Als Fremde kehrt Eleni Theodoraki (Naomi Krauss) nach vierzig Jahren in ihr Heimatdorf auf Kreta zurück. Sie hat bei der Polizei international Karriere gemacht. Es sind offenbar rein private Gründe, die sie mit Ende 50 zu diesem Schritt veranlasst haben. Streng und unbeirrt geht sie an ihren ersten Fall. Ein Bauamtsleiter wurde mit einem Jetski vorsätzlich zu Tode gefahren. Der erste Verdächtige ist ein Restaurantbesitzer (Michael Sideris), der seine Existenz durch die Zwangsverfügung des Beamten gefährdet sah. Wenig später gerät ausgerechnet der Bräutigam von Elenis Nichte Niki (Sotiria Loucopoulos), der Hotelier Jorgos Simonidis (Hannes Wegener), in den Fokus der Ermittlungen: Hat er den Bauamtsleiter, ein alter Freund aus Studientagen, bestochen? Oder wollte dieser nach der erteilten Baugenehmigung noch einen Nachschlag? Es soll einen heftigen Streit zwischen beiden gegeben haben. Rückkehr nach vierzig Jahren, ein Mordverdächtiger im Heimatdorf, ja, in der eigenen Familie. Kein guter Einstand für Eleni. Doch nur ihre Schwester Marina (Oda Thormeyer) geht auf Konfrontationskurs zu ihr, weniger, weil durch die Ermittlungen die Hochzeit gefährdet ist, sondern, weil sie den Familienfrieden durch Ereignisse aus der Vergangenheit gestört sieht. Was ist da Schlimmes vorgefallen? Fragt sich besonders Kollege Alexis (Danilo Kamperidis). Denn der ist Elenis Großneffe.
Foto: Degeto / George Dryjohn
Noch ein Krimi! Und noch dazu einer jener Auslandskrimis, in denen deutsche Schauspieler einheimische Ermittler geben müssen … Solche Befürchtungen liegen nahe bei dem Titel der neuen ARD-Donnerstagskrimi-Reihe „Ein Kreta-Krimi“. Doch für die Auftakt-Episode „Tod in der Bucht“ von Constanze Knoche (Regie) und Christoph Busche (Buch) kann Entwarnung gegeben werden. Und mehr noch: So gut wie alle Unarten dieses Subgenres weiß der Film zu umgehen. Mag Korruption auch kein seltenes Krimi-Motiv sein, so wirkt doch die Sache mit den erkauften Baugenehmigungen für eine Urlaubsinsel wie Kreta überaus stimmig. Auch die Sprachregelungen sind einigermaßen plausibel. Die Einheimischen sprechen untereinander gelegentlich – wenn auch nicht konsequent – Griechisch. Sehr viel auffälliger ist, dass die Synchronisation nicht nach Synchronisation klingt. Einige Szenen, so Regisseurin Knoche, wurden zweisprachig gedreht und die griechischen Dialoge anschließend synchronisiert. Möglicherweise wurde ja gar nicht so viel synchronisiert. Da wäre dann ein Doppellob für das Casting fällig: Marion Haack hätte dann nicht nur ein ganz vorzügliches Ensemble zusammengestellt, sondern auch eines, das als griechisch durchgeht, das aber auch vornehmlich aus griechisch(stämmig)en Schauspieler:innen besteht, von denen noch dazu ein Großteil Deutsch spricht. Neben der gelungenen Sprachebene kommt auch die griechische Lebensart nicht zu kurz: Sie wird immer wieder authentisch eingefangen. So wurde noch bevor sich der Verdacht gegen den Bräutigam erhärtet, bereits auf dem Dorfplatz kräftig gefeiert, und es wurde für diese Szenen nicht an Statisten gespart.
