Gescheiterte Galeristin darf sich als Musiklehrerin beweisen
Maria Kowalke (Petra Schmidt-Schaller) setzt ihr strahlendstes Lächeln auf. „Ich bin äußerst belastbar und hoch motiviert“, wirbt sie für ihre Person. Sie hofft, als Aushilfslehrerin eingestellt zu werden. Die Mittdreißigerin ist gleichzeitig auch ehrlich genug, ihre aktuelle Lage ungeschönt an den Mann – sprich: Rektor Gernegross (Alexander Beyer) – zu bringen. Als Galeristin & Ehefrau gescheitert, kurz davor, sich erstmals im Leben als Tochter eines Vaters (Günther Maria Halmer) zu fühlen, den sie nie kennenlernen durfte, untergekommen in einem Appartement, durch das die S-Bahn zu fahren scheint. Sie redet und redet, doch was sie eigentlich nur sagen will: „Ich brauche diesen Job.“ Sie wird ihn bekommen. Denn auch der Schulleiter weiß, was Krise bedeutet: Lehrer fallen aus, Schüler kosten einem den letzten Nerv, und das Schulgebäude pfeift aus dem letzten Loch. Maria muss sich als Musiklehrerin in einer 10. Klasse beweisen. Die haben andere Probleme, als die die Vicky Leandros in ihrem Lied „Wir lieben das Leben“ besingt. Und doch wird es dieser Song sein, den die Schüler auf einer Benefizveranstaltung der Schule performen sollen. Erst einmal ruht sich die nicht gerade pädagogisch ambitionierte Maria ein wenig aus auf und in ihrem Job, zumal auch ihr Vater, ein Ex-Oberst und Anhänger deutscher Sekundärtugenden, der mit seiner „Seniorenresidenz“ radikal fremdelt, sie immer wieder in Beschlag nimmt. Doch dann will sie es wissen.
Foto: ZDF / Julia von Vietinghoff
Die Heldin wirkt unverzagt, doch tief drinnen sitzt der Schmerz
Es war ruhig geworden um das Genre Schul- und Lehrerfilm – bis „Fack ju Göhte“ den Sixties-Penne-Trash auf 10er-Jahre-Comedy tunte. Im Fernsehen hat man zwar nach wie vor auch noch ein Auge auf die jungen Zuschauer, dennoch kommt Schule seit Jahren allenfalls als Schauplatz unter vielen vor, im Krimi, im Drama, in der Komödie. Da lag es nahe, mal wieder einen Sympathieträger in die Höhle der pubertierenden Löwen einziehen zu lassen. Die zuletzt viel beschäftigte Petra Schmidt-Schaller fegt von Anfang an durch „Wir lieben das Leben“, dass es eine wahre Freude ist. Dabei hat ihre „Heldin“ allerhand schweres Gepäck dabei, was der Film erst nach und nach – dramaturgisch wohl akzentuiert – deutlich macht. Die junge Frau ist desillusioniert vom Leben und ganz besonders von der Liebe. Ihr familiäres Problem ist nicht jener Vater, der nicht mehr in seinem Haus allein zurecht kommt, sondern der vorsätzlich abwesende Vater, der der Tochter ein Stück weit eine „normale“ Kindheit vorenthalten hat – und von dem sie offenbar das Nichts-wie-weg-Beziehungsmuster ihrer gescheiterten Ehe übernommen hat. Dieses tiefe Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, diese kindliche Verletzung, die noch immer in ihr steckt, haben Gabriela Sperl und Lena May Graf fein in die Rolle eingeschrieben. Und Schmidt-Schaller macht diese existenzielle Kränkung durch den egoistischen Vater immer wieder lebendig: In ihren feinen Gesichtszügen und ihrer Körperhaltung spiegelt sich der innere Druck als absolutes Kontrastprogramm zu ihrem einzigartigen Lächeln. Ein Mal packt ihre Maria Kowalke aus und wird aus gutem Grund zur Furie („Ich bin das Kind! Du bist der Vater! Du egoistischer Arsch!“), danach rollt sie sich weinend in einen Teppich ein. Vielleicht ist es schwerer, einen Borderline-Charakter wie in „Eine gute Mutter“ zu verkörpern, im Ergebnis aber ist Schmidt-Schallers nuanciertes Spiel in der tonlagenreichen ZDF-Tragikomödie ihrer Leistung in dem ARD-Drama ebenbürtig.
