Der Masuren-Krimi – Die verlorene Tochter

Eisinger, Hülk, Lodyga, Schweigardt, Thielecke. Geschwisterliebe, Geschwisterhass

Foto: Degeto / Darek Minkiewicz
Foto Martina Kalweit

77 Jahre nach ihrer Trennung bringt das Wiedersehen zweier Schwestern ein Leben in Polen, eines in Deutschland und eine gemeinsame Kindheit im ehemaligen Ostpreußen auf den Plan. Damit flüstern die Grundzutaten des sechsten Falls von Kriegsschuld, Neid und später Reue. Aber das Rezept wird variiert. Tatsächlich entwirrt „Der Masuren-Krimi – Die verlorene Tochter“ (ARD Degeto / Odeon Fiction) eine Familiengeschichte, in der die eigentlichen Verlierer gerade mal zwanzig sind. Der Fall nimmt die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen in den Blick und behält das Verhältnis der beiden zentralen Ermittlerfiguren in der Schwebe. Der horizontale Erzählstrang – im Gewirr falscher Fährten fast unsichtbar geworden – sorgt mit einem Cliffhanger, der neugierig macht, für eine Überraschung.

Bevor der nächste Fall neue Fragen aufwirft, klärt Viktoria Wex (Claudia Eisinger), was nur sie klären kann. Sie löst ihren Ehering, wirft ihn in den See und sieht in Gedanken ihren Mann Felix ein letztes Mal. Schluss jetzt mit Mondgeschichten und trauriger Erinnerung. Die Gegenwart blickt Wex mit Kollege Leon Pawlak (Sebastian Hülk) ins Gesicht. Manchmal fragend, nie aufdringlich, immer ihr zugetan. Nach dem eher staksig gespielten Beginn eines schicksalhaften Wiedersehens bringen die Hauptdarsteller Eisinger und Hülk mit ihrem nuancierten Spiel den sechsten Fall auf gehobenes Schauspiel-Niveau. Noch vor dem Auffinden einer Leiche hegen Zuschauer da wahrscheinlich schon den ersten Verdacht. Es ist eine falsche Fährte, der noch viele folgen werden. Zwischen vielen Vermutungen liefert Kriminaltechnikerin Wex wie gewohnt die Fakten: Der Fundort war nicht der Tatort, das Opfer Agnieszka Witczak (Katharina Schumacher) nicht wirklich mit ihrer angeblichen Enkelin Marika (Cindy Klink) verwandt.

Der Masuren-Krimi – Die verlorene TochterFoto: Degeto / Darek Minkiewicz
Gebärdensprachlerin Krystyna (Annalisa Weyel) tröstet Marika (Cindy Klink) beim Verhör. Sebastian Hülk und Karolina Lodyga

Mit der gehörlosen Marika rückt die zentrale Nebenfigur und das zentrale Thema des Falls in den Fokus. Drehbuchautorin Nadine Schweigard (schrieb auch das Buch zu „Freund oder Feind“, Film 4 der Reihe) erdachte eine junge Frau, die nach dem angeblichen Unfalltod ihrer Eltern bei der Großmutter aufwächst, und sich im Spagat zwischen zwei Welten übt. Hier das Leben auf einer masurischen Fischfarm, dort der Traum von einem Start-Up in Kalifornien. Visuell übersetzt Regisseurin Frauke Thielecke („Ein Tisch in der Provence“) die Geschichte in eindrucksvoll ungemütliche Bilder von wimmelnden Fischschwärmen in zu kleinen Zuchtbecken und in einen leuchtenden Datenhandschuh, mit dessen Hilfe Marika im Gespräch mit den Ermittlern Gebärdensprache in akustische Signale umwandelt. Die App dazu hat sie selbst entwickelt, in Kalifornien interessiert man sich inzwischen dafür. Weil eine krebskranke Großmutter ihren Plänen im Wege stand, gerät auch Marika in Verdacht.

Mit der „verlorenen Tochter“ in lebendiger Version, also der Figur Marika, verknüpft Autorin Schweigard Fragen, die im Genre des Familiendramas beliebt sind. Wer bin ich? Woher stamme ich? Was trage ich in mir? Werde ich geliebt? Parallel dazu fitzelt das Ermittlerteam auf der Suche nach Angnieszka Witcaks Mörder die wahren Familienverhältnisse auseinander. Der Masuren-Krimi handelt jetzt mit Zutaten, die das Publikum so eher von der Küste Cornwalls kennt: ein Findelkind ungeklärter Herkunft, viele Lebenslügen, die Hoffnung auf Reichtum und dadurch Gefahr. So sitzt man bald gemeinsam vor Gräbern („War ich nicht nur taub, sondern auch blind?“) und findet unter jedem Dach ein Ach. Zwischen all den kleinen Dramen fehlt die Zeit, dem eigentlichen Täter und seinem Motiv ein interessantes Profil zu verleihen. Einmal mehr atmosphärisch sehr stimmig umgesetzt, bleibt der Film, was die Krimi-Geschichte angeht, eher mau. Ein Versprechen auf das große Verbrechen bietet dagegen der horizontale Erzählstrang um den Tod von Viktorias Mann. Kurz vor Schluss führt eine nächtliche Beschattungsaktion zu einem Wiedersehen mit Viktorias undurchsichtiger Ex-Kollegin Johanna Berger (Bea Brocks) und in der letzten Einstellung zu einem Cliffhanger, der auf den nächsten „Masuren-Krimi“ neugierig macht. (Text-Stand: 2.2.2024)

Der Masuren-Krimi – Die verlorene TochterFoto: Degeto / Karolina Grabowska
Ob die Romantik so eine gute Idee ist? Sehnsucht, Melancholie und das Spiel mit amourösen Andeutungen passen besser zu Heldin und Landstrich. Claudia Eisinger & Sebastian Hülk in „Der Masuren-Krimi – Die verlorene Tochter“

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Reihe

ARD Degeto

Mit Claudia Eisinger, Sebastian Hülk, Karolina Lodyga, Cindy Klink, Katharina Schumacher, Marie Burchard, Pawel Izdebski, Luis Vorbach, Bea Brocks

Kamera: Christoph Chassée

Szenenbild: Joanna Maria Kus

Kostüm: Helmut Ignaz Meyer

Schnitt: Dirk Grau

Musik: Mark Pinhasov, Christopher Colaco, Philipp Schaeper

Redaktion: Barbara Süßmann, Katja Kirchen, Christoph Pellander

Produktionsfirma: Odeon Fiction

Produktion: Philip Voges, Alban Rehnitz

Drehbuch: Nadine Schweigardt

Regie: Frauke Thielecke

Quote: 5,16 Mio. Zuschauer (19,7% MA)

EA: 05.03.2024 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 07.03.2024 20:15 Uhr | ARD

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