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Diese vermeintlichen „Nebensachen“ gehören zur handwerklichen Basis eines (guten) Auslandskrimis. Der Kern der neuen Krimi-Reihe sind indes die Charaktere, deren Vorgeschichte und deren horizontales Entwicklungspotenzial, sowohl beruflich als auch privat. In diesem Punkt ist „Tod in der Bucht“ vorbildlich. Das Herzstück dieses „Kreta-Krimis“ ist eine komplexe Figur – mal kühl und hyperkorrekt, mal einfühlsam und warmherzig. Dieses breite Feld an Emotionen vermittelt sich maßvoll über den gesamten Film: für jede Situation die passende Emotion. Auch dass die Heldin auf die 60 zugeht, tut der Geschichte gut: Die Lebenserfahrung der Kommissarin sorgt für Tiefgang, die familiäre Vergangenheit bringt eine angenehme Ernsthaftigkeit ins Spiel. Und dazu passt vorzüglich der Schauspielstil aller Akteure, ganz besonders der von Naomi Krauss („Faraway“), die in allen Szenen den Ton angibt. Da ist mehr menschliches Drama und weniger Krimi-Ermittler-Routine: Während in anderen (Auslands-)Krimis oft ein salopper Umgangston herrscht und Witzeleien an der Tagesordnung sind, geht es hier eher ernst zu. Ein Augenzwinkern muss nicht schlecht sein. Es ist aber schön, wenn mal ein Krimi aus dieser Interaktionsroutine ausschert. So wie hier: „Keiner erwartet, dass Sie das kaltlässt“, sagt Eleni zu Penelope (Franziska von Harsdorf), dem fleißigen Lieschen des Morddezernats, nachdem sich die alte Koula (Dorothea Voutsadopoulou), auch ein Opfer des Bauamtsleiters, in ihrem Haus aufgehängt hat. „Emotionen gehören zum Job. Unterdrücken Sie das nicht.“
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Wie Krimi und Drama miteinander verflochten sind – auch das hat Klasse. Eine Vorgeschichte zu haben ist das eine, aber dass andere Figuren in Elenis Biografie eingebunden sind, auch wenn sie selbst die Ereignisse der Vergangenheit nicht kennen, das verdichtet die Narration ungemein. So ist es Alexis, der Großneffe, der Elenis Geheimnis auf die Spur. Dieses dichte Krimi-Drama-Geflecht sollte man nicht auseinanderreißen, indem man die Genres gegeneinander ausspielt. Eleni möchte Kontakt zu ihrer Familie, aber sie will nichts überstürzen, sagt sie. So wie der Mord sie davon abhält, mit der Tür ins Haus zu fallen, so sorgt der Krimi für das richtige Timing des Drama-Plots. Und so ist „Tod in der Bucht“ kein simpler Whodunit, bei dem ein Verdächtiger nach dem anderen durchs Dorf getrieben wird. Der Krimi und das Drama haben im Übrigen gemeinsam, dass beide einen zeitlichen Bogen über vierzig Jahre spannen. In den Details unterscheiden sich die Genres. Wenn es im Krimi schnell gehen kann, geht es schnell. Lapidare Dialogwechsel inklusive: „Lackfarbe Schwarz passt zu den Spuren in den Wunden des Opfers“ – „Schlüssel“ – „Fehlt“ – „Blue Lagoon“ – „Blue Lagoon Beach Club, ich weiß, wo das ist.“ Für die Szenen hingegen, in denen das Psychologische dominiert, kann und muss man sich mehr Zeit nehmen.
Foto: Degeto / George Dryjohn
Positiv von anderen Produktionen in südländischen Gefilden hebt sich auch die Bildgestaltung ab. Die Mittagsstunden wurden offensichtlich weitgehend gemieden für Außen-Drehs. So kommt es nie zu dieser farbgesättigten typischen Postkarten-Optik südländischer Produktionen. Auch sieht man nicht ständig den Himmel, fühlt sich nicht von Drohnenflug-Totalen genervt. Die Landschaftsbilder haben gelegentlich eine fast pastellfarbene Tönung, und wenn Eleni gegen Ende das Dorf besucht, werden nicht nur ihre Gesichtszüge weich, sondern auch das Licht sanft, der Hintergrund verschwommen. Ansonsten gilt das Realismus-Prinzip: Der Mensch steht im Zentrum, aber das Milieu, die Landschaft, auch die Innenräume, in denen er sich bewegt, gehören zu ihm, ja, spiegeln ein Stück weit seine Empfindungen. Dieser „Kreta-Krimi“ darf in dieser Qualität gern fortgesetzt werden.
1 Antwort
Naja – ein (meiner Meinung nach) eher seichtes Filmchen…
Schöne Landschaft, ja. Aber ansonsten ziemlich gewöhnlich.