Foto: ZDF / Julia von Vietinghoff
Tonlagen-Vielfalt und kluge Variationen des „Unvermeidlichen“
Schön, dass „Wir lieben das Leben“ in keine der möglichen Klischee-Fallen tappt. Weder wird die wohlbekannte Bis-zur-Aufführungs-Dramaturgie inklusive der beliebten Selbstwert- und Selbstfindungsspritze überstrapaziert, noch entpuppt sich eben jene Schlussaufführung als emotional überdimensioniertes Happy End. Und so schließt der Film nicht in künstlicher Euphorie, sondern mit der Haltung „Geht doch“. Selbst die zu erwartende Annäherung zwischen Vater und Tochter endet allenfalls mit einem kurzen wohlwollenden Blick zwischen den beiden, bei dem allerdings noch immer viel Unsicherheit mitschwingt. Die Schüler besitzen zwar alle ihre Probleme (einer mobbt, eine fällt wegen Unterernährung vom Stuhl und singen kann niemand), doch diese werden eher in ihrer Gesamtheit – in der Wirkung auf die pädagogisch wenig geschulte Hauptfigur – erfasst. Eine ernsthafte Größe in der Geschichte ist hingegen die gelähmte Residenz-Mitbewohnerin vom Vater der Lehrerin – auch deshalb, weil sie von der großartigen Hildegard Schmahl verkörpert wird: Mit Bemerkungen wie „Die einzige Aufgabe, die wir noch zu bewältigen haben, ist zu sterben“ oder „Die Ruhe verliert ihre Kostbarkeit, wenn sie das einzige ist, was man noch hat“ bereichert ihre Schriftstellerin die Tonlagenvielfalt um erfrischend zynische Zwischentöne. Dramaturgisch konventionell verlaufen dagegen eine Der-Alte-&-das-Kind-Episode und die „Mission Wiedergutmachung“ des Vaters – wobei es jedoch eine gute Idee ist, in Zeiten von Junk Food und Zuckerbomben to go gesunde Ernährung (angenehm beiläufig) ins Spiel zu bringen. Und dass sich die Einsicht des Vaters spiegelt in einer Goodwill-Aktion, die beweist, dass er seine Tochter wirklich ernst zu nehmen scheint, ist zumindest eine kluge Variation des „Unvermeidlichen“.
Ein wilder Strauß Leben und ein Ohrwurm von Vicky Leandros
„Wir lieben das Leben“ mag nur ein kleiner, bescheidener Film sein, der nicht in die geweihten Höhen des Dramas abhebt, sondern weitgehend auf dem Boden des Alltags verbleibt und der gerade durch seine unprätentiöse und vielstimmige Tonart besticht. In dem Film von Sherry Hormann wechselt Schweres ab mit Leichtem, Existentielles mit Banalem, Komisches mit Ernstem, es gibt sehr laute und sehr leise Momente, es wird geweint und gelacht, es gibt kein Love Interest, dafür wartet der Tod. Die Geschichten und Situationen sind locker gebunden und werden zusammengehalten von einer Figur, in der sich die Vielfalt des Lebens spiegelt. Weil diese Figur noch recht jung ist, unverstellt und impulsiv, weil ihr Verhalten die Handlung vorwärtstreibt, ist das nötige Tempo gegeben, und es bedarf keiner ausgeklügelten Dramaturgie. Und so fließt dieser Film im Rhythmus des Lebens dahin, getragen und in einer liebevollen Spannung gehalten von zwei hervorragenden Schauspielern und einem Lied, Marke bezaubernder Ohrwurm-Evergreen, von dem der Schulleiter behauptet: „Es gibt eine ganze Generation, die wegen diesem Lied gezeugt wurde.“
Foto: ZDF / Julia von Vietinghof