz und Katja Wenzel hantiert mit wenig Zeit und viel Personal, bleibt lang ein unfertiges Puzzle und hält damit die Spannung hoch. In Milieuzeichnung und Bildgestaltung gelungen, ist nicht jeder Wendepunkt ein Treffer, das Tempo aber stimmt. Gelungene Krimi-Unterhaltung trifft die Lebenswelt derer, durch deren Leben ein Riss geht. Und in jeder Spiegelscherbe ein anderes Bild. Eine zeitgemäße ZDF-Freitagskrimiserie!
„Die Whistleblowerin“ (ZDF, Arte / Real Film Berlin) erzählt vom Wiedersehen zweier Menschen, deren Glück auf tönernen Füßen steht. Ihre Beziehung droht ein zweites Mal an Geheimnissen zu scheitern. Offiziell ist die Whistleblowerin aus Moskau zurückgekehrt, um den deutschen Behörden im Kampf gegen russische Hackerangriffe zu helfen. Gleichzeitig nährt sie den Verdacht, als Mitglied des russischen Geheimdienstes selbst involviert zu sein. Im Katz-und-Maus-Spiel zwischen Berliner Krisenstab und russischem Geheimdienst stehen alle Beteiligten unter hohem Druck. Das Wechselspiel von strategischen Operationen auf politischer Ebene und den emotionalen Zerwürfnissen eines Paars auf der Flucht macht den Film zu einem Zwitter aus Thriller und Liebesdrama, zu einem Wechselspiel aus futuristisch-kühlen Kulissen und einem Road-Movie. Ein interessantes Konstrukt, das sich streckenweise in seinen einzelnen Erzählsträngen verliert und so aufs Ganze an Dringlichkeit einbüßt.
Wohnungsnot und Mietwucher treiben Großstädter aufs Land. Dass vor den Toren der Stadt keine bessere Welt wartet, dämmert einer Patchwork-Familie aus Berlin-Neukölln beim Anblick ihrer neuen Nachbarn. „Doppelhaushälfte“ (ZDF neo / StickUp Filmproduktion) schöpft das komische Potential dieser neuen Nachbarschaft voll aus. Mit derber Komik genauso wie mit feinem Dialog-Witz treibt „Doppelhaushälfte“ sein Personal durch gesellschaftliche Gräben. Acht hübsch überdrehte Momentaufnahmen über das woher und wohin der Bewohner drehen den Diskurs um Chancengleichheit, Diversität und Alltags-Rassismus ins Absurde. Die Pointen sind gut gesetzt, die Realität gerät bei aller Sitcom-Übertreibungen nicht aus dem Blick. Und wo es die Geschichte(n) erlauben, da eskalieren in der „Doppelhaushälfte“ auch mal Kamera, Licht oder Musik. Fazit: Macht einfach Spaß.