Die Mutter hat die Familie zusammengerufen, um ein Jubiläum zu feiern und einen Neuanfang zu wagen: 30 Jahre Depression, 30 Jahre im Banne einer Krankheit, 30 Jahre eine ziemlich neurotische Familiengeschichte. Seit zwei Monaten habe sie ihre Psycho-Pillen abgesetzt, verkündet sie stolz. Den anderen wird Angst und Bange. Vater Günter und Sohn Jakob, die Kümmerer, sind alarmiert: Wann tickt Gitte wieder aus? Allein Marko, der ältere Sohn, Anfang 30, der vor Jahren der vermeintlichen rheinischen Idylle den Rücken gekehrt und nach Berlin gegangen ist, sieht die Sache mit dem Leben ohne Medikamente als Aufbruch in eine Zeit mit weniger Lügen. Ein verhängnisvoller Trugschluss? Denn plötzlich ist Mutter verschwunden.
Foto: SWR / 23-5 Film / von Foris
Drei Generationen drei Tage unter einem Dach. „Was bleibt“ von einem Zuhause, dass dem akademischen, liberalen und schöngeistigen Habitus zum Trotz zu einem Gefängnis geworden ist? Eingefahrene Beziehungsstrukturen bestimmen den Umgang miteinander: Der Vater, ein gerade pensionierter Verleger, regelt noch immer die Angelegenheiten seiner Jungs und die seiner Frau sowieso („Ich habe mein Leben in diese Ehe investiert“); die bei ihren Projekten etwas glücklosen Söhne gehen mehr oder weniger selbstkritisch mit der „Fürsorge“ des Vaters um; und die Mutter wird von bitteren Wahrheiten verschont – was sie nicht länger mitmachen will. Alle haben sich selbstgerecht eingerichtet im Familienleben mit Krankheit, in dem in Schieflage geratenen Generationenvertrag aus Geben und Nehmen. Besonders der Vater gefällt sich in seiner Rolle als Ernährer – bis ihm die neuerlichen Eskapaden der manisch-depressiven Frau die (Un-)Ruhestandsträume mit seiner Geliebten gefährden.
Auf Schuldzuweisungen und moralische Wertungen allerdings verzichten Autor Bernd Lange und Regisseur Hans-Christian Schmid. Der Zuschauer kann sich selbst ein Bild machen. Und das in mehrfacher Hinsicht: Im Wechsel aus körperlicher Nähe und räumlicher Distanz wird der Schauplatz, das gediegen wohnliche, typische 60er-Jahre-Einfamilienhaus (ein perfektes Szenenbild!), zur Bühne der familiären Befindlichkeiten. Und diese werden im Stil jener Jahre geäußert – vernünftig, vermeintlich demokratisch und respektvoll. Dazu passen vorzüglich die Tonlagen der psychischen Krankheit, die Corinna Harfouch preiswürdig anstimmt: das hat nichts laut Pathologisches – es sind die feinen Brechungen, die Stimmungsumschwünge im Sekundentakt, da tollt sie liebevoll mit ihrem Enkel, da blickt sie freundlich entrückt in die Runde ihrer Liebsten und dann bricht ihr plötzlich das Lächeln weg… „Ist eigentlich immer alles Theater, was mir hier den ganzen Tag vorgegaukelt wird“, fragt Gitte ihren Marko in einem stillen Moment der Zweisamkeit. Diese Szene ist wie auch die anderen „Duette“ zwischen Harfouch und Lars Eidinger besonders anrührend in einem Film, der die Familienbande lakonisch abtastet, aber das Gezeigte weder dramatisiert noch kühl seziert. Der großartige Eidinger darf hier mal wieder den sanften, feinsinnigen Allesversteher geben, den ewigen Sohn, sympathisch in seinen Widersprüchen: ob er, der „Prediger des Provisoriums“ (Spon) das, was er von seiner Mutter und seinem Vater bekommen hat, hier die Wärme, dort die Verlässlichkeit, seinem Sohn auch wird dauerhaft geben können?! (Text-Stand: 16.5.2